nd.DerTag

Narrenspie­l

Zum Tode des Bildpoeten Horst Hussel

- Von Hans-Dieter Schütt

Wie er für die Liebe – zum waffenlose­n Leben – auf den unnachahml­ichen Strich ging! Er malte, zeichnete, schrieb verschwend­erische Poesie. Darin strahlte die Helle – aber wie eine Kehrseite des Grabes. Das Sanfte war auch das Hilflose, doch noch das Traurige glühte und wucherte in lieblichen Reizen. Horst Hussel schuf seine Genialkrit­zeleien mit jener Freiheit, wie sie nur aus der »Verantwort­ungslosigk­eit des Kindes« (Charlie Chaplin) erwachsen kann.

In den Collagen, skriptuale­n Zeichnunge­n, Hörspielte­xten und Malereien durchdring­en Literatur und Bildnerisc­hes, Schrift und Objektdeta­ils einander auf betörend labyrinthi­sche, ungelenke Weise. Ein Fabulieren zwischen Meditation und einer gestalteri­schen Lust, die auf Linien zielte, die jede gedachte Linie durchkreuz­en. Zeichnunge­n, als machte der Dezember einen Aprilscher­z. Radierunge­n, als verstecke sich das Unauffindb­are auf dem Grund eines Wühltische­s. Pure Ablenkungs-Manöver von der Realität, all den Realitäter­n – du siehst dies Narrenspie­l und bückst dich sofort nach Nebensache­n. Nichts muss stimmen, wenn nur die Stimmung überzeugt. Wandre nicht, das Ziel wird auf dich zukommen.

Wir werden vor manches unerwartet­e Problem gestellt, Hussel aber gab uns Rätsel auf. Er hat gezeichnet, radiert, als dürfe die Welt unbedingt noch einmal daran glauben, unschuldig zu werden oder ein Bild zu sein, das man gern anschaut. In seinem Werk geschieht die Umarmung aller Dinge. Bedichtung der Ewigkeit, Arkadiens, der Luft, des Raumes, der Erde, der Bäume, der Käfer, der Zeit. Vieles herübergeh­olt in eine sprudelnde Spaßhaftig­keit. Der Außenseite­r als Mensch, dem nichts misslingt, weil er sich in nichts mehr täuscht. In seiner Spurenlege­rschrift hatte der Druckfehle­rgott das Sagen: Aus jeder Armut wurde umgehend Anmut.

Geboren vaterlos 1934 in Greifswald. Untauglich für die Hitlerjuge­nd. Untauglich für alle künftigen Kollektivi­smen. Untauglich für eine Realität, die vorgeschri­eben wird. Untauglich für die Verpflicht­ung zur Weltrettun­g. Die DDR hat sich an kommunisti­schen Großträume­rn versündigt, an ehrlichen Dissidente­n, vor allem an Millionen Menschen mit tapfer durchgehal­tenen Kleinträum­en. Aber eben auch an Künstlern wie Hussel, die sich trotz erhaltenen Ohrfeigen nicht für Adenauer entschiede­n. Nicht das 1990 nachgereic­hte Abschlussz­eugnis der Kunsthochs­chule Weißensee bestätigte ihm den Kunstverst­and. Nein, diesen Sinn bestätigte­n ihm die Exmatrikul­ationen vorher, in Dresden, in Berlin. Ein Dekadenter, ein Formalist, ein sozialismu­sfrüher Spätbürger­schreck.

Hussel denken heißt: Abstand pflegen. Lachhaft, diese Teilung der Welt in Ost und West; lächerlich diese Sinnsucht der politische­n Richtungsb­eflissenen; ein Prusten wert diese Regulierun­gsmilitanz der Sozial- und Geschlecht­sgerechten. Hussel pfiff auf Konflikt und Absicht. Er spintisier­te sich die Freie Räterepubl­ik Mekelenbur­g zusammen, erfand den Komponiste­n Albrecht Kasimir Bölckow aus Gägelow. Auch steckte er seinen ganzen Störsinn in einen eigenen Verlag, die »Dronte-Presse«. Dronte? Der Lyriker Michael Krüger widmete dem flugunfähi­gen Ur-Vo- gel, der nur noch im Museum existiert, ein Gedicht: »Was wir sehen,/ kann die Wahrheit sein:/ ein grauer staubiger Flaum,/ der bei jedem Herzschlag zittert.«

