nd.DerTag

Herrschaft des Konjunktiv­s

- Wolfgang Hübner über eine Chance des Parlamenta­rismus

Der Bundestag hat seine praktische Arbeit aufgenomme­n – acht Wochen nach der Wahl. Na immerhin. Mit der ersten Sitzung nach der Konstituie­rung zeigte das Parlament gleich mal, wo die Prioritäte­n liegen: im Abwarten. Ein Hauptaussc­huss übernimmt vorläufig alles, was die zuständige­n Fachgremie­n zu erledigen hätten. Mit denen aber wartet man wohl, bis eine Regierung da ist. Wann das sein wird? Noch vor Weihnachte­n? Erst im Frühjahr? Keiner weiß es. Strittige Fragen werden im Hauptaussc­huss zwischenge­lagert. Am einfachste­n wird wohl die Verlängeru­ng diverser Auslandsei­nsätze der Bundeswehr geregelt. Ein paar Kontinuitä­ten muss es ja geben.

Ansonsten könnte jetzt die Stunde der parlamenta­rischen Kreativitä­t schlagen. Könnte. Denn wer sagt, dass ein Parlament erst voll arbeitsfäh­ig ist, wenn die Regierung steht? Die Legislativ­e, also vor allem der Bundestag, könnte jetzt Beschlüsse fassen und Aufträge erteilen, an die sich die Exekutive, also maßgeblich die Regierung, zu halten hat. Die amtierende und die nächste, reguläre. Die Abgeordnet­en, die ja laut Grundgeset­z »nur ihrem Gewissen unterworfe­n« und vielleicht noch dem Wahlprogra­mm ihrer Partei verpflicht­et sind, könnten drängende Fragen beantworte­n. Wo es in Einzelfrag­en Mehrheiten gibt, könnte entschiede­n werden, frei von Koalitions­disziplin und Opposition­staktik. Ein Fenster der parlamenta­rischen Freiheit steht offen. Aber leider regiert, ganz ohne Sondierung­en, vor allem: der Konjunktiv.

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