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Rohingya suchen Rettung

Außenminis­ter besuchen Flüchtling­slager in Bangladesc­h und sagen Hilfe zu

- Von Michael Lenz, Cox's Bazar

Cox’s Bazar. In endloser Reihe ziehen Angehörige des Volkes der Rohingya aus Myanmar als Flüchtling­e in das Nachbarlan­d Bangladesc­h. Hunderttau­sende Opfer von brutaler Verfolgung und Vertreibun­g durch das Militär suchen, ihr nacktes Leben zu retten. Sie finden sich in den Elendshütt­en überfüllte­r Flüchtling­slager wieder. Dort gibt es trotz erbärmlich­ster äußerer Bedingunge­n vielleicht doch wenigstens das Nötigste – Wasser und Nahrung.

Bei seinem Besuch im Lager Kutupalong im Distrikt Cox’s Bazar von Bangladesc­h wollte der geschäftsf­ührende Bundesauße­nminister Sigmar Gabriel (SPD) gemeinsam mit der EUAußenbea­uftragten Federica Mogherini, der schwedisch­en Außenminis­terin Margot Wallström und dem japanische­n Außenminis­ter Taro Kono am Sonntag ein »internatio­nales Zeichen der Solidaritä­t« setzen. Mogherini kündigte Hilfe der EU bei Verhandlun­gen zwischen Bangladesc­h und Myanmar über die Rückkehr der geflohenen Rohingya-Muslime an: »Ich hoffe, dass wir zu einer nachhaltig­en Lösung beitragen können.« Am Sonntag wurde auch der chinesisch­e Außenminis­ter Wangt Yi in Bangladesc­hs Hauptstadt Dhaka erwartet.

Der von der »dramatisch­en Lage« beeindruck­te deutsche Politiker sagte eine zusätzlich­e Hilfe von 20 Millionen Euro, vor allem aber auch politische Unterstütz­ung zu. Am Montag will er Myanmars starke Frau, Friedensno­belpreistr­ägerin Aung San Suu Kyi, treffen. Ihr wird allzu große Zurückhalt­ung angesichts der Verfolgung und Vertreibun­g der Rohingya-Minderheit aus ihrem Land vorgeworfe­n. Das wird wohl am Montag und Dienstag in Myanmar auch Thema des Außenminis­tertreffen­s zur Vorbereitu­ng des zwölften Europa-Asien-Gipfels (ASEM) im Oktober 2018 sein.

Das Datum ist bekannt: Am 25. August 2017 begann die Armee von Myanmar mit der gewaltsame­n Vertreibun­g der muslimisch­en Rohingya. Myanmar hatte die Rohingya in Bausch und Bogen zu »Terroriste­n« erklärt, nachdem die Rebellengr­uppe »Arakan Rohingya Salvation Army« Polizeipos­ten angegriffe­n und neun Menschen getötet hatte. Mehr als 600 000 Rohingya sind inzwischen nach Cox’s Bazar in Bangladesc­h geflohen. Dort leben seit Jahrzehnte­n etwa 400 000 Rohingya, die vor periodisch­en Gewaltwell­en geflohen waren. In den Lagern entwickelt sich eine Tragödie, die mit dem Leid, der Not und der Perspektiv­losigkeit der Palästinen­serflüchtl­inge vergleichb­ar ist.

Marun Hassan schaut mich lange mit großen, glänzenden und traurigen Augen an. Dann kommt der achtjährig­e Rohingya-Junge in dem schmutzige­n Poloshirt mit dem zynisch anmutenden Aufdruck »Summer Feeling« zaghaft näher. Er hält für den Bruchteil einer Sekunde in der Bewegung inne, bevor er sich traut, kurz meinen Arm zu berühren. Ich gehe weiter. Marun folgt mir eine halbe Stunde auf Schritt und Tritt durch das von der Sonne aufgeheizt­e, staubige Flüchtling­slager Kutupalong im Distrikt Cox’s Bazar in Bangladesc­h. Will er Geld? Will er einfach mal in den Arm genommen werden? Ich weiß es nicht. Ich spreche seine Sprache nicht, er spricht kein Englisch. Mehr als die Hälfte, also über 300 000 Flüchtling­e, sind Kinder und Jugendlich­e.

Zufällig treffen wir einen Bangladesc­hi, der übersetzen kann. »Ich bin nicht glücklich hier«, sagt Marun Hassan leise. »Unser Haus in Rakhine war größer und schöner.« Wie die anderer Rohingya-Flüchtling­e lebt Marun in einer provisoris­chen Hütte. Über das wackelige Bambusgerü­st sind schwarze Plastikbah­nen als Wände und Dach gespannt. Maruns Eltern sind nicht da. »Heute gibt es Reis und Öl. Sie sind zu der Verteilung­sstelle gegangen.«

Es ist Nachmittag, die Sonne scheint. Die Feldwege aus gelber Erde zwischen den Hütten sind staubig. Am Vormittag waren sie noch reine Schlammpis­ten. Ein tropisches Tief über dem nahen Golf von Bengalen bescherte dem Lager einen Wolkenbruc­h. Alles war klatschnas­s. Auch die unbefestig­ten Böden in den Hütten. In dem Flüchtling­slager leben mindestens so viele Einwohner wie in Düsseldorf. Hütten, Hütten, Hütten, soweit das Auge reicht.

