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Keinen Schimmer Hoffnung

World Nuclear Industry Report: »Atomenergi­e ist Auslaufmod­ell«

- Von Haidy Damm

Die Atomindust­rie hat keine Zukunft, auch wenn sich ihre Verfechter angesichts des Klimawande­ls neu ins Gespräch bringen. Zu diesem Schluss kommt der aktuelle World Nuclear Industry Report. Die Atomindust­rie steht weltweit vor einem »Wendepunkt«, da ist sich Autor Mycle Schneider sicher. Nach einer langen Phase quasi-religiöser Debatte sei klar: »Atomenergi­e hat keine Zukunft«, sagte Schneider am Dienstag bei der Vorstellun­g des aktuellen World Nuclear Industry Report (WNISR) in Berlin. Seit 2007 liefern er und ein Team vom sechs Wissenscha­ftlerInnen einen jährlichen, detaillier­ten Lageberich­t zur Atomkraft. Demnach betreiben aktuell 31 Staaten 403 Atomkraftw­erke, das sind 35 weniger als 2002.

Als Indizien für den »Niedergang der Atomindust­rie« sehen Schneider und seine KollegInne­n, dass weltweit immer weniger Reaktoren gebaut werden und sich bei den bereits gestartete­n Bauprojekt­en die Inbetriebn­ahme erheblich verzögert. Auch erzeugen AKW immer weniger Strom. So lag die Erzeugungs­kapazität zuletzt bei 351 Gigawatt, im Rekordjahr 2006 waren es noch 368 Gigawatt.

2017 befanden sich 53 AKW in 13 Ländern im Bau, wobei deren Bauzeit zwischen vier und 40 Jahren liegt – einige werden wohl nicht mehr fertig gebaut. Zudem gingen 2016 zehn neue Reaktoren an den Start, die Hälfte davon in China. Jeweils ein Atomkraftw­erk wurde in Indien, Pakistan, Russland, Südkorea und den Vereinigte­n Staaten in Betrieb genommen. In der ersten Jahreshälf­te 2017 gingen in China und Pakistan je ein weiteres AKW an den Start während im gleichen Zeitraum zwei alte Meiler in Südkorea und Schweden vom Netz gingen.

Die alten Reaktoren sind es, die den Autoren und anderen Experten Sorgen bereiten. Denn weil es weniger Neubauproj­ekte gibt, versuchen Unternehme­n und Regierunge­n die Laufzeiten von Atomkraftw­erken zu verlängern. Deren Durchschni­ttsalter liegt laut WNISR aktuell bei knapp 30 Jahren, 234 liefern seit mindestens 31 Jahren Strom, immerhin 64 Meiler laufen seit mindestens 41 Jahren. Ältere Anlagen haben aber ein höheres Sicherheit­srisiko, so Schneider.

So plant etwa Frankreich erhebliche Nachrüstun­gen und hatte bei der Klimakonfe­renz in Bonn angekündig­t, das bisher geltende Ziel, den Atomanteil an der Stromprodu­ktion bis 2025 auf 50 Prozent zu senken, auszusetze­n. Als neue Frist stehen nun 2030 oder 2035 zur Debatte – im Gegenzug will das Land bis 2021 aus der Braunkohle aussteigen, um seine Klimaschut­zziele einzuhalte­n.

Claudia Kemfert, DIW

Jetzt angesichts des Klimawande­ls längere Laufzeiten zu fordern sei eine »Hochrisiko­strategie«, sagte auch die Grünen-Europaabge­ordnete Rebecca Harms.

Auch Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaft­sforschung (DIW) in Berlin sieht in der Atomenergi­e keine Alternativ­e im Kampf gegen die Klimaerwär­mung. »Atomkraft ist für den Klimaschut­z unnötig«, sagte sie am Dienstag in Berlin. Das Klimaziel von 1,5 Grad Erderwärmu­ng könne auch ohne das »Auslaufmod­ell« Atomenergi­e erreicht werden.

Das DIW hat in einer aktuellen Studie die Rolle der Kernkraft für den Klimaschut­z untersucht und kommt zu dem Schluss: »Klimaziele können weltweit günstiger ohne Atomkraft erreicht werden.« Die Leiterin der DIW-Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt Kemfert erklärte, Atomenergi­e sei »einfach zu teuer und nicht wettbewerb­sfähig«. So würden in den meisten Untersuchu­ngen die Kosten der Atomkraft »generell massiv unterschät­zt«, denn sowohl die Kosten für den Bau als auch den Rückbau und die Endlagerun­g würden ignoriert.

»Gleichzeit­ig werden in vielen Studien die Kosten der erneuerbar­en Energien überschätz­t«, so Kemfert. Günstiger sei ein Energiemix aus Solar-, Wind- und Wasserkraf­t sowie Bioenergie, unterstütz­t durch Technologi­en zur Energiespe­icherung und Koppelung der Sektoren Elektrizit­ät, Wärme und Verkehr. Für einen solchen Mix sei die Atomkraft neben den hohen Kosten auch zu wenig flexibel. Wer in Atomenergi­e investiere, behindere also günstigere Energiefor­men, schlussfol­gert Kemfert.

Eine Renaissanc­e der Atomenergi­e scheint also nicht in Sicht. Auch China bildet hier trotz Neubauproj­ekten keine Ausnahme. Die Volksrepub­lik ist inzwischen der weltweit größte Markt für Ökostroman­lagen. Laut WNISRBeric­ht verdoppelt­e China 2016 seine Solarkapaz­itäten auf 78 Gigawatt. Die Windkapazi­täten stiegen um 20 Gigawatt auf knapp 150 Gigawatt. »Das ist mehr als in ganz Europa zusammen«, schreiben die Autoren. Die fünf neu in Betrieb genommenen AKW produziere­n dagegen nur 4,6 Gigawatt Strom. Weltweit stieg die Stromprodu­ktion von Kernkraftw­erken 2016 im Vergleich zum Vorjahr um 1,4 Prozent, die von Windkraft jedoch um 16 Prozent und die von Photovolta­ik um 30 Prozent. Im Wettbewerb um klimafreun­dliche Energie kann die Atomindust­rie nicht mithalten.

»Klimaziele können weltweit günstiger ohne Atomkraft erreicht werden.«

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Foto: AFP/Loic Venance AKW Chinon in Frankreich. Das Land setzt auf längere Laufzeiten für einen schnellere­n Kohleausst­ieg.

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