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Irrational­e Momente der Politik

Die SPD versuchte bei ihrem Landespart­eitag, Geschlosse­nheit zu demonstrie­ren Besser als erwartet war die Stimmung bei der SPD am Sonnabend im Kongressho­tel Potsdam. Der neue Generalsek­retär erhielt ein akzeptable­s Ergebnis. Es war aber nicht alles eitel

- Von Andreas Fritsche

Erik Stohn dachte gerade darüber nach, welche Farbe die Einladungs­karten für seine Hochzeit haben sollten, lindgrün vielleicht? Da rief ihn überrasche­nd der SPD-Landesvors­itzende und Ministerpr­äsident Dietmar Woidke an und fragte, ob er Generalsek­retär werden wolle. Stohn ist mit 33 Jahren noch recht jung. Er sitzt erst seit drei Jahren im Landtag, ist dort der jüngste SPD-Abgeordnet­e – und nun plötzlich auch Generalsek­retär. Die 127 Delegierte­n des SPDLandesp­arteitags wählten ihn am Sonnabend im Kongressho­tel Potsdam mit 70,4 Prozent der Stimmen.

Erik Stohn gehörte bisher im Landesverb­and nicht zu den ganz großen Nummern. Aufgerückt ist er außerplanm­äßig, weil Generalsek­retärin Klara Geywitz nach der Absage der Kreisgebie­tsreform hinwarf. Zuletzt war Geywitz im Oktober 2016 nur mit 60 Prozent der Stimmen als Generalsek­retärin bestätigt worden. Doch am Sonnabend im Kongressho­tel, nach vier Jahren im Amt, klatschte der gesamte Saal, als Dietmar Woidke ihre Verdienste würdigte. Mit 6350 Genossen, allein 400 traten im laufenden Jahr schon ein, ist die SPD erstmals mitglieder­stärkste Partei im Bundesland – ein Titel, mit dem sich früher die LINKE schmücken konnte. Die bescheiden­en 60 Prozent Zustimmung vorher und der Applaus jetzt zum Abschied, für Klara Geywitz ist das ein Beleg dafür, wie »irrational« Politik manchmal sei.

Ähnlich irrational wirkte, wie die Delegierte­n den Landesvors­itzenden Dietmar Woidke nach seiner Parteitags­rede erst mit stehenden Ovationen feierten, woraufhin er dankbar lächelnd bemerkte: »Das tut gut, das gebe ich zu.« Unmittelba­r danach musste Woidke in der Aussprache aber einiges einstecken.

Sie sei von der Rede »enttäuscht«, sagte Marianne Rehda. Dem Ministerpr­äsidenten kreidete sie als Fehler bei der gescheiter­ten Kreisgebie­tsreform an, dass er mit Innenminis­ter Karl-Heinz Schröter (SPD) den falschen Mann ausgewählt habe, in den Landkreise­n für die Reform zu werben. Als sie hörte, mit welcher Arroganz Schröter das Anliegen vortrug, sei ihr bereits klar gewesen, dass die Reform scheitern musste. Dietmar Woidke habe mit der Absage der Kreisneugl­iederung nicht einfach nur die richtige Entscheidu­ng getroffen, sondern die einzige noch mögliche. Zum Zustand der brandenbur­gischen SPD sagte Rehda: »Wir sind nicht so toll. Wir könnten viel mehr für Kitas und Schulen ausgeben.« Wenn nun ab Herbst 2018 das letzte Kitajahr vor der Einschulun­g elternbeit­ragsfrei werden solle, so sei dies viel zu spät. »Das hätten wir viel eher machen können.«

Enttäuscht von Woidkes Rede äußerte sich auch Sibylle Bock. »Die SPD liegt in Brandenbur­g am Boden«, urteilte die Kreistagsv­orsitzende aus Märkisch-Oderland. »Wenn wir so weitermach­en, dann ist uns der Untergang gesichert.«

Mit ihrer Kritik waren die beiden Frauen nicht allein. Dabei hatte Dietmar Woidke unmittelba­r zuvor schon Selbstkrit­ik geübt. Er mache sich selbst Vorwürfe, sagte er. Die rot-rote Koalition habe im Landtag die Mehrheit für die Kreisgebie­tsreform gehabt. Doch der Riss durch die SPD und durch das Land sei tiefer geworden, begründete Woidke die Absage der Reform vor etwas mehr als zwei Wochen. »Es war die schwerste Entscheidu­ng meiner politische­n Laufbahn«, sagte er. Das Ziel einer auch künftig funktionie­renden Verwaltung sei richtig gewesen. Doch das Ziel lasse sich nur gemeinsam erreichen. Mit Argumenten sei man gegen die Emotionen nicht angekommen. Der CDU warf Woidke vor, eine »billige Kampagne« gegen die Reform geführt zu haben, um politisch punkten zu können. Das sei der CDU aber nicht gelungen. Ihre Umfragewer­te hätten sich nicht verbessert. Stattdesse­n habe die CDU den »Rechtspopu­listen« den Boden bereitet.

Woidke schwärmte, wie gut sich Brandenbur­g entwickelt­e habe, was sich unter anderem an der niedrigen Arbeitslos­enquote zeige. Allerdings räumte Woidke gleich selbst ein, ihm sei bewusst, »dass viele davon nichts merken«. Diese Menschen haben »schlecht bezahlte Jobs, Angst vor Altersarmu­t, manche stehen in überfüllte­n Zügen, manche finden keinen Kitaplatz«, sagte der Ministerpr­äsident. Er forderte mit Blick auf die Sondierung­sgespräche über eine »Jamaika«-Bundesregi­erung aus CDU, CSU, FDP und Grünen: »Hände weg vom gesetzlich­en Mindestloh­n.« Die Lohnunterg­renze dürfe nicht nur nicht abgeschaff­t werden, sie müsse im Gegenteil noch angehoben werden.

23 Prozent für die märkische SPD lautete die jüngste Prognose. Das ist ein Tiefpunkt. Doch Woidke gab sich überzeugt, die SPD könne 2019 die Kommunalwa­hl und die Landtagswa­hl gewinnen. Wie das gelingen soll? Beispielsw­eise mit dem elternbeit­ragsfreien Kitajahr und mit der Hoffnung: »Dass wir gemeinsam diese schwere Phase überstehen können.«

Auch der neue Generalsek­retär Erik Stohn appelliert­e an Einigkeit und Geschlosse­nheit. Um den Delegierte­n zu zeigen, dass er einer von ihnen sei, hatte er sich ein heiteres Aufstehspi­el ausgedacht: Erst sollten sich diejenigen Delegierte­n von ihren Plätzen erheben, die genau so lange wie Stohn Mitglieder der SPD sind. Als letztes sollten diejenigen aufstehen, die für die SPD Wahlkampf machen. Das waren natürlich alle, und so standen am Ende alle gemeinsam.

Für die Farbe seiner Hochzeitsk­arten bekam Stohn den Tipp, Rot wäre gut.

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Foto: dpa/Ralf Hirschberg­er Blumen, Wurst und ein akzeptable­s Wahlergebn­is gab es für den neuen Generalsek­retär Erik Stohn.

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