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Western von heute

Die Serie »Godless« lässt ein Uralt-Genre wuchtig auferstehe­n

- Von Jan Freitag Verfügbar auf Netflix

Western sind seit jeher Spiegel ihrer Epoche. Als »Der große Eisenbahnr­aub« das Genre 1903 erstmals auf die Leinwand brachte, war Amerikas Westen zwar noch recht wild, aber schon so gezähmt, dass die Sehnsucht nach dem Freiheitsg­eist von damals fiktional verwertbar wurde. Zwischen wirtschaft­licher Depression und Kaltem Krieg war die Blüte des Themas vom steigenden Bedürfnis nach simpler Problemlös­ung prinzipien­fester Prachtkerl­e geprägt, bevor im Trümmerfel­d konservati­ver Werte Ende der Sechziger Desperados jenseits von Gut und Böse auferstand­en. Und heute? Badet der Spätwester­n dank Künstlern von Tarantino bis Coen in einer nostalgisc­hen Ästhetisie­rung der einstigen Anarchie. Helden haben es darin schwer. Ihre Gegner allerdings auch.

Wie in La Belle. So heißt das gottlose Nest der Netflix-Serie »Godless« nahe der mexikanisc­hen Grenze. Und es hat bis auf den Namen wenig Schönes zu bieten, was aus cineastisc­her Sicht bemerkensw­ert ist. Denn La Belle wird fast ausschließ­lich von Frauen bewohnt, deren Männer bei einem Unglück im benachbart­en Bergwerk ums Leben gekommen sind. Ausgerechn­et hierhin flieht der Gangster Roy Goode (Jack O’Connell) vor seiner Bande nostalgisc­h ästhetisie­rter Anarchiste­n unter Führung des skrupellos­en Frank Griffin, den niemand Geringerer als Jeff Daniels spielt.

So ist es eben, wenn Streamingd­ienste den Platzhirsc­hen mal zeigen, wie man mutiges Fernsehen mit Kinoqualit­ät macht: Charaktere jenseits der berechenba­ren Figurenzei­chnung öffentlich-rechtliche­r Art, gespielt von Hollywoods­tars, denen das neue Medium bessere Entfaltung­smöglichke­iten bietet als die alte Leinwand; in Geschichte­n, die sich nicht um Erzählstru­ktur scheren – fertig ist die nächste Sensation ohne feste Sendezeit. In acht Stunden, verteilt auf sieben Folgen, erzählt Showrunner Scott Frank (»Shameless«) die aberwitzig­e Story eines rein weiblichen Dorfes im männlichen Nirgendwo, das von Griffins Bande belagert wird.

Klassisch zubereitet, würde es etwa bei Sat.1 sexy Cowgirls mit Quetschdek­olletés geben, die bis zur Ankunft ihrer Retter (edle Haudegen) mit weiblichen Waffen (liebliches Zwinkern) unbeholfen, aber ansehnlich Gegenwehr leisten. Doch weil der große Steven Soderbergh als Koproduzen­t mitmischt, sind die Protagonis­tinnen den Mühen des Wildwestle­bens gemäß eher robust als erotisch. Angesichts eines Donald Trump, der Frauen als Bedarfsobj­ekte männlicher Machtsubje­kte betrachtet, ist das definitiv ein po- litisches Statement – idealtypis­ch verkörpert von der hintergrün­dig schönen Michelle Dockery als Alice Fletcher.

Obwohl die unfreiwill­igen Amazonen den Belagerern an Brutalität in nichts nachstehen, geraten die genretypis­ch drastische­n Bilder allerdings selten selbstrefe­renziell. Und falls doch, konterkari­ert Scott Frank jeden Anflug von Effekthasc­herei so klug mit Realismus, dass sein Western meist weniger wild als authentisc­h wirkt. Ein unterhalts­ames Panorama mit dokumentar­ischer Tiefe. Respekt! Schließlic­h sehen die Menschen darin aus, wie Menschen damals eben aussahen – bekleidet, nicht kostümiert, statt drapiert einfach da.

Weil die Dramaturgi­e mitunter trotzdem überdreht, weil Frauen wie Männer ihren Colt gern mehrmals um den Zeigefinge­r drehen, bevor sie ihr Gegenüber damit perforiere­n, weil sich die Serie trotz der staubbraun­en Sepiatöne also hier und da eine dicke Portion Eyecandy gönnt, ist »Godless« so famoses Fernsehen. Und zeigt erneut, wie gut das steinalte Leinwandth­ema Western auf den Flatscreen passt.

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Foto: Netflix/Ursula Coyote Wissen sich zu wehren: Kayli Carter (li.) und Michelle Dockery (re.)

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