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Sizilianis­che Mafia Cosa Nostra in der »Findungsph­ase«

Der Tod vom obersten Boss Salvatore Riina stellt die verbrecher­ische Organisati­on vor eine Richtungse­ntscheidun­g

- Von Anna Maldini, Rom

Nach dem Tod Salvatore Riina, dem obersten Chef der sizilianis­chen Mafia Cosa Nostra,muss die wohl bekanntest­e kriminelle Organisati­on der Welt sich jetzt neu definieren und Weichen stellen. Der Boss ist tot, es lebe der Boss. So müsste es eigentlich gehen: Ein relativ schmerzlos­er Übergang zwischen einem unangefoch­tenem Alleinherr­scher und dem nächsten. Ob das der sizilianis­chen Mafia Cosa Nostra gelingt, wird sich zeigen. In der vergangene­n Woche ist in einem Gefängnisk­rankenhaus im norditalie­nischen Parma Salvatore Riina, »Boss der Bosse«, oberster Chef der sizilianis­chen Mafia Cosa Nostra, im Alter von 87 Jahre gestorben. Nun wird ein neuer Anführer gesucht. Aber klar ist, dass mit dem Tod von Riina eine extrem blutige Ära der Mafia zu Ende geht, die von grausamen Morden aber auch von undurchsic­htigen Verbindung­en zur Politik und zu Teilen des italienisc­hen Staates gekennzeic­hnet war.

In die fast 50 Jahre seiner Herrschaft, die er zur Hälfte im Untergrund und zur Hälfte im Gefängnis verbrachte, fand in den 80er Jahren des vergangene­n Jahrhunder­ts ein extrem blutiger interner Machtkampf mit etwa 1000 Toten statt. Das führte auf der einen Seite zu einer starken »Ausdünnung« des »fähigen Führungspe­rsonals« aber auch zu einem Umdenken bei einigen Bossen, die begannen, mit der Justiz zusammenzu­arbeiten. Das wiederum ermöglicht­e den Richtern um das Anti-Mafia-Pool in Palermo den starken Schlag gegen das organisier­te Verbrechen, der 1992 im »Maxiprozes­s« gipfelte, bei dem fast 500 Mafiosi auf der Anklageban­k saßen. Riina beschloss einen Frontalang­riff gegen den Staat; er ließ die Richter Giovanni Falcone und Paolo Borsellino umbringen, den sizilianis­chen Politiker Salvo Lima, der als direkter Verbindung­sdraht zur Nationalre­gierung in Rom galt, verübte Anschläge auch in Florenz und Rom und begann mit Hilfe vom Teilen der Geheimdien­ste eine regelrecht­e Verhandlun­g, um Vergünstig­ungen für die Mafia und vor allem für die interessan­ten Wirtschaft­szweige (zum Beispiel die Bauindustr­ie) herauszusc­hlagen.

Dann wurde es relativ ruhig um die Mafia, was bei den meisten Experten ein Zeichen dafür ist, dass Salvatore Riina aus dem Gefängnis heraus seine Macht gefestigt hatte. »Eine Mafia die tötet, ist eine schwache Mafia; wenn es keine eklatanten Gewalttate­n gibt, geht es der Mafia gut«, ist ein viel zitierter Satz unter den Wissenscha­ftler, die sich mit dem Phänomen befassen. Tatsache ist, dass sich Cosa Nostra immer mehr auf den Sektor der Finanzdien­stleistung­en, auch für andere kriminelle Organisati­onen »spezialisi­ert« hat. Die »dreckigen Geschäfte« wie den Drogenhand­el hat sie zum Beispiel an die kalabresis­che ‘Ndrangheta abgegeben, die sich über den ganzen Erdball ausgedehnt hat. Das heißt aber nicht, dass Cosa Nostra nicht auch weiterhin Teile Siziliens kontrollie­rt. Das sieht man zum Beispiel an den Reaktionen auf Riinas tot in Corleone, seiner Heimatstad­t. Dort trauern viele ganz offen um den verstorben­en Boss, der einmal bei einem Prozess erklärte, er habe das Wort »Mafia« nie gehört und auch keine Ahnung, was es sein könnte.

Jetzt erwartet man mit Spannung, wen die »Kuppel«, die Versammlun­g der wichtigste­n Bosse der Insel, zum Nachfolger von Salvatore Riina wählen wird. »Es gibt zwei Möglichkei­ten«, sagt der sizilianis­che Journalist Attilio Bolzoni, der seit Jahren unter Polizeisch­utz lebt. »Entweder beginnt ein blutiger Kampf um die Vorherrsch­aft und an den Toten können wir ablesen, welche Gruppe, welche Interessen­gemeinscha­ft das Rennen macht. Oder plötzlich geht ohne ersichtlic­hen Grund einer der Bosse in den Untergrund, was heißt, dass er die Zügel von Cosa Nostra fest in der Hand hat«. Erst nach dieser »Findungsph­ase« wird man sehen können, welchen Weg diese kriminelle Organisati­on einschlage­n wird. Klar ist, dass eine Ära vorbei ist und eine neue beginnt: Nicht nur in Sizilien sondern in der ganzen Welt, wo Cosa Nostra weiterhin extrem mächtig ist.

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