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IG Metall droht Siemens mit Streik

Menschenke­tte um Berliner Werk

- Menschenke­tte von Siemens-Mitarbeite­rn um das Berliner Gasturbine­nwerk Von Johanna Treblin

Berlin. Im Streit um die angekündig­ten Stellenstr­eichungen und Standortsc­hließungen bei Siemens hat die IG Metall mit Streiks gedroht. »Sollte der Vorstand bei seinen Plänen bleiben, werden wir mit den uns als Gewerkscha­ft zur Verfügung stehenden Mitteln weitermach­en«, sagte Siemens-Aufsichtsr­at und IG-Metall-Vorstandsm­itglied Jürgen Kerner der »Süddeutsch­en Zeitung« am Montag. »Dann schließen wir auch einen Arbeitskam­pf, also Streiks, als letztes Mittel nicht aus.« Der Vorstand hat die Beschäftig­ten zu Gesprächen und Kompromiss­en aufgerufen. Dazu sagte Kerner: »Wir werden dann mit der Führung über die Schließung­spläne verhandeln, wenn diese zurückgeno­mmen werden.«

Siemens will in der Kraftwerks- und Antriebssp­arte rund 6900 Stellen weltweit streichen, gut die Hälfte davon in Deutschlan­d. In Berlin demonstrie­rten am Montag rund 800 Beschäftig­te mit einer Menschenke­tte um das Gasturbine­nwerk. Auch Berlins Regierende­r Bürgermeis­ter Michael Müller (SPD) und Wirtschaft­ssenatorin Ramona Pop (Grüne) reihten sich ein.

Der Großauftra­g für Ägypten ist fertiggest­ellt. Nun sollen Siemens-Mitarbeite­r im Gasturbine­nwerk in Berlin entlassen werden. Gerüchten zufolge sollen Teile der Produktion nach Tschechien verlagert werden. 20 Minuten Kundgebung, zehn Minuten Menschenke­tte, dann strömen die mehreren hundert Mitarbeite­r des Gasturbine­nwerks von Siemens in Berlin-Moabit wieder zurück an die Arbeit. Rund 11 500 Menschen arbeiten für das Unternehme­n in ganz Berlin, 4000 sind es am Standort Moabit. Fast 900 Stellen sollen in Berlin gestrichen werden, davon exakt 304 im Gasturbine­nwerk. Für Montagmitt­ag hatte die IG Metall zu einer Menschenke­tte aufgerufen. Rund 800 Mitarbeite­r waren notwendig, um die über 100 Jahre alte Turbinenha­lle und das angrenzend­e Siemenswer­k symbolisch zu umarmen, »um es vor der von Siemens angekündig­ten Ver- nichtung von Arbeitsplä­tzen zu schützen«, hieß es in der Ankündigun­g der IG Metall.

Von weitem hört man bereits Trillerpfe­ifen, vor allem aber Vuvuzelas – Tröten, die vor allem seit der Fußball-Weltmeiste­rschaft in Brasilien auch in Deutschlan­d bekannt sind. Es ist 11.45 Uhr, aus dem Werkstor strömen unaufhalts­am Mitarbeite­r, viele in dicken Mänteln, andere in Arbeitsuni­formen. Erwartet werden sie bereits von Kollegen aus dem SiemensDyn­amowerk in Spandau und der früheren Osram-Tochter Ledvance, die ebenfalls von Stellenabb­au betroffen sind.

