Regenbogen unter Druck
In Ankara sind vorerst alle schwul-lesbischen Kulturveranstaltungen verboten
Die Regenbogenflagge – Symbol der Lesben- und Schwulenbewegung – schmückte vergangene Woche die deutsche Botschaft in der türkischen Hauptstadt Ankara. Grund für dieses ungewöhnliche Bild war das Verbot eines queeren Filmfestivals. Die deutsche Botschaft fungierte als Gastgeberin für das am 16. und 17. November geplante Event, das sie in Kooperation mit dem Zusammenschluss Pink Life QueerFest organisiert hatte.
Am vergangenen Mittwoch, also nur einen Tag vor Beginn der Veranstaltung, untersagte das Gouverneursamt von Ankara diese mit der Begründung, die Filme, die dort gezeigt werden sollten, seien eine »Provokation« und schürten »Hass und Feindschaft gegenüber anderen Teilen der Gesellschaft«. Zudem war diffus von »Terrorgefahr« die Rede.
Der Vorgang löste bei deutschen Diplomaten und unter LGBTI-Aktivisten Empörung aus. »Die Freiheit der Kunst und die Rechte von Minderheiten sind unantastbar! Das muss auch in der Türkei gelten!«, teilte der Europa-Staatsminister Michael Roth (SPD) über den Kurznachrichtendienst Twitter mit. Die deutsche Botschaft verbreitete dieses Statement mit einem Bild der am Gebäude angebrachten Regenbogenflagge in den sozialen Netzwerken.
Doch die türkischen Behörden ließen sich davon wenig beeindrucken und setzten noch eins drauf: Am Wochenende verboten sie für die Provinz Ankara bis auf weiteres und ausnahmslos alle Kulturveranstaltungen der LGBTI-Szene. Betroffen sind unter anderem Theater- und Filmaufführungen, Plena und Ausstellungen, wie das Ankaraer Gouverneursamt am Sonntag erklärte. Als Gründe nannte es »Schutz der öffentlichen Gesundheit und Moral« sowie die »öffentliche Sicherheit«.
Kaos GL, eine der größten und ältesten LGBTI-Organisationen der Türkei, kündigte daraufhin gemeinsam mit dem Verein Pink Life in einem Pressestatement an, man werde »rechtliche Schritte gegen das gesetzwidrige, diskriminierende und willkürliche Verbot des Gouverneurs einleiten«. Die Entscheidung verstoße gegen Artikel 10 der türkischen Verfassung, die den Bürgern Gleichheit vor dem Gesetz, unabhängig von Geschlecht, Religion usw. zusichert. Auch das Grundrecht auf Meinungsfreiheit werde, so Kaos GL, mit dem Vorgehen des Ankaraer Gouverneursamtes verletzt. Applaus kam indes von islamistischer und nationalistischer Seite. Nach dem Verbot des von der deutschen Botschaft organisierten Filmfestivals schrieb das Blatt »Yeni Akit«, in Deutschland lebe »die größte LGBTI-Bevölkerung Europas« und sah die Botschaft als Mittlerin eines schlechten Einflusses.
Das Vorgehen der Behörden knüpft an die Kriminalisierung der Istanbuler Gay Pride an – bis 2015 die größte queere Demonstation in einem mehrheitlich muslimischen Land. 2013 – im Jahr der Gezi-Proteste – beteiligten sich mehr als 100 000 Menschen an der Pride. 2015 wurde sie von der Polizei attackiert, seit 2016 ist sie verboten. Im August 2016 wurde zudem die bekannte Istanbuler LGBTI-Aktivistin Hande Kader ermordet. Nach Zahlen des Netzwerks Transgender Europe sind im Zeitraum 2008 bis 2016 in der Türkei 43 Menschen transphoben Morden zum Opfer gefallen – soviele wie in keinem anderen Land Europas.