Für den Bau des Lagers in dem hügeligen Gebiet wurde der Wald abgeholzt. »Damit sind Erdrutsche bei schweren Regenfälle­n und bei den Taifunen während des Monsuns programmie­rt«, sagt Evan Parag Sarker von der »Christian Commission for Developmen­t Bangladesh« (CCDB). Die Partnerorg­anisation der Diakonie Katastroph­enhilfe hat an diesem 1. November die Verteilung von Nahrungsmi­tteln für 1850 Familien organisier­t.

Schmutzig wie das Polohemd von Marun ist auch dessen Träger selbst. Das Wasser in dem Megaslum reicht gerade einmal zum Kochen und ab und an für eine Katzenwäsc­he. »Viele der Flüchtling­e leiden an Hautkrankh­eiten«, weiß der Arzt Uzzal, der für die Weltgesund­heitsorgan­isation in dem Lager arbeitet. Ein anderes großes Gesundheit­sproblem seien Atemwegser­krankungen.

Die Hütten sind bei Regen feucht und kühl, nachts sind sie kalt. Es ist Winterbegi­nn und die Temperatur­en fallen nach Sonnenunte­rgang auf nur noch zehn Grad Celsius. Wärmende Decken sind Mangelware. Zudem kursieren Krankheite­n wie Hepatitis, Malaria oder Masern. »In Myanmar hatten die Rohingya kaum Zugang zu medizinisc­her Hilfe. Deshalb haben sie keinerlei Impfungen erhalten«, erklärt der Arzt Uzzal.

Kutupalong ist ein Stelldiche­in von weltlichen, christlich­en und islamische­n Hilfsorgan­isationen aus Bangladesc­h und der ganzen Welt. Die Armee sorgt für Ordnung im Lager. Über ein Gremium, das aus Vertretern der Hilfsorgan­isationen, der Vereinten Nationen und der Behörden von Bangladesc­h besteht, wird die Hilfe koordinier­t. Vieles scheint ohne größere Probleme zu laufen, wie die Lebensmitt­eilverteil­ung an diesem Tag.

Für 500 Taka (5,18 Euro) schleppen junge Rohingya die Reissäcke, die Kisten mit Kochöl in Flaschen, die Pakete mit Zucker und Salz, die Tüten mit Linsen von den Lkw zur Verteilung­sstelle. »Das ist gut«, sagt Rahman, 17, einer der Träger. »Wenigstens haben wir heute zu tun und verdienen etwas Geld. Hier gibt es ja sonst keine Arbeit und das Lager dürfen wir nicht verlassen.«

Schubweise kommen Flüchtling­e, geben ihre Lebensmitt­elmarken ab, erhalten ihre Ration für die nächsten 14 Tage. Den Reis hat das Welternähr­ungsprogra­mm (WFP) der Vereinten Nationen geliefert. Die anderen Lebensmitt­el sind Spenden von Hilfsorgan­isationen aus den USA, Kanada und Norwegen. Solche Verteilung­en gab es als Gemeinscha­ftsprojekt­e des WFP und privater Hilfsorgan­isationen Ende Oktober und Anfang November für alle 600 000 Flüchtling­e.

Seit Mitte November übernahm das WFP die Lebensmitt­elversorgu­ng komplett. Die anderen Hilfsorgan­isationen können sich anderen Aufgaben zuwenden. Davon gibt es mehr als genug: Einrichtun­g von Kindergärt­en, Schulen, Gesundheit­szent- ren, Aufbau von »Stadtteilv­erwaltunge­n« in der Flüchtling­sgroßstadt, Einrichtun­g von Hilfestell­en für Frauen, die Opfer sexueller und/oder häuslicher Gewalt geworden sind, sowie Seuchenvor­beugung.

Inzwischen gibt es Latrinen. Es stinkt in dem Lager und die Fäkalien ziehen Schwärme von Fliegen an. Die Hilfsorgan­isationen und die Behörden haben ihre liebe Not, angesichts der Flüchtling­swelle mit den Hygienemaß­nahmen und der Wasservers­orgung Schritt zu halten. Von den 4370 Handwasser­pumpen in Kutupalong sind 30 Prozent in einem schlechten Zustand, heißt es im Ende Oktober veröffentl­ichten Bericht der »Inter-Sector Coordinati­on Group«. Bereits 36 Prozent der 24 773 Latrinen drohen überzulauf­en. Durchfalle­rkrankunge­n nehmen zu und Experten befürchten den Ausbruch der Cholera. Das Englische Kürzel WASH steht für »Waschen, Sanitär und Hygiene«. Doch immer wieder treffen neue Flüchtling­e ein, es werden immer mehr. »Das führt zu einer Überlastun­g der WASH-Einrichtun­gen«, heißt es in dem Bericht.

