Integration durch gemeinsames Arbeiten
Der Ökonom Alexander Betts fordert eine Industrie- und Sozialpolitik für Einheimische und Geflüchtete
Alexander Betts, Sie bringen in Sachen Integration von Flüchtlingen die Privatwirtschaft ins Spiel. Soll der freie Markt ein Problem lösen, das die Nationalstaaten nicht in den Griff bekommen?
Nein, die Privatwirtschaft allein kann das nicht leisten. Aber sie kann einen wichtigen Beitrag liefern. Die Staaten müssen Schutz und Rechte garantieren. Aber um die sozio-ökonomischen Rechte durchzusetzen, muss die Privatwirtschaft aktiv werden.
Sie haben in Uganda und Kenia Untersuchungen zur unternehmerischen Tätigkeit von Geflüchteten durchgeführt und in Jordanien die Integration von Syrern in dortige Sonderwirtschaftszonen angeregt. Was sind Ihre wichtigsten Erkenntnisse?
Die überraschendste Erkenntnis war das Ausmaß der Beteiligung am Arbeitsmarkt. In Uganda, wo Flüchtlinge offiziell ein Recht auf Arbeit haben, war der Anteil der Unternehmer unter den Geflüchteten proportional sogar höher als in der Bevölkerung des Gastgeberlandes. In der Hauptstadt Kampala hatten 21 Prozent der Geflüchteten ein Unternehmen gegründet, in dem mindestens eine weitere Person angestellt war. In diesen Unternehmen fanden nicht nur andere Geflüchtete, sondern auch Personen aus der einheimischen Bevölkerung einen Arbeitsplatz.
Noch größer war unsere Überraschung in Kenia. Dort herrscht offiziell ein Arbeitsverbot für Geflüchtete. Dennoch trafen wir auf viele, die eigene Unternehmen gegründet hatten und andere Personen einstellten, darunter auch Kenianer. Selbst wenn die Gesetze es verbieten, die lokalen Behörden aber tolerant reagieren, kann zumindest ein großer und lebhafter informeller Sektor entstehen.
In Jordanien stieß ich 2015 auf eine Sonderwirtschaftszone, der es an Arbeitskräften mangelte. Nur rund 15 Minuten entfernt war das Flüchtlingscamp Zaatari mit etwa 80 000 Menschen. Ich regte an, Arbeitserlaubnisse für die syrischen Geflüchteten auszustellen und sie in der Sonderwirtschaftszone zu beschäftigen.
Was geschah seitdem?
Zunächst zögerte die jordanische Regierung – aus Angst vor Problemen mit der einheimischen Bevölkerung. Wir argumentierten, dass das Projekt für Jordanien eine gute Möglichkeit darstellen könnte, selbst einen industriellen Sektor aufzubauen, dafür ausländische Investitionen zu akqui- rieren und zudem Handelskonzessionen von europäischen Ländern zu erhalten. Bislang wurden 60 000 Arbeitserlaubnisse für Syrer erteilt. Viele allerdings, das muss man auch sagen, gelten für die Bau- und Landwirtschaft. Es handelt sich meist um die Legalisierung von informellen Arbeitsverhältnissen. Aber selbst das ist ein Fortschritt, denn der gesetzliche Rahmen sieht Mindestlohn, Krankenversicherung, Urlaub und Mutterschaftsschutz vor. Ließe sich das jordanische Beispiel auf andere Länder übertragen?
Es hat bereits Nachahmer gefunden. Äthiopien hat mit seinen Industriezonen das jordanische Modell übernommen. Geflüchtete arbeiten dort gemeinsam mit Äthiopiern. Und auch Malaysia denkt über eine Umsetzung nach.
Was lässt sich für Europa daraus ableiten? Was würden Sie einer künftigen Bundesregierung raten?
Alexander Betts (37) hat das Zeug zum Umstürzler. Der Direktor des Refugee Studies Centre an der Universität Oxford untersuchte, wie Geflüchtete weltweit in den lokalen Arbeitsmarkt integriert werden können, ohne dass die einheimische Bevölkerung dabei verliert. Mit dem früheren Mitarbeiter des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR sprach am Rande der Konferenz »Falling Walls« in Berlin Tom Mustroph. Ich denke, es muss zunächst eine klare Erzählung darüber geben, was seit 2015 geschehen ist. Es war damals die richtige Entscheidung, die Grenzen zu öffnen. Aber es ist kein Ansatz für die Zukunft. Die Herausforderung liegt darin, Migrations- und Fluchtbewegungen gut zu steuern. Das betrifft in erster Linie die Herkunftsregion und die Nachbarländer. Etwa 60 Prozent aller Geflüchteten weltweit leben in nur zehn Ländern, die allesamt nicht in Europa liegen. Wir müssen dort Arbeitsplätze schaffen und Rückkehrperspektiven entwickeln.
Daneben braucht es hierzulande Anstrengungen für die sozio-ökonomische Integration der Menschen. Deutschland macht es schon richtig, indem es viel in die Bildung investiert. Es muss aber auch gefragt werden, inwieweit der Arbeitsmarkt dereguliert werden muss, damit Flüchtlinge und Migranten einen Zugang haben, vielleicht sogar einen privilegierten Zugang. Sonst besteht die Gefahr, dass sie auf den informellen Sektor angewiesen sind oder im Status der Fürsorge verharren. Wenn Menschen in der Sozialhilfe gefangen bleiben oder, wie es häufig in den unmittelbaren Nachbarländern der Fall ist, untätig in den Flüchtlingscamps verweilen, erodieren ihre Fähigkeiten, was sich auch negativ auf Aufbauleistungen nach einer Rückkehr auswirkt.
Eine weitere Deregulierung des Arbeitsmarktes dürfte in Deutschland und anderswo angesichts der prekären Situation vieler Gerade-nochBeschäftigter aber kaum zu vermitteln sein.
Das ist sehr schwer, zugegeben. Meine Botschaft an die Regierungen ist immer: Eine gute Flüchtlingspolitik muss auch eine gute Politik für die Gesamtbevölkerung sein. In den Gebieten, in denen die AfD massiv gewählt wurde und in denen zuvor die arbeitsintensiven Industrien abgebaut wurden, müssen Sozial- und Industriepolitik neue Möglichkeiten schaffen – für die einheimische Bevölkerung wie für Geflüchtete, so dass die einen die anderen als Chance und nicht als Bedrohung wahrnehmen.