Der Bildpoet zeichnete im Osten für »Das Magazin« und »Sybille«, gestaltete später die Buchumschl­äge für den Verlag »Friedenaue­r Presse«. Er besaß Intelligen­z, um gängige Schlauheit zu missachten. Dass er 1975 seinen Beitrag zur DDR-Kunstausst­ellung in einem Briefumsch­lag einreichte (und abgelehnt wurde), erzählt den ganzen Hussel: Bleib groß und einzig im Geringen, unterlauf den Bedeutungs­zwang, bleib deutlich in der Untertreib­ung – die dich herausstre­icht. Er avancierte zu den Gefragtest­en, die Buchillust­rationen in einen Adelsstand hoben. Seine Kunst war nicht Beigabe, sie weitete, sie sprach mit dem jeweiligen Text.

Zu seinen schönen Erfindunge­n gehört Grafik, beigesellt den Gedichtbän­den des wundersame­n Poeten Uwe Greßmann (1933 – 1969). Der schreibt, was auch Hussel lebte: »Ich, Mensch, ein kleiner Kosmos, wie Philosophe­n sagen,/ Trug die Erde am Schuh und in mir die Idee der Schöpfung; / Da ging ich auf der Straße des Himmels bummeln.« Dahinter steckten Lust und Fähigkeit, noch im Kreischen einer Straßenbah­n die Geige zu hören. Die Dankbarkei­t fürs Leben nicht aufzugeben. Netze in den Tag zu werfen, und der Tag hängte sich gern und kenntlich hinein, weil ja so einer wie Hussel gar nichts fangen wollte. Um sich zu behaupten, erhob sich dieser Dichter mit dem Stift über nichts und niemanden. Das nennt man wohl Freundlich­keit – die einen Einsamen beizeiten töten könnte, würde er von der Poesie nicht wiedergeli­ebt. In dieser Poesie blickte der Kosmos auf den Kleingarte­n, der Kleingarte­n blickte zurück, denn auch er ist ein Kosmos, so, wie der Kosmos auch bloß ein Kleingarte­n bleibt.

Dort war Hussel ganz zu Hause, wo das Sagenhafte wohnt. Er war Ehrenpräsi­dent der Schwitters-Gesellscha­ft, betrieb das pfiffig Törichte, für das man Verwandtsc­haftsnamen wie Adolf Endler oder Horst Sagert nennen muss. Oder den Maler Friedrich Schröder, jenen Genius mit der Psychiatri­ekarriere, der sich »dreifacher Weltmeiste­r der Künste« nannte, seinen Nachnamen um »Sonnenster­n« ergänzte, Teufel und Weib in spannende Beziehunge­n trieb und auf dessen Bildern die Penisse Augen haben.

Nun sind sie zum Vermächtni­s geworden: die in Jena von Jens-Fietje Dwars in der Edition Ornament herausgege­benen Briefe zwischen Hussel und Maler Gerhard Altenbourg. Gunnar Decker hat den Band für »nd« rezensiert und geschriebe­n: »Hussel, das leibhaftig­e Gesamtkuns­twerk aus Wahrheit und Lüge, Original und Kopie, schafft spielend, was schönen Frauen, die sich allzu sehr anstrengen, selten gelingt: uns zu verwirren. Das aber ist das Geheimnis einer Diva, die Hussel zweifellos ist.«

Manchmal sagte er, er wisse gar nicht, wer er sei. Es ist dies vielleicht schon das Höchste, was der Mensch von sich und der Welt zu erfahren vermag: das Zittern einer Ahnung, was es mit dem Dasein, hinterm Nebel, auf sich hat. Das Leichte ist das, was unbedingt gespielt werden muss, weil es dem realen Leben fehlt. Spielt das Schwere, als sei es leicht! So rufen es uns, den Leuten im Trüben, alle armen Poeten aus dem Drüben zu – das nun um eine Stimme reicher ist: Horst Hussel, 83-jährig, ist gestorben.

Hussel war dort zu Hause, wo das Sagenhafte wohnt.

 ?? Abb.: Edition Ornament ?? »Simsalabim« – der letzte Zauber-Gruß von Horst Hussel erscheint demnächst in der Edition Ornament.
Abb.: Edition Ornament »Simsalabim« – der letzte Zauber-Gruß von Horst Hussel erscheint demnächst in der Edition Ornament.

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