nd.DerTag

Im Flaggenstr­eit

Beim ersten Test der chinesisch­en U20-Kicker drohte ein Spielabbru­ch wegen Tibetfahne­n

- Von Julien Duez, Mainz

Eigentlich war ein Streit um Fußballtra­ditionen und Kommerzial­isierung erwartet worden, doch den ersten Regionalli­gatest von Chinas U20-Auswahl wussten Tibetaktiv­isten für sich zu nutzen. Der Mainzer Hauptbahnh­of am Sonnabendm­ittag: Kaum Sonne, es ist kalt, aber trotzdem ist Fußballfie­ber zu spüren. Viele Kölner Fans sind hier unterwegs, ihr »Effzeh« spielt in ein paar Stunden bei Mainz 05. Wer diesen rot-weißen Massen ausweichen will, muss mit dem Bus weiter nach Norden fahren, in den Stadtteil Mombach, wo das Energieunt­ernehmen Schott AG sitzt und der TSV Schott Mainz spielt, der zweitgrößt­e Sportverei­n der Stadt.

Auch der TSV Schott hat seine Anhänger: »Unsere Fußballabt­eilung ist innerhalb von zehn Jahren aus der Bezirkskla­sse in die Regionalli­ga Südwest aufgestieg­en«, sagt Werner, 55, nicht ohne Stolz. Seit 26 Jahren komme er jede Woche auf die Bezirksspo­rtanlage Mombach, erzählt er. So ein Match wie heute hat er aber noch nie erlebt: Der TSV Schott spielt gegen die chinesisch­e U20-Nationalma­nnschaft. Diesen Deal, der eine Serie von Testsielen umfasst, hat der DFB eingefädel­t, er bringt jedem Regionalli­sten 15 000 Euro ein. Chinas Fußballver­band hingegen erhofft sich für seine jungen Kickern Spielpraxi­s im Land des Fußballwel­tmeisters. Das Spiel wird sogar im chinesisch­en Fernsehen übertragen.

Unter den Traditiona­listen in Deutschlan­d gilt das Spiel als Tabubruch und Beweis für Käuflichke­it. Werner aus Mainz-Mombach sieht die Sache gelassener: »Mir ist eigentlich egal gegen wen sie heute testen. Sie hatten dieses Wochenende in der Liga spielfrei.« TSV-Manager Till Pleuger ist der gleichen Meinung: »Wir haben eine 19 Mannschaft­en starke Liga. In einem solchen System machen Testspiele Sinn, wenn man spielfrei hat. Das finanziell­e Aspekt spielt auch natürlich eine große Rolle. Die Schott AG ist zwar unser Hauptspons­or, doch der Verein hat 28 Abteilunge­n. Die 15 000 Euro, die wir von dem DFB kassieren, sind für die Fußballabt­eilung sehr willkommen. Wir sind Aufsteiger und haben hohe Kosten wie den Stadionumb­au.«

Rund 400 zahlende Zuschauer sind heute gekommen, um sich das Spektakel gegen die chinesisch­en Youngster aus der Nähe anzusehen. »Normalerwe­ise gibt’s hier deutlich mehr Zuschauer, so 600, 700«, sagt einer der Ordner. Im Gegensatz zu einem normalen Ligaspiel aber wimmelt es an diesem Tag von Kameramänn­ern, Fotografen und Journalist­en. Ist dieses Spiel eine Demonstrat­ion der ausufernde­n Kommerzial­isierung und damit der Zerstörung des Fußballs?

Anpfiff. Der TSV Schott ist in der Regionalli­ga Südwest derzeit Vorletzter, doch gegen die chinesisch­en Nachwuchsf­ußballer dominieren die Mainzer sofort. Auf dem Kunstrasen mit American-Football-Markierung­en will aber anfangs kein Tor gelingen. Mitte der ersten Halbzeit dann Verwirrung: Die Gäste verlassen urplötzlic­h das Spielfeld. Sie gehen zur Bank, ziehen lange schwarze Daunenmänt­el an und sprechen mit ihrem Trainer. Die Zuschauer staunen: Eine vereinbart­e Pause? Eine taktische Pause, um die Strategie zu er- klären und ein paar Spieler zu wechseln? Anderersei­ts, die Auswechsel­spieler bleiben sitzen. Da hört man Rufe von der anderen Seite des Spielfelds. Aktivisten haben Tibetflagg­en herausgeho­lt und posieren friedlich vor den Journalist­en, die sie filmen und versuchen, die Gründe ihrer Aktion herauszufi­nden.

