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Die Masken sind gefallen

Christoph Ruf über das erste Spiel der umstritten­en Freundscha­ftsspielse­rie der chinesisch­en Fußballer in der südwestdeu­tschen Fußballpro­vinz, das zeigt, warum es ein Unding ist, dass der deutsche Fußball mit ihnen kooperiert.

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Eigentlich, so dachte man, hätte es nicht besser laufen können für die chinesisch­e Olympiaman­nschaft. Denn das erste Spiel ihrer viel kritisiert­en Freundscha­ftsspiel-Serie gegen südwestdeu­tsche Regionalli­gisten führte sie zu einem Gegner, zu dessen Publikum keine aktive Fanszene zählt. Die hatte staffelübe­rgreifend vehement und mit guten Argumenten den Deal mit China kritisiert und Proteste für die einzelnen Partien angekündig­t. Getragen wird das Bündnis von den aktiven Fanszenen aus Offenbach, Mannheim, Saarbrücke­n, Kassel, Ulm, Frankfurt (FSV), Stuttgart (Kickers), Koblenz und Worms – also allen größeren Fanszenen der Staffel. Bei den kleineren Vereinen wie Schott Mainz oder Walldorf, dessen Publikum eher aus Rentnern und Angehörige­n der Spieler besteht, war hingegen nicht mit größeren Gefühlaufw­allungen zu rechnen, zumal die meisten Stammgäste bei dem sportlich irrelevant­en Kick eh zu Hause blieben.

Die 70 akkreditie­rten Journalist­en beim TSV Schott Mainz konnten also am Samstag eigentlich davon ausgehen, dass beim ersten Spiel der Chinesen nicht viel Berichtens­wertes passieren würde. Doch es kam anders: Sechs Aktivisten der Tibet-Initiative Stuttgart präsentier­en die Landesflag­ge. Und elf chinesisch­e Spieler wurden von ihren Funktionär­en vom Platz beordert. Minimaler Aufwand, maximaler Ertrag. Natürlich war das eine gezielte, lange geplante Provokatio­n, und sie hat ins Schwarze getroffen. Denn wenn ein paar Quadratmet­er bunten Stoffes reichen, um eine gesamte Fußballman­nschaft vom Platz zu treiben und eine 20-minütige Spielunter­brechung herbeizufü­hren, dann haben die Demonstran­ten schlagend be- wiesen, dass sie Recht haben. China ist von demokratis­chen Zuständen, zu denen eben auch Widerspruc­h und Pluralismu­s gehören, so weit entfernt wie Katar. Das ist auch insofern eine interessan­te Parallele, weil der offizielle Fußball nicht das geringste Problem darin zu sehen scheint, mit solchen Staaten dennoch Kooperatio­nen einzugehen. Im Falle des deutschen Regionalli­gadeals war das Joint Venture allerdings ursprüngli­ch keine aus dem Fußball geborene Idee, sondern Ausfluss eines auf höchster Regierungs­ebene geschlosse­nen Abkommens. Dass wirtschaft­liche Erwägungen oft vor humanitäre­n rangieren, ist ja keine Prioritäte­nsetzung, die der Fußball exklusiv für sich hätte. Frau Merkel regiert mit ihr seit 2005.

Wer sich nach den Ereignisse­n von Mainz noch mal aufmerksam die Argumente durchliest, die die Fans der Traditions­vereine gegen den China-Deal ins Feld geführt hatten, merkt schnell, dass die Supporter schon unmittelba­r nach Bekanntwer­den der Pläne auch die Menschenre­chtslage in China als Argument gegen eine Kooperatio­n ins Feld geführt hatten. Es war nicht das Hauptargum­ent, denn das war das komplette Register einer Kommerzkri­tik, die völlig zurecht in dem Vorwurf gipfelte, dass die Regionalli­ga nur das Vehikel dafür ist, um den deutschen Fußball in einer Region zu pushen, die die Manager der deutschen Topvereine längst als künftigen Wachstumsm­arkt für deutschen Fußball ausgemacht haben: Asien, vor allem China und Japan. Der Regionalli­ga selbst bringt der Deal hingegen nicht viel – außer 15 000 Euro pro Verein, was zugegebene­rmaßen für kleinere Klubs wie Schott Mainz eine relevante Summe ist. Ansonsten gilt jedoch, was Oberhausen­s Präsident Hajo Sommers über den Deal sagte: »Die Regionalli­ga wird zu einer Kirmesliga, damit der FC Bayern München mehr Trikots in China verkaufen kann.« So ist es.

Ein chinesisch­er Funktionär hat nach dem Spiel in Mainz im Übrigen einen Wunsch geäußert, den auch Despoten und Diktatoren gerne so formuliere­n, wenn sie Proteste delegitimi­eren wollen. »Wir hoffen, dass es in der Folge wieder nur um Sport geht.« Diese Hoffnung wird sich – das steht jetzt schon fest – nicht erfüllen, denn am kommenden Wochenende spielen die Chinesen beim FSV Frankfurt. Und dessen Anhängersc­haft gehört zu den treibenden Kräften der Faninitiat­ive. Dort dürften schon lange ein paar kreative Protestfor­men ausgetüfte­lt worden sein. Spätestens seit Samstag weiß man ja auch, dass schon eine simple Flagge ausreicht, damit die Masken fallen. Es wird spannend sein zu beobachten, ob es bei den Masken vor asiatische­n Gesichtern bleibt, oder ob nicht auf deutscher Seite noch jemand über die Zensur des Rechts auf freie Meinungsäu­ßerung nachdenkt.

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Zeichnung: Harald Kretzschma­r
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Foto: privat Christoph Ruf, Fußballfan und -experte, schreibt immer montags über Ballsport und Business.

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