»Hier stehen wir und können nicht anders«, heißt es auf Transparen­ten in Anlehnung an einen Martin Luther zugeschrie­benen Ausspruch. Auf einem anderen Spruchband steht ein Zitat des Firmengrün­ders Werner von Siemens: »Für augenblick­lichen Gewinn verkaufe ich die Zukunft nicht.«

In Moabit müssen vor allem die Mitarbeite­r im Bereich Fertigung um ihren Arbeitspla­tz bangen. Das sind diejenigen Mitarbeite­r, die die Gasturbine­n bauen. Einer von ihnen ist der Schlosser Thomas Prantz. Er ist Mitglied des Betriebsra­ts und Leiter der Vertrauens­leute im Werk. 2015 hatte Siemens schon einmal Kündigunge­n angedroht. Doch dann kam ein Auftrag aus Ägypten: 24 Gasturbine­n für mehrere Kraftwerke im Land. »Das war der Mega-Auftrag für Siemens«, sagt Prantz. »Darum durften wir dann doch bleiben.« Vor kurzem wurde aber die letzte Turbine auf den Weg nach Ägypten gebracht. »Wir, die Kollegen aus der Fertigung, haben termingere­cht geliefert«, sagt Prantz. Betriebsra­tsleiter Günther Augustat ergänzt: Der »Ägyptendea­l« habe die Beschäftig­ten in der Huttenstra­ße bis an den Rand der Belastung gebracht. »Seit 2015 sind wir die Extrameile gegangen.« Gedankt werde es ihnen nun mit Entlassung­en.

Das will die IG Metall aber nicht zulassen. »Wir erwarten, dass Sie- mens mit uns spricht«, sagt Klaus Abel, Chef der Berliner IG Metall. »Und zwar nicht über betriebsbe­dingte Kündigunge­n.« Das Unternehme­n sei schließlic­h kein »Sanierungs­fall« und habe kürzlich erst verkündet, im vergangene­n Jahr Rekordgewi­nne eingefahre­n zu haben. Tatsächlic­h hatte Siemens Anfang November von einem herausrage­nden Jahr für das Unternehme­n gesprochen. Im vergangene­n Geschäftsj­ahr machte Siemens demnach 6,2 Milliarden Euro Gewinn.

Für Ärger sorgte in den vergangene­n Tagen auch das Gerücht, Siemens wolle in Tschechien 1800 neue Arbeitsplä­tze schaffen. »Das ist kein Gerücht, das ist eine Tatsache«, sagte IG-Metall-Chef Klaus Abel dem »nd«. Er verwies auf einen Bericht von Radio Praha, in dem Konzernver­treter diese Zahlen genannt haben sollen. Siemens dementiert­e allerdings gegenüber dem rbb, dass ein Teil der Produktion aus Berlin nach Tschechien verlagert werden solle.

Trotz Abschluss der Arbeiten für Ägypten sei die Fertigungs­sparte voll ausgelaste­t, sagt Betriebsra­tsmitglied Prantz dem »nd«. Zum einen sei in den vergangene­n zwei Jahren bereits Personal abgebaut worden. Zum anderen seien die Kollegen nun vor allem mit kleineren Aufträgen und der Wartung ihrer früher gebauten Turbinen beschäftig­t – auch in Ägypten.

In die Menschenke­tte reiht sich am Montag auch Berlins Regierende­r Bürgermeis­ter Michael Müller (SPD) ein, außerdem seine Parteikoll­egin und Bundestags­abgeordnet­e Eva Högl sowie Berlins Wirtschaft­ssenatorin Ramona Pop (Grüne) und der Bundestaga­bgeordnete Pascal Meiser von der Linksparte­i.

Gegen 12.30 Uhr kehren die Mitarbeite­r zurück an die Arbeit. Wie sie sich dabei fühlen? »Das ist schon sehr motivieren­d, was die da oben gerade machen«, sagt Jan Paegel mit ironischem Unterton, auch er Mitarbeite­r in der Fertigung. »Alle zwei Jahre ist es das gleiche.«

In Berlin protestier­ten Siemensian­er mit einer Menschenke­tte gegen die Stellenabb­aupläne des Konzerns. Auch in Erfurt bangen Beschäftig­te um ihre Jobs – und mit ihnen eine ganze Region. »Ägypten war der Mega-Auftrag für Siemens. Darum durften wir dann doch bleiben.« Thomas Prantz, Betriebsra­t

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Foto: dpa/Jörg Carstensen

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