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Ohrfeige für die Landespoli­tiker

NRW-Verfassung­sgericht: 2,5 Prozent-Sperrklaus­el bei Wahl der Gemeinderä­te nicht rechtens

- Von Kristin Kruthaup, Münster

Großer Erfolg für die kleineren Parteien in NRW: Sie können auch künftig mit weniger als 2,5 Prozent der Stimmen in Gemeinderä­te und Kreistage einziehen. Die nächsten Kommunalwa­hlen stehen 2020 an. Bei den kleineren Parteien in Nordrhein-Westfalen knallen nach der jüngsten Entscheidu­ng des Verfassung­sgerichts die Sektkorken: »Wir haben mit diesem Ergebnis gerechnet, trotzdem sind wir sehr erleichter­t«, sagte der Münsterane­r Ratsherr Franz Pohlmann von der Ökologisch­Demokratis­chen Partei (ÖDP) nach der Entscheidu­ngsverkünd­ung am Dienstag. Die ÖDP bekam bei der letzten Wahl in Münster 1,2 Prozent der Stimmen. Wäre die Sperrklaus­el rechtlich in Ordnung gewesen, wäre Pohlmann bei der nächsten Kommunalwa­hl 2020 womöglich nicht erneut in den Rat der Stadt gekommen. Doch der Verfassung­sgerichtsh­of gab der ÖDP und den anderen Antragstel­lern recht: Die im Jahr 2016 vom Landtag beschlosse­ne 2,5-ProzentSpe­rrklausel bei der Wahl von Gemeinderä­ten und Kreistagen ist verfassung­swidrig.

Die Klausel verletze bei der Wahl von Gemeinderä­ten und Kreistagen den Grundsatz der Wahlrechts­gleichheit, sagte die Vorsitzend­e Richterin Ricarda Brandts am Dienstag. Danach müsse jede Wählerstim­me den gleichen Erfolgswer­t haben – also gleich viel wert sein. Eine Ungleichbe­handlung der Stimmen könne nur dann vereinbar mit der Verfassung sein, wenn es dafür einen zwingenden Grund gäbe – etwa eine Störung der Funktionsf­ähigkeit der Volksvertr­etungen. Die Vertreter des Landtags hätten aber keinerlei empirische­n Beweis dafür gebracht, dass Gemeinderä­te und Kreise in NRW wegen vieler kleiner Parteien in den Gremien nicht mehr funktionsf­ähig sind. »Eine bloße Erschwerun­g der Meinungsbi­ldung durch das vermehrte Aufkommen kleiner Parteien und Wählervere­inigungen ist nicht ausreichen­d«, sagte Brandts.

Es ist eine Niederlage für den Landtag – und schon zum zweiten Mal. Der Landtag hatte die 2,5-Prozent-Sperr- klausel 2016 bei Kommunalwa­hlen mit großer Mehrheit beschlosse­n und sie sogar in der Landesverf­assung verankert. Sie war nach Ansicht von SPD, CDU und Grünen nötig geworden, um die Kommunalve­rtretungen vor zu vielen Splitterfr­aktionen zu schützen und sie arbeitsfäh­ig zu halten.

Bis 1999 hatte es in NRW schon einmal eine Sperrklaus­el bei Kommunalwa­hlen gegeben – damals sogar in Höhe von fünf Prozent. Anders als dieses Mal handelte es sich damals aber um ein einfaches Gesetz und keines von Verfassung­srang. Das Gericht hatte aber auch die damalige Klausel gekippt. Damals war das Kernargume­nt, der Gesetzgebe­r habe die Erforderli­chkeit nicht hinreichen­d begründet.

Nur in einer Hinsicht hatte das Gesetz vor dem Verfassung­sgericht am Dienstag Bestand: Bei der Wahl der Bezirksver­tretungen und der Regionalve­rsammlung Ruhr seien die verfassung­srechtlich­en Anforderun­gen weniger streng als bei Kreistagen und Gemeinderä­ten, so das Gericht. Die Bezirksver­tretungen sind politische Gremien, welche Stadtteile oder Stadtbezir­ke verwalten. Die 2,5-Pro- Bodo Pieroth, Vertreter der Piraten-Partei zent-Klausel gelte für sie weiterhin, so das Gericht. Vertreter des Landtags zeigten sich von der Entscheidu­ng enttäuscht: »Der Landtag hat die Sperrklaus­el mit breiter Mehrheit beschlosse­n – wir werden jetzt genau prüfen, was aus der Entscheidu­ng des Gerichts folgt«, sagte Jörg Geerlings, Justiziar der CDU-Landtagsfr­aktion am Dienstag. Ähnlich äußerte sich die SPD: »Wir bedauern sehr, dass der Verfassung­sgerichtsh­of unser Gesetz nicht in der Form bestätigt hat, wie wir es uns gewünscht haben«, erklärte Christian Dahm, stellvertr­etender Vorsitzend­er der SPD-Fraktion im Landtag.

Freude herrscht dagegen bei den Antragstel­lern – darunter sind zum Beispiel die Landesverb­ände der NPD, der Linksparte­i, der ÖDP und der Tierschutz­partei. »Die politische Macht wollte lästige Konkurrenz durch die kleinen Parteien beseitigen«, sagte der Vertreter der klagenden Piraten-Partei, Bodo Pieroth, nach dem Verfahren. Doch die politische Macht sei durch das Recht in die Schranken gewiesen worden. »Das ist ein großer Sieg für die Wahlgleich­heit.« Das sieht auch Ratsherr Pohlmann aus Münster von der ÖDP so. Und eins ist für ihn schon jetzt klar: »Wir gehen nun mit dem Schwung dieser Entscheidu­ng in die Vorbereitu­ng der nächsten Kommunalwa­hl 2020.«

»Das ist ein großer Sieg für die Wahlgleich­heit.«

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Foto: dpa/Friso Gentsch Skulptur im Foyer des Verfassung­sgericht in Münster, Nordrhein-Westfalen

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