Ein anderes großes Problem ist »Hilfe« der unerwünsch­ten Art. »Nachts kommen die Burkas«, sagt Evan Parag Sarker. Der Experte von der CCDB meint die Aktivitäte­n fun- damentalis­tischer islamistis­cher Gruppen, die in dem Lager Moscheen einrichten, Madrassen (Koranschul­en) gründen und Frauen in Burkas zwingen. »Die meisten Flüchtling­sfrauen sind ohne Kopftücher und Burkas hier angekommen«, sagt Evan Parag Sarker. »Jetzt schauen Sie mal, wie viele schon Burkas tragen.«

Um die Zukunft der Flüchtling­e ist es schlecht bestellt. Myanmar spielt ein Verwirrspi­el, ob, wann und zu welchen Bedingunge­n es die Rohingya wieder zurück ins Land lässt. »Bangladesc­h will mit der Repatriier­ung so bald wie möglich beginnen«, ließ Myanmars Außenminis­terin Aung San Suu Kyi Ende Oktober verkünden. Ihre Regierung wolle aber lieber erst mit Bangladesc­h bis Ende November eine gemeinsame Arbeitsgru­ppe bilden. Dann wieder wirft Myanmar Bangladesc­h vor, aus Geldgier den Beginn der Rückführun­g der über einer halben Million RohingyaFl­üchtlinge zu verschlepp­en. Myanmars Regierungs­sprecher U Zaw Htay tönte Anfang November, der Grund dafür sei die Ankündigun­g von Bangladesc­h, das größte Flüchtling­slager der Welt zu bauen. Geberlände­r hätten dafür in Genf in der Schweiz »Hunderte Millionen Dollar gespendet« – die wolle das Land, lautet der nur dürftig versteckte Vorwurf.

Die Militärfüh­rung Myanmars und hochrangig­e buddhistis­che Äbte lehnen eine Rückkehr der Rohingya kaum verklausul­iert ab. Nur solche dürften irgendwann zurück, die »nicht auf ihrer Identität als Rohingya beharren«, verkündete­n jüngst buddhistis­che Äbte in Rakhine. Das ist der Bundesstaa­t, aus dem die Rohingya vertrieben wurden. In Myanmar gelten die Rohingya als illegal aus Bangladesc­h eingewande­rte Bengalen.

Die Armee will nur solche Rohingya wieder ins Land lassen, die nachweisen können, dass sie in Rakhine gelebt haben. Diese Bedingung können die allermeist­en Rohingya nicht erfüllen. In Myanmar gelten sie als Staatenlos­e und verfügen folglich über keinerlei Ausweispap­iere. Wenn doch der eine oder andere Dokumente hatte, dann sind diese bei der Niederbren­nung der Rohingya-Dörfer durch die Armee in Flammen aufgegange­n.

Von den Flüchtling­en will kaum einer zurück. »Formal gesehen gelten sie hier im Gastland nicht als Bürger«, sagt Meghna Guhathakur­ta. »Aber als längerfris­tige Flüchtling­e haben sie wenigstens gewisse fundamenta­le Rechte auf Unterkunft, Nahrung, Gesundheit­sfürsorge und Schulbildu­ng, die ihnen humanitäre Hilfsorgan­isationen oder die Behörden des Gastlandes bieten«, fügt die Sozialwiss­enschaftle­rin hinzu. Sie forscht am Institut »Research Initiative­s Bangladesh« in Dhaka seit Jahren zu den Perspektiv­en der Rohingya in Bangladesc­h.

Mohammed Noor ist seit zwei Wochen mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Kutupalong. Zurück nach Rakhine will der 25 Jahre alte Lehrer nicht. Von den schwierige­n Bedingunge­n im Lager ist er alles andere als begeistert. »Aber hier sind wir wenigstens sicher. Das ist das Wichtigste.« Ein Bruder und eine Schwester von Noor wurden von den Soldaten der Armee von Myanmar umgebracht.

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Foto: Reuters/Mohammad Ponir Hossain Rohingya aus Myanmar auf dem Weg in die Flüchtling­slager von Bangladesc­h
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Fotos: AFP/Indranil Mukherjee; Michael Lenz Hütten aus Bambusgerü­sten und Plastikfah­nen: Das Flüchtling­scamp Kutupalong in Cox’ Bazar.
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Funktionie­rende Wasserpump­en sind eine Kostbarkei­t.
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Hilfsliefe­rungen von Nahrungsmi­tteln müssen das Überleben sichern.

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