nd.DerTag

Das Friedwald-Problem

Naturschüt­zer sind um Bäume und Ökosysteme besorgt

- Von Filip Lachmann

Bestattung­swälder, in denen die Asche Verstorben­er zwischen den Wurzeln von Bäumen beigesetzt wird, erfreuen sich wachsender Sympathie – aber treffen auch auf wachsenden Widerstand. Mit der letzten Ruhestätte im Wurzelgefl­echt eines Baumes schloss sich einst für Nomadenvöl­ker ein naturrelig­iöser Kreis. Vereinzelt in Mode kam diese idealisier­ende Bestattung­sform erst wieder im 19. Jahrhunder­t, so durch Forstleute wie Heinrich von Cotta, der im Tharandter Wald bei Dresden unter Eichen ruht. Der Thüringer gilt indes als Begründer nachhaltig­er Forstbewir­tschaftung, weshalb ihm kaum gefallen dürfte, wie Waldbestat­tungen heute als regelrecht­er Trend vermarktet werden.

Dabei klingt es gerade in einer zunehmend ökonomisie­rten Welt sehr verlockend, seinen Frieden fern etablierte­r Friedhöfe und uniformer Reihengräb­er zu finden: tief in der Natur unter Gottes freiem Himmel. Indes sehen gerade Kirchen diesen Zeitgeschm­ack mit Unbehagen. Denn er verzichtet teils auf christlich­e Symbolik und entzieht sich zumeist geweihtem Boden. So ist es maßgeblich ihrem Widerstand geschuldet, dass gerade im Osten bisher nur wenige Urnenwälde­r eröffneten. Beistand kam naturgemäß von Handwerker­n, die ihr täglich Brot am Friedhof verdienen, etwa Gärtner und Steinmetze, sowie von Kommunen.

Um nicht wenig Geld geht es natürlich auch in jenen Bestattung­swäl- dern, seit diese ab 2001 in deutschen Forsten eröffnen dürfen. Ihre Zahl liegt inzwischen bei rund 200, die meisten gibt es in Nordrhein-Westfalen (39), Baden-Württember­g (21) und Bayern (15). Ganz hinten rangieren Thüringen mit vorerst nur einem Baumgrabre­vier sowie Sachsen und Sachsen-Anhalt mit je vier. Träger sind meist Gemeinden in der Nähe großer Städte oder private Waldbesitz­er, die mit dem eigentlich­en Betrieb dieser Sonderfors­te dann Spezialfir­men betrauen. Die bekanntest­en heißen RuheForst (65 Urnenwälde­r) und FriedWald (60), beide in Hessen beheimatet. Und da es sich offenbar gut rechnet, ließen sie diese Namen längst auch markenrech­tlich schützen.

Selbst im Adel setzt man so auf dieses offenbar lukrative Modell. Nicht weniger als 16 deutsche Geschlecht­er betreiben Urnenwälde­r, darunter die Hohenzolle­rn, die Prinzen von Sachsen und Hessen, das Fürstenhau­s Bismarck. Jüngst ging nun auch der bisher als Winzer bekannte Georg Prinz zur Lippe unter die Waldbestat­ter – er eröffnete solch ein Areal in Oberau bei Meißen.

Angesichts von rund 32 000 deutschen Friedhöfen handelt es sich zwar noch immer um eine kleine Nische, doch auch die erhält zunehmend Gegenwind. Zum einen merken Hinterblie­bene, die damit den letzten Willen ihrer Lieben erfüllten, was sie sich da aufgeladen haben: ein Grab in einem abgelegene­n Forstfleck­en, kaum erreichbar mit Bahn und Bus, ohne barrierefr­eien Zugang. Solche Baumgräber sind zwar pflegeleic­ht und da- mit relativ kostengüns­tig, bei Schnee und Eis oft aber über Wochen weltabgesc­hnitten. Zudem verwehren die Betreiber den Trauernden das Aufstellen von Grabstein und Grabschmuc­k, selbst Blumen werden sofort wieder entfernt. Denn um den Waldcharak­ter zu erhalten, sind die Grabstätte­n entweder anonym, oder den Namen des Toten verrät nur eine winzige Sammelplak­ette am Stamm.

Vor der Ausweisung als Urnenfeld wird der zuvor nachhaltig bewirtscha­ftete Wald teils parkartig nivelliert.

Immerhin erhalten jene, die damit einer technisier­ten Welt entfliehen wollten, nun GPS-Daten, um überhaupt ihren Baum wiederzufi­nden.

Und auch wenn die rot-rot-grüne Landtagsme­hrheit in Erfurt soeben die Weichen für noch mehr Totenasche zwischen Baumwurzel­n auch in Thüringen stellte, schlagen gerade Naturschüt­zer verstärkt Alarm. Denn vor der Ausweisung als Urnenfeld wird der zuvor nachhaltig bewirtscha­ftete Wald teils parkartig nivelliert. Man entfernt neben ökologisch wertvollem Totholz auch jenen Unterwuchs, der eigentlich der Naturverjü­ngung dient. Zudem entstehen unerwünsch­te Trampelpfa­de. So befürchtet Uwe Langrock, Chef des Nabu im holsteinis­chen Pinneberg, durch einen in der Region geplanten Urnenwald eine anhaltende »Störung des empfindlic­hen Ökosystems«. Immerhin werden die Waldfriedh­öfe für 99 Jahre angelegt. Allein das Verbringen der Urnen mit der Totenasche im Wurzelgefl­echt zerstöre das Bodenprofi­l, womit seltene Pilzarten »unwiederbr­inglich verloren« gingen.

Nicht minder kritisch sehen Umweltexpe­rten den Ascheeintr­ag selbst, da sich die Urnen mit der Zeit selbst auflösen. Jede Urne enthält bis zu drei Kilo Totenasche. Und da pro Baum bis zu zehn Urnen beigesetzt werden, summiere sich das bei hundert Bäumen je Hektar auf nahezu drei Tonnen Asche, errechnete der Hamburger Landschaft­splaner und Natursachv­erständige Andreas Morgenroth, der sich derzeit bundesweit sehr kritisch mit den Bestattung­swäldern beschäftig­t.

Zudem werden Verstorben­e in den Krematorie­n auch samt künstliche­r Hüftgelenk­e, Zähne oder Prothesen verbrannt. Damit, so Morgenroth, erhalte ihre Asche auch die darin enthaltene­n Stoffe sowie womöglich Schwermeta­lle aus Ofenbeschi­chtungen wie Chrom, Nickel, teils Kadmium. Da man beim Nabu beobachtet, dass sich allein damit der pH-Wert des Waldbodens drastisch erhöht, gaben das Umweltbund­esamt und die Deutsche Bundesstif­tung Umwelt inzwischen Studien in Auftrag. Sie sollen den Ursachen sowie dem Grad dieser Belastunge­n nachgehen. Und so holt die schnöde technische Welt längst auch wieder die romantisch­ste Hoffnung auf friedvolle Ruhe unter hohen Wipfeln ein.

 ?? Foto: imago/Rudolf Gigler ??
Foto: imago/Rudolf Gigler

Newspapers in German

Newspapers from Germany