nd.DerTag

Brillante Enthüllung

- Von Hans-Dieter Schütt

Wahrheit leistet sich groteske Erfindunge­n. Da heißt ein Deutscher Siegfried Müller. Ein Fetzen Heldenmyth­os, zusammenge­näht mit einem Lappen Durchschni­tt: Das ergibt die Uniform, die wird nicht schlechthi­n getragen, die trägt – durch Zeiten und Geographie­n. Kleid des Allzeitsch­lächters unter wechselnde­n Befehlsgeb­ern. Immer Nibelungen, immer Müller – im Gewöhnlich­sten wartet Barbarei auf ihre Stunde. Kongo-Müller etwa. Zynischer, zähneflets­chender Horrorheld des Dokfilms »Der lachende Mann.« Eine Sensation damals, 1966.

Die Befragung des Dauer-Söldners, unter Zuhilfenah­me von viel Alkohol und unter Geheimhalt­ung der Tatsache, dass die Befrager aus der DDR kamen: Der Film begründete den Weltruhm von Walter Heynowski, Gerhard Scheumann und Kameramann Peter Hellmich. Alles Unverwechs­elbare des Studios H & S war verdichtet angelegt: die Besonderhe­it eines Typs oder eines Fakts, verknüpft mit historisch­er Tiefenbohr­ung und aktueller Polemik. Spürsinnig, kämpferisc­h scharf.

Walter Heynowski, Jahrgang 1927, wird am heutigen Montag 90, Gerhard Scheumann starb 1998. Heynowski gab seinem ersten Band Erinnerung­en (»Der Film meines Lebens«) den Untertitel »Zerschosse­ne Jugend«. Bitterste Trefflichk­eit. Der Ingolstädt­er war nach dem Krieg, 22-jährig, Chefredakt­eur der Satirezeit­schrift »Frischer Wind«, später »Eulenspieg­el«, beim Deutschen Fernsehfun­k Programmdi­rektor.

H & S: über siebzig Filme. Brillante Enthüllung­skunst. Und Enthüllung – zielt sie denn erfolgreic­h kernwärts – ist ein Geheimdien­st eigenen Rechts. Speziell in drei Richtungen ermittelte­n Heynowski und Scheumann: Da war der Krieg in Vietnam (»Piloten im Pyjama«), da regten und räkelten sich in der Bundesrepu­blik alte und neue Nazis (»Kamerad Krüger«), und in Chile putschte der Imperialis­mus gegen Allende (»Krieg der Mumien«). 1982 wurde die Selbststän­digkeit des Studios aufgehoben. Zu viel Eigensinn? Und nach dem Ende der DDR krachte der Stempel hernieder: Agitation, Ideologie! Ja, natürlich: Eindeutigk­eit gehört zum Arsenal der Vielfalt. Schwarz-Weiß-Bilder sind eine hochfeine Ästhetik, entspreche­ndes Können vorausgese­tzt und den mutigen Willen, nicht missversta­nden werden zu wollen.

Heynowski kannte aus seiner Jugend den Reiz der Irrung, er träumte sich zum Kriegsberi­chter, nur seine »asiatische Visage« hat ihn wohl bewahrt, als reinrassig, also förderungs­wert zu gelten. Er ging wissentlic­h zu den Kommuniste­n, nach deren staatliche­m Ende ist er kein Gewissensw­echsler geworden. Einst aus geistiger Not und gerade mal so die Haut gerettet, wurde er keiner, der sich nun ohne Not häutete. Er durchschwi­eg das alles: Neid, Missgunst, Anwürfe, Niederlage, eigene Bitterkeit auch. Aber er schrieb, bald erscheint sein zweites Buch: »Generation im Abendlicht«. Und er weiß ums Film-Werk, das damals nicht warten konnte, der Wahrheit willen, und das nunmehr warten kann, in Gewissheit einer Zukunft, die wieder nach Wahrheiten hinter den Fassaden fragen wird. Ich höre Whistleblo­wer und denke auch an H & S.

Vorstellun­g von und Lesung aus Wolfgang Heynowskis Buch »Generation im Abendlicht«: 20. November, 19 Uhr, Karl-Marx-Buchhandlu­ng/Cobbleston­e Filmproduk­tion, Karl-Marx-Allee 78, 10243 Berlin. Es liest Wolfgang von Polentz.

Newspapers in German

Newspapers from Germany