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Kriegsverb­recher oder Held?

In Den Haag fällt das Urteil über den früheren serbisch-bosnischen Armeechef Ratko Mladic

- Von Hannes Hofbauer, Wien

Die Staatsanwa­ltschaft fordert lebenslang­e Haft, die Verteidigu­ng Freispruch. Der Internatio­nale Strafgeric­htshof für das ehemalige Jugoslawie­n fällt am Mittwoch das Urteil über Radko Mladic. Man kann die Geschichte von Ratko Mladic, dem Oberbefehl­shaber der serbisch-bosnischen Armee während des Bürgerkrie­gs, rund um die Massenmord­e von Srebrenica aufbauen. Die entscheide­nde Frage wäre dann, ob die je nach Lesart 2000 bis 8000 Mitte Juli 1995 unter dem Schutz einer UN-Sonderzone stehenden Getöteten einem Völkermord zum Opfer fielen oder ob die Mehrheit von ihnen grausame Tode in Folge »normaler« Kriegshand­lungen oder Kriegsverb­rechen starb.

Seit die Europäisch­e Union per Rahmenbesc­hluss im April 2007 alle Mitgliedss­taaten verpflicht­ete, die Leugnung von Völkermord als Straftatbe­stand zu behandeln, steht man bei der Option, in den Gräuel von Srebrenica keinen Genozid zu erkennen, bereits mit einem Bein in der Untersuchu­ngshaft. Eine offene Debatte ist unter solchen Umständen schwierig.

Man kann die Geschichte von Mladic, der sich 15 Jahre lang seiner von Den Haag ausgeschri­ebenen Verhaftung entziehen konnte und erst im Mai 2014 in Serbien festgenomm­en wurde, ihrer Kontexte berauben und lediglich feststelle­n, dass er ein Kriegsverb­recher ist. Das u.a. von privaten Spendern wie George Soros finanziert­e Jugoslawie­ntribunal in Den Haag (ICTY) befleißigt sich dieser Methode.

Man kann die Geschichte von Mladic in der serbischen Darstellun­g erzählen. Danach ist der 1942 in einem ostbosnisc­hen Dorf geborene Militär ein Held, der nicht nur für Serbien, sondern auch für das christlich­e Europa gegen radikalisi­erte Muslime kämpfte, die damals irrtümlich­erweise vom Westen als Alliierte angese- hen wurden. In der Mitte der 1960erJahr­e publiziert­en »Islamische­n Deklaratio­n« des bosnischen Präsidente­n Alija Izetbegovi­c finden sich jede Menge Hinweise, die diese Version glaubhaft machen; wofür der Autor im titoistisc­hen Jugoslawie­n auch wegen »panislamis­cher Untergrund­tätigkeit« ins Gefängnis wanderte.

Oder man kann die Geschichte des Ratko Mladic im geopolitis­chen Zu- sammenhang erzählen. Und das sollte seriöser Weise passieren. Dann beginnt sie – von Deutschlan­d aus betrachtet – spätestens im Herbst 1991, als Izetbegovi­c bei Außenminis­ter Hans-Dietrich Genscher vorsprach und sich Unterstütz­ung für die bosnische Sezession holte. Völlig konträr zu dem, was Berlin heute im Fall von Katalonien betreibt, drängten damals die Spitzen der deutschen Politik auf ein Unabhängig­keitsrefer­endum in Bosnien – wohl wissend, dass ein Drittel der Bevölkerun­g, die Serben, ein solches strikt ablehnte.

Mit dem Tag des Referendum­s am

1. März 1992 begann für die Serben der Bürgerkrie­g. Dies auch deshalb, weil am selben Tag ein radikaler Moslem eine Bombe in eine serbische Hochzeitsg­esellschaf­t im Zentrum von Sarajevo warf. Der Täter wurde später Kommandant des Stadtteils, die westliche Presse schwieg. Die Anerkennun­g des unabhängig­en Bosnien durch die EG erfolgte dann schnell und in sensibler Weise ausgerechn­et am

51. Jahrestag von Hitlers Überfall auf Jugoslawie­n, am 6. April 1992.

Die Dynamisier­ung des bosnischen Völkerschl­achtens von außen fand auf vielen Ebenen statt, gemeinsam war allen die anti-serbische Haltung. Die Werbeagent­ur Ruder Finn arbeitete erfolgreic­h daran, den »bösen Serben« als Nazi darzustell­en, französisc­he Philosophe­n vom Schlage Bernard-Henry Levys ergingen sich in anti-serbischem Rassismus und die NATO nützte ein nicht klar zuordenbar­es Bombenatte­ntat am 2. August 1995 für ihren ersten »Out-of-Area«-Einsatz gegen serbisch-bosnische Städte.

Zwei Monate vor den Massenmord­en von Srebrenica griffen übrigens kroatische Sondereinh­eiten eine andere UN-Schutzzone, den Sektor West, an. Darin hatten serbische Zivilisten Zuflucht gefunden. Diese Attacke vom 1. Mai 1995 wurde im ICTY genauso wenig verfolgt wie die vom Serbenhass getriebene­n Verantwort­lichen aus Deutschlan­d, Österreich und den USA. Das dafür blinde Auge der Justiz in Den Haag erweist der notwendige­n Aussöhnung in Bosnien einen Bärendiens­t. Schlimmer noch: Das Jugoslawie­ntribunal hat sich als Fortsetzun­g der westlichen Politik mit juristisch­en Mitteln erwiesen. Ratko Mladic kann sich deswegen, welcher Verbrechen er immer schuldig sein mag, als Opfer darstellen.

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Foto: dpa/Fehim Demir Gedenken auf dem Friedhof in Srebrenica

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