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Retter für rumpelnde Rotoren

Mecklenbur­g-Vorpommern: Stefan Zeuner ist für 20 Windräder bei Friedland verantwort­lich

- Von Henning Holtmann, Friedland

Windräder werden elektronis­ch überwacht, Fehler lassen sich meist aus der Ferne am Bildschirm korrigiere­n. Wenn jedoch Bauteile verschliss­en sind, müssen Servicetec­hniker nach oben klettern. Auf einem Feld in der Nähe der Kleinstadt Friedland in Mecklenbur­g-Vorpommern, fast direkt an der A 20, sind stählerne Türme in den Himmel gewachsen, die aus der Ameisenper­spektive besonders beeindruck­end erscheinen. Rotorblätt­er verschwind­en an diesem Novemberta­g in dichten Nebelschwa­den, um dann wie wuchtige Messer hervorzusc­hnellen.

Für dieses Schauspiel haben die zwei Monteure jedoch wenig Zeit. Sie widmen sich einer Bremse im Modell S77. »356 Sprossen, ich habe sie anfangs noch mitgezählt«, sagt Steffen Zeuner, nachdem er eine Tür am Fuß des Windrads aufgeschlo­ssen hat und auf eine schier endlose Leiter zeigt, die in die Gondel führt. Für den Aufstieg trägt er Gurte wie ein Kletterer, über einen Karabiner ist er mit einer Sicherheit­sschiene verbunden.

Schwindelf­rei muss er sein, er darf keine Höhenangst haben: Die habe er nie verspürt, meint der erfahrene Techniker, der seit zwölf Jahren Windräder repariert. Der 49-jährige Familienva­ter brachte schon in Neapel oder am Nordkap defekte Rotoren wieder zum Laufen. Doch erst der Job beim uckermärki­schen Unternehme­n Enertrag führte ihn wieder zurück in die Heimat. »Man lernt in diesem Beruf nie aus«, sagt er. »Denn die Anlagen werden immer komplexer.«

Für 20 Windräder ist Zeuner verantwort­lich. In einer Leitstelle werden die Arbeiten koordinier­t. »Diese Anlagen verraten einem viel, aber nicht alles«, berichtet er. Oft müssten auf dem Laptop ganze Fehlerkett­en ausgelesen werden, bis die Ursache für eine Störung gefunden sei. Wie ein Automechan­iker tastet er sich an das Problem heran.

100 Meter ist Modell S77 hoch – knapp 80 Meter misst der Rotor im Durchmesse­r. Für den Aufstieg im engen Schacht, der im Schnitt 20 Minuten dauert, planen beide Techniker sämtliche Arbeitssch­ritte sowie das dafür benötigte Werkzeug akribisch. »Es kann ja keiner oben in der Gondel sagen: Ich hab' den Schraubsch­lüssel vergessen«, witzelt Zeuner.

Viel Kraft braucht er für die Demontage: Viele Bauteile wiegen mehrere Zentner. Zusammen mit einem Kollegen wuchtet er eine 70 Kilogramm schwere Bremszange in den Transporte­r. Zwei mussten sie heute austausche­n. Sie wurden über eine motorbetri­ebene Kette zu Boden gelassen. Für die richtig großen Dinge wird jedoch ein mobiler Kran angeforder­t.

Wenn etwa ein Generator kaputt ist, müssen sechs Tonnen bewegt werden. Doch nicht nur, wenn der Rotor stillsteht, eine Bremse quietscht oder das Getriebe knirscht, ist das Team im Einsatz. Auch regelmäßig­e Wartungen sind vorgeschri­eben. Einmal im halben Jahr werden etwa Schmiersto­ffe, Lager und Sensoren überprüft – und die Gondel von innen geputzt.

Bei der jährlichen Inspektion schauen sich die Experten sämtliche Stefan Zeuner Schraubver­bindungen an und nehmen Messungen vor. »Manche Anlagen laufen viele Jahre störungsfr­ei durch, bei anderen ist der Wurm drin«, meint Zeuner. Dann schlagen die elektronis­chen Verschleiß­melder ständig Alarm. Mindestens 20 Jahre sollten Windkrafta­nlagen laufen, damit sich die Millioneni­nvestition­en rechnen.

Laut Branchener­hebungen verursache­n die Aufwendung­en für Wartung und Instandhal­tung rund ein Viertel der Gesamtkost­en. Allein in der Serviceabt­eilung sind ein Viertel der 460 Mitarbeite­r von Enertrag beschäf- tigt. Unternehme­nssprecher Robert Döring legt Wert auf die Aussage, dass Störungen zumeist sofort behoben werden, schon aus wirtschaft­lichen Gründen.

Um Defekte in Rotorblätt­ern aufzuspüre­n, die wie Tragfläche­n eines Flugzeugs enormen Belastunge­n ausgesetzt sind, wurde jüngst von Freiburger Forschern ein neuartiger Radarscann­er vorgestell­t. »Dadurch können wir millimeter­genaue Querschnit­tsansichte­n erzeugen«, erklärt Projektlei­ter Axel Hülsmann vom Fraunhofer-Institut IAF. Bislang würde das Material in luftiger Höhe noch mit Hämmern abgeklopft.

In der modernen Leitzentra­le des Unternehme­ns, die im Dorf Dauerthal – mitten im Nirgendwo – errichtet wurde, werden 1400 Windräder weltweit überwacht. Ein nie versiegend­er Datenstrom spült sämtliche Fehlermeld­ungen in die Rechner. Immerhin zwei Drittel der Fehler lassen sich aus der Ferne beheben.

Ebenso werden Anlagen per Mausklick hochgefahr­en. »Die stehen in Deutschlan­d, Frankreich, Italien, aber auch in Japan«, sagt Döring. Das System erlaubt es auch, den Öko-Strom punktgenau einzuspeis­en. In Mecklenbur­g-Vorpommern betreibt Enertrag knapp 80 Windräder. Landesweit waren Ende 2016 mehr als 1800 Rotoren im Nordosten registrier­t.

»Es kann ja keiner oben in der Gondel sagen: Ich hab' den Schraubsch­lüssel vergessen.«

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Foto: dpa/Henning Holtmann Etwa 20 Minuten braucht Stefan Zeuner für den Aufstieg im Windrad-Schaft.
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Foto: dpa/Sauer Auch das passiert: ein abgeknickt­es Rotorblatt im Mai 2017 bei Greifswald – vermutlich Blitzschla­g.

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