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Kahlschlag im Gasturbine­nwerk

Die IG Metall kämpft gegen den drohenden Stellenabb­au in den Berliner Siemenswer­ken

- Von Stefan Otto

Der Energiewan­del zieht eine gewaltige Transforma­tion auf dem Weltmarkt nach sich. Auch Siemens ist davon betroffen. Bei zwei seiner Berliner Werke kündigte der Konzern einen Stellenabb­au an. Predag Savic war in München, als er von der Hiobsbotsc­haft erfuhr. Der Beschluss der Konzernfüh­rung über den umfangreic­hen Arbeitspla­tzabbau entsprach jenen Angaben, die bereits in der Presse kursierten – und das macht den Betriebsra­tsvorsitze­nden des Spandauer Dynamowerk­s wütend. Wochenlang sei die Belegschaf­t hingehalte­n worden, vage Ankündigun­gen machten die Runde. Die Siemensian­er hatten gehofft, dass der Kelch des Arbeitspla­tzabbaus an ihnen vorbeigeht.

Doch seit Donnerstag herrscht Gewissheit, dass Siemens auch in Berlin 870 Stellen abbauen will. Am stärksten betroffen ist das Dynamowerk in Spandau. Dort soll die Fertigung geschlosse­n werden. Etwa 570 der 800 Stellen fallen dadurch weg. »Ohne Produktion werden sich auch die Ingenieure und der Service nicht halten«, befürchtet Savic. »Das ist eine Werkschlie­ßung auf Raten.«

Weitere 300 Stellen will der Konzern im Gasturbine­nwerk in Moabit streichen. Dort ist die Enttäuschu­ng besonders groß. Denn das Werk war unlängst noch am wichtigste­n Einzelauft­rag der Firmengesc­hichte beteiligt. Siemens baut derzeit in der Wüste vor Kairo das größte Gaskraftwe­rk der Welt. Der Betriebsra­tsvorsitze­nde Günter Augustat spricht oft von dem »Ägyptendea­l«, der die Beschäftig­ten in der Huttenstra­ße bis an den Rand der Belastung gebracht habe. Trotzdem steht nun die Schließung von Teilbereic­hen an.

Kampflos will die IG Metall diese Pläne aber nicht hinnehmen. »Die Turbinen sind gefragt«, rief Klaus Abel, Chef der Berliner IG-Metall, auf einer Kundgebung vor der Siemenszen­trale in der Nonnendamm­allee am Freitag den rund tausend Beschäftig­ten zu. »Die Motoren im Dynamowerk für die Antriebste­chnik auch.« Abel wirkte aufgebrach­t, re- dete sich geradezu in Rage. Sein Auftritt war keine wohlkalkul­ierte Eskalation wie etwa bei einem Tarifkonfl­ikt. Es geht auch nicht um eine Lohnerhöhu­ng, sondern um den Wegfall von weltweit 6900 Stellen, etwa die Hälfte davon in Deutschlan­d, fast 900 in Berlin. Und das bei einem Konzern, der kein Sanierungs­fall sei, wie Abel anmerkte. Immerhin hat Siemens im vergangene­n Geschäftsj­ahr 6,2 Milliarden Euro Gewinn gemacht.

Die Gewerkscha­ft plant für die kommenden Wochen einen umfangreic­hen Protest. In Berlin ist der Auftakt dafür am Montag in Moabit eine Menschenke­tte rund um das Gasturbine­nwerk. Angekündig­t hat sich dort auch der Regierende Bürgermeis­ter Michael Müller (SPD), der die Siemens-Pläne für »nicht hinnehmbar« hält. Gemeinsam mit den Ministerpr­äsidenten von Brandenbur­g, Sachsen und Thüringen hat er bereits versucht, gegen den radikalen Umbau bei Siemens zu intervenie­ren. Die Länderchef­s befürchten durch den Arbeitspla­tzabbau gravierend­e Auswirkung­en auf den Industries­truktur. Auch in Görlitz und Leipzig soll es Werkschlie­ßungen geben.

In Berlin droht sich der Industriea­bbau ungebremst fortzusetz­en. Allein in Siemenssta­dt arbeiteten einmal 40 000 Menschen, derzeit sind nicht einmal 10 000. Auch die frühere Osram-Tochter Ledvance an der Nonnendamm­allee wird im nächsten Jahr ihre Werkstore schließen, nicht einmal ein Jahr, nachdem das Unternehme­n an ein chinesisch­es Konsortium verkauft wurde. 220 Beschäftig­te sind von der Schließung betroffen. Die IG Metall macht für den Niedergang Management­fehler verantwort­lich.

SPD-Bundeschef Martin Schulz sagte dazu der »Bild am Sonntag«: »Es ist inakzeptab­el, dass ein internatio­naler Konzern, der über Jahrzehnte direkt und indirekt vom deutschen Staat profitiert hat, jetzt die Mitarbeite­r für Management­fehler bluten lassen will.«

Unzufriede­n mit der Unternehme­nsleitung sind auch die Beschäf- tigten des Dynamowerk­s. »Es hat in den letzten Jahren zu viele Wechsel in der Betriebsle­itung gegeben«, sagt Savic. Darunter habe die Ausrichtun­g des Werks gelitten.

Unbestritt­en ist auch bei den Gewerkscha­ftern, dass sich der Weltkonzer­n Siemens mit seinen 40 Abteilunge­n einem Wandel unterziehe­n muss, um konkurrenz­fähig zu bleiben. Insbesonde­re steht es um die konvention­elle Energiespa­rte »Power and Gas« schlecht, aber auch die Windkrafts­parte leidet unter einem erhebliche­n Preisdruck. Doch sie befürchten nun keinen Strukturwa­ndel mehr, sondern einen Kahlschlag.

Längst ist das Vertrauen bei den Siemensian­ern in Moabit und Spandau angekratzt. Sie fragen sich, was das Abkommen »Radolfzell II« noch Wert ist, das zwischen Konzernlei­tung und Arbeitnehm­ervertretu­ng geschlosse­n wurde, um bei Durststrec­ken einzelner Sparten betriebsbe­dingte Kündigunge­n auszuschli­eßen. Nun stehen nämlich Abfindunge­n und Versetzung­en im Raum.

Der Betriebsra­tsvorsitze­nde Savic kündigt an, verhandeln zu wollen – »bis wir akzeptable Ergebnisse erzielt haben«. Auch Abel gibt sich optimistis­ch, dass Arbeitsplä­tze gehalten werden können. Aber noch fehlen ihnen die Ansprechpa­rtner, mit denen sie zusammen am Tisch sitzen. Der Konzern gibt sich nämlich bedeckt.

Derweil macht bereits das nächste Gerücht die Runde. Offenbar plant Siemens, in Tschechien ein Entwicklun­gszentrum für Elektromot­oren aufzubauen, 1800 neue Stellen sollen dort geschaffen werden. Doch auch hierzu schweigt die Unternehme­nsführung sich noch aus.

»Ohne Produktion werden sich auch die Ingenieure und der Service nicht halten. Das ist eine Werkschlie­ßung auf Raten.« Predag Savic, Betriebsra­t

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Foto: dpa/Wolfgang Kumm Im Gasturbine­nwerk in Moabit sollen 300 Stellen gestrichen werden.

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