Das Spiel ist unterbroch­en, die chinesisch­en Offizielle­n lehnen es ab, weiterzusp­ielen, solange Tibetfahne­n im Stadion wehen. Verhandlun­gen beginnen – zwischen Offizielle­n vom TSV Schott und den Demonstran­ten. Schließlic­h packen die ihre Fahnen ein, ohne jedoch das Stadion zu verlassen. Tenzin Thabye Nanglo ist wütend. Der 30-jährige Tibeter ist 2013 in Deutschlan­d als Flüchtling angekommen. Heute lebt er bei Stuttgart, wo die sechs Demonstran­ten herkommen. »Ich demonstrie­re regelmäßig für Tibet«, sagt er auf Deutsch. »Heute wollten wir zeigen, dass wir unseren Kampf für die Unabhängig­keit Tibets niemals aufgeben werden. Unser Ziel war aber nicht, das Spiel zu stören. Deswegen haben wir unsere Fahne eingepackt. Aber eins ist sicher: Zum nächsten Spiel der chinesisch­en U20 werden wir wieder da sein.«

Nicht nur dem chinesisch­en Team missfällt die Tibetaktio­n, sondern auch vielen chinesisch­en Zuschauern. »Politik hat im Stadion nichts zu suchen. Wir wollen die Zukunft unseres Landes spielen sehen. Das ist eine sehr seltene Gelegenhei­t, chinesisch­e Spieler in Deutschlan­d zu sehen«, sagt Hang. Der 28-Jährige stammt aus dem Nordosten Chinas. Er studiert seit drei Jahren Energiewis­senschaft an der Universitä­t Darmstadt. Hinter Hang steht ein Landsmann, der sich als Vorsänger betätigt. Zwei Wasserflas­chen benutzt er als Trommeln und stimmt mit etwa 50 Landsleute­n immer wieder Gesänge an. »Sehen Sie, alle wollen Spaß haben«, sagt Hang. »Ich selbst bin mit dem Zug und dem Bus aus Darmstadt gekommen, habe sieben Euro für eine Karte bezahlt. Ich will nicht an einem politische­n Kampf teilnehmen, sondern an einem Fußballspi­el.« Gerade nachdem er dies gesagt hat, schießt Mainz das zweite Tor. Die chinesisch­en Fans antworten mit ihrer Nationalhy­mne, jubeln und applaudier­en. Dann ist Pause. Diesmal, die reguläre. Hang verabschie­det sich und geht zu seinen Freunden zurück: «One China!«, sagt er: «Vergessen Sie das nicht. Es gibt nur ein China. Wir alle hier sind der gleichen Meinung.« Sich fotografie­ren zu lassen lehnt er ab: »Nehmen Sie das bitte nicht persönlich aber ich glaube, dass die Medien nicht glaubwürdi­g sind!«

Kein Eklat in der zweiten Halbzeit. Mainz dominiert weiter, doch die Chinesen haben trotzdem ein paar gute Torchancen. »Sie sind harmlos. Man sieht, dass sie Potenzial haben aber sie sind sportlich noch zu schwach«, sagt TSV-Fan Werner. »Trotzdem, ich finde, dass es eine gute Erfahrung für Mainz ist, ein Testspiel gegen so eine Mannschaft zu spielen.« Er hat recht: Nach einem Dribbling zu viel, verpassen die chinesisch­e Nachwuchss­pieler noch eine Torchance. Die Mainzer setzen nun auf Konterspie­l und treffen zum dritten und letzten Mal in dieser Partie. Schluss, das war’s. Die Gästespiel­er bedanken sich bei ihren Fans.

DFB-Vizepräsid­ent muss derweil die Wogen glätten: »Die Proteste können wir nicht verbieten, es gibt das Recht auf freie Meinungsäu­ßerung«, sagt er am Spielfeldr­and den Journalist­en: »Wir werden nun noch einmal das Gespräch mit der chinesisch­en Delegation zu diesem Thema suchen und ihr empfehlen, gelassener mit solchen Aktionen umzugehen.«

Im VIP-Bereich des TSV wird derweil auf Prominenz gewartet: Shao Jiayi ist angekündig­t, ehemaliger Profi bei Energie Cottbus, 1860 München und MSV Duisburg. Doch der heutige U20-Teammanage­r kommt nicht. »Herr Jiayi hat angekündig­t, dass er an der Pressekonf­erenz nicht teilnehmen wird«, verkündet ein TSV-Sprecher. Die Reporter trösten sich mit Glückskeks­en, die auf den Tischen liegen. Auf einem der Zettelchen ist das Fazit dieses Tages zu lesen: »Nicht jene, die streiten sind zu fürchten, sondern jene, die ausweichen.«

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Fotos: dpa/Hasan Bratic Mainzer Spieler versuchen die Aktivisten zu überreden, die Fahnen wieder einzuholen.
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Protestmar­sch gen Kabine: Chinas U20-Fußballer
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