SPD streitet über Absage an Große Koalition
Rechte Sozialdemokraten fordern Gespräche / Fraktionschefin Nahles offen für Minderheitsregierung
Nach den gescheiterten Sondierungen steht nun Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Fokus. Er will mit den Parteichefs ausloten, ob nicht doch noch Gespräche möglich sind. In der SPD bröckelt die Front derjenigen, die eine erneute Koalition mit der Union sowie eine engere Zusammenarbeit mit den Konservativen in dieser Legislatur ausschließen. »Wir sollten jetzt darüber reden, wie wir einen Prozess gestalten, der unser Land in eine stabile neue Regierung führt«, sagte die SPD-Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles am Dienstag im ZDF-»Morgenmagazin«. Dieser Prozess könne »zum Beispiel münden« in eine Minderheitsregierung, von der auch Bundeskanzlerin Angela Merkel gesprochen habe.
Die CDU-Chefin hatte allerdings am Montag erklärt, sie wür- de Neuwahlen einer Minderheitsregierung vorziehen. Dabei hatte sie auf die fehlende Stabilität einer solchen Regierung verwiesen.
Andere SPD-Politiker zeigten sich ebenfalls bereit für Gespräche mit der Union. »Wir sind gefordert, zu überlegen, unter welchen Bedingungen wir in eine Große Koalition gehen könnten«, sagte der SPD-Bundestagsabgeordnete Bernd Westphal dem »Handelsblatt«. Der Präsident des SPD-Wirtschaftsforums, Michael Frenzel, sagte der »Welt«: »Ich bin für Gespräche mit der CDU/CSU aus Verantwortung für dieses Land, um in schwierigen Zeiten eine stabile Regierung bilden zu können.« Die Union kann sich auch gut vorstellen, wieder mit der SPD zu regieren.
Am Donnerstag will Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit SPD-Chef Martin Schulz über dieses Thema reden. Die Parteispitze der Sozialdemokraten hatte sich am Montag in einem Beschluss gegen die Fortsetzung der Großen Koalition ausgesprochen. Nach dem Scheitern der Sondierungsgespräche von Union, FDP und Grünen sucht Steinmeier nun das vertrauliche Gespräch mit allen beteiligten Parteivorsitzenden. Am Dienstag waren die Grünen-Chefs Simone Peter und Cem Özdemir sowie der FDP-Vorsitzende Christian Lindner im Schloss Bellevue.
Dass die FDP sich noch einmal mit der Regierungsbildung befassen wird, ist unwahrscheinlich. Lindner hatte in einem Brief an die Parteimitglieder den Abbruch der Sondierungen gerechtfertigt und um Unterstützung geworben. »Dieses Experiment einer Vierparteienkoalition ist leider gescheitert«, schrieb Lindner. Der Geist des Sondierungspapiers sei nicht zu verantworten gewesen.
Derweil amtiert noch immer die geschäftsführende schwarz-rote Bundesregierung. Sie kann sich allerdings auf keine feste Koaliti- on im Bundestag stützen. Die Verlängerung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr dürfte trotzdem problemlos über die Bühne gehen. Allein die LINKE lehnt diese Einsätze grundsätzlich ab. Die Abgeordneten überwiesen am Dienstag fünf Militärmissionen an den neu eingesetzten Hauptausschuss, um sie zu beraten. Die Abstimmung im Plenum ist in den kommenden Wochen geplant.
Die Grünen sind mit dem Klimaschutz als Kernthema in den Wahlkampf gezogen. Bei den Sondierungsgesprächen gab es bis zum Schluss kein Ergebnis zum Kohleausstieg. Hat der Exit der FDP den Grünen eine Zerreißprobe in Form von ausgewachsenen Flügelkämpfen erspart?
Es gab kein finales Ergebnis, auch nicht beim Kohleausstieg, weil die FDP, kurz bevor man es aufschreiben konnte, den Stift weggeworfen hat. Natürlich hätten auch wir Grüne auf unserem Parteitag, so oder so, eine leidenschaftliche Debatte über das Sondierungsergebnis gehabt. Das ist das Wesen von demokratischen, pluralistischen Parteien. Von Flügelkämpfen sind wir aber aus meiner Sicht, gerade weil wir als Partei gemeinsam auf allen Ebenen bis zur Erschöpfung und darüber hinaus so für unsere Themen gekämpft haben, zum Glück so weit entfernt wie schon lange nicht mehr.
FDP-Chef Christian Lindner hatte zwischendurch die Energiewende insgesamt in Frage gestellt. Der globale Markt spricht aber eine andere Sprache: Erneuerbare Energien werden immer günstiger, Kohleund Atomkraft sind ohne Subventionen nicht mehr wirtschaftlich. Sollte das nicht gerade die neoliberale Partei zum Klimaschutzantreiber machen?
Das hatte ich auch gehofft und wir sind anfänglich mit dem Willen herangegangen, dass man den vermeintlichen Gegensatz ÖkonomieÖkologie in der inhaltlichen Debatte zusammenbringen könnte. Zum Beispiel, wenn man mit ganz unterschiedlichen Perspektiven über ein neues Strommarktdesign spricht. Der diesbezügliche Appell zu mehr Klimaschutz von über 50 Unternehmen während der Sondierungen hat diese Erwartungshaltung ja auch noch mal unterstrichen. Hier muss man aber ganz deutlich sagen: Auch wir Grünen waren schockiert, dass wir erst mal drei Wochen dafür kämpfen mussten, dass die bestehenden deutschen und internationalen Klimaziele überhaupt gelten. Das ist natürlich etwas grotesk, zumal parallel die Weltklimakonferenz in Bonn stattfand. Es zeigt aber auch, wie wichtig ein Grünes Mitwirken beim Klimaschutz nach wie vor ist, weil er eben für die andern Parteien keine Selbstverständlichkeit ist.
Die Union signalisierte zum Schluss, sie könne sich vorstellen, bis 2020 Kohlekraftwerke mit sieben Gigawatt Leistung vom Netz zu nehmen. Wie hilfreich wäre das gewesen? Das wäre schon deutlich besser gewesen als die vorher diskutierten drei bis fünf Gigawatt, auch wenn wir noch nicht ganz da waren, wo wir Grünen hinwollten. Da CO2 in der Luft kumuliert, kommt es auf jede Tonne an, und wir haben um jede gekämpft. Zentral wäre gewesen, den schrittweisen sozialverträglichen Kohleausstieg unumkehrbar einzuleiten und eine Dynamik für mehr Klimaschutz auszulösen. Wie damals unter RotGrün bei der Energiewende, wo ja auch der Einstieg in den Atomausstieg eine Dynamik bei den erneuerbaren Energien auslöste, die niemand erahnte. Und Klimaschutz hört ja nicht bei der Kohle auf, sondern geht bei Verkehr und Landwirtschaft weiter. Ja, gerade beim Tierwohl und der Kennzeichnungspflicht konnten wir Grünen überzeugen, einen Reduzierungsplan bei Pestiziden festschreiben und eine strukturelle Wende ein- leiten. Das entspricht zwar nicht unseren Maximalforderungen, aber wir haben das Kapitel schon vor Sonntag zu einem Abschluss gebracht.
Die SPD will trotz Jamaika-Aus in der Opposition bleiben. Was wäre aus Ihrer Sicht jetzt besser: noch mal eine Große Koalition, eine Minderheitsregierung der Union oder Neuwahlen?
Eines haben die Sondierungsgespräche zu Jamaika gezeigt: Dass sich alle mittlerweile um den Klimaschutz kümmern, kann man nicht sagen. Nicht nur die FDP, sondern auch die Union mussten wir drücken und schieben, damit wir beim Klimaschutz auch nur ein Stück weit vorankommen und Rückschritte verhindert werden. Die SPD hat vier Jahre mitregiert, ihre Umweltministerin Barbara Hendricks hat zumindest versucht, den Kohleausstieg irgendwie zu thematisieren – und ist unter anderem an ihrer eigenen Partei gescheitert. Deswegen wäre eine erneute Große Koalition kein gutes Zeichen für den Klimaschutz. Ich will, dass wir Grünen mitregieren, weil ich den Kohleausstieg gesetzlich verankern will.
Ein rot-rot-grünes Bündnis war vor der Bundestagswahl im September bei der Mehrheit der Wähler nicht sehr beliebt. Jamaika ist vorerst gescheitert. Heißt das, dass Sie im Falle von Neuwahlen auf SchwarzGrün hinarbeiten wollen?
Ich kämpfe für starke Grüne. Je stärker wir Grünen, desto besser fürs Klima.
Jamaika ist gescheitert und die SPD will keine Große Koalition – ungeachtet der noch nicht abgeschlossenen Suche nach einer Bundesregierung hat der Bundestag seine Arbeit aufgenommen.