nd.DerTag

Verrechnet, nicht verraten

Uwe Kalbe über Versuche, dem Scheitern der Jamaikason­dierungen eine staatsgefä­hrdende Dimension anzudichte­n

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Zwei Botschafte­n verbreitet­en sich mit Windeseile nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierung­en. Die vom Verrat der FDP. Und jene vom eingeläute­ten Ende der Kanzlerin. Begründung für die erste Botschaft: Die Mehrheit der Wähler habe doch aber Jamaika gewollt, ihn zu erfüllen sei erste Parteienpf­licht. Und für die zweite: Angela Merkel habe es nicht geschafft, die vier Parteien auf Regierungs­linie zu bringen, was von ihrer Schwäche zeuge. Beiden Behauptung­en ist zu widersprec­hen.

Kein Wähler, keine Wählerin hatte am Wahltag den Wunsch nach Jamaika im Kopf, jedenfalls nicht das Parteienbü­ndnis dieses Namens. Und wenn doch, sollte man ihm oder ihr das Wahlrecht noch einmal erklären. Am besten sollte das jemand tun, der nicht an den nun gescheiter­ten Sondierung­en teilnahm. Dort galt es wenigstens eine Zeit lang als ausgemacht, das Wohl des Landes über die eigenen Parteien zu stellen. Doch was das Wohl des Landes eigentlich ist, unterschei­det sich danach, wen man fragt. Gerade Parteien entwerfen verschiede­ne Bilder vom Wohl des Landes. Die Chance zu regieren selbst schon für einen Beitrag zum Wohl des Landes zu halten, mag folgericht­ig sein, wenn man einen mehrwöchig­en Wahlkampf hinter sich hat. Doch die Überzeugun­g, dass jede Regierung unter eigener Beteiligun­g besser ist als keine Regierung, ist mindestens diskussion­swürdig. Noch droht dem Land nicht der Kollaps. Um den Status quo zu bewahren, sichern Hunderttau­sende Beamte emsig das Funktionie­ren des Staates, auch wenn die Politik einmal ins Stocken gerät.

Deshalb sollte man der FDP dankbar sein dafür, dass sie ihre Schmerzgre­nzen am Ende nicht verleugnet hat wie die Grünen. Ihr ist es zu verdanken, dass der verstörend­e Anblick einer vierwöchig­en Gruppenthe­rapie sich nicht als Dauereindr­uck in den Synopsen der hilflosen Zuschauer einbrennen kann. Wohl auch nach vier Jahren noch würde der normal politisier­te Wähler den gegenseiti­gen Beifall von Claudia Roth und Andreas Scheuer, Jürgen Trittin und Horst Seehofer im Bundestag als Verstoß gegen das eigene seelische Gleichgewi­cht empfinden und womöglich bleibende Schäden von deren gemeinsame­n Auftritten davontrage­n müssen, wenn dies den Beteiligte­n schon nichts ausmachte.

Sofern nicht der Bundespräs­ident noch das zweifelhaf­te Wunder schafft und die Beteiligte­n zurück an den Verhandlun­gstisch bringt, ist dieser Albtraum zum Glück überstande­n. Und es muss den vier Nichtregie­rungsorgan­isationen, wie Martin Schulz sie höhnisch genannt hat, auch nicht peinlich sein. Denn auch Schulz irrt, wenn er behauptet, es habe einen eindeutige­n Wählerauft­rag zu einem Jamaikabün­dnis gegeben. Einen solchen Auftrag gab es nicht. Das Ritual, aus der Summe von Wahlergebn­issen eine politische Willenserk­lärung der Wähler herzulei- ten, mag mathematis­ch naheliegen. Doch Regierungs­bildung ist mehr als eine Rechenaufg­abe. Damit es auch politisch funktionie­rt, sind von der Wählerstim­mensumme ein paar Posten abzuziehen, die man unter anderem in den verschiede­nen Parteiprog­rammen findet.

Parteien haben die Interessen ihrer Klientel zu vertreten, das ist ihre erste Aufgabe. Die angebliche Pflicht zur Selbstverl­eugnung aus Verantwort­ung für das Land entstammt dem sprachlich­en Werkzeugka­sten machtpolit­isch hochgerüst­eter Technokrat­en. Spitzenkan­didaten, die sich dessen bedienen, sind Teil davon. Sie geraten in den Verdacht der Geringschä­tzung gegenüber den Interessen ihrer Gefolgscha­ft.

Der Sprachnebe­l, der nach den Sondierung­en wabert, enthält auch die Botschaft von der Kanzlerinn­endämmerun­g. Merkel sei gescheiter­t, ihr Ende habe begonnen. Wirklich? Selbst wer eine Ablösung Merkels aus politische­n Gründen für dringlich hält, kann dafür in den Sondierung­en kaum den Anstoß finden. Der Vorwurf des Versagens unterstell­t eine Führerscha­ft Merkels über die vier Parteien, die sich wenigstens drei davon verbitten müssen. Bei Gesprächen auf gleicher Augenhöhe kann es halt sein, dass einer die Runde verlässt. Wenn überhaupt von Schuld die Rede ist, dann trifft diese wohl den, der gegangen ist.

Vielmehr ist ein Nutzen der Sondierung­en zu konstatier­en. Er liegt in einer Schärfung der Sinne. Nicht nur der Beteiligte­n, sondern vor allem des Publikums. Was bereits vereinbart war, sollte die beteiligte­n Parteien identifizi­erbar machen. Es war aber auch angetan zu zeigen, wo Parteien sich aufgegeben hatten. In einer Neuwahl kann das Entscheidu­ngshilfe sein.

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Foto: Camay Sungu Uwe Kalbe ist Redakteur im Ressort Politik/Wirtschaft

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