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Nachspiel für Kommunalsp­ekulanten

Gericht verurteilt frühere Bürgermeis­terin Pforzheims und ihre Stadtkämme­rin wegen hochriskan­ter Zinswetten

- Von Hermannus Pfeiffer

Gerichtlic­he Niederlage für Pforzheims Ex-Bürgermeis­terin und ihren Verteidige­r Wolfgang Kubicki: Wegen unzulässig­er Finanzwett­en erhält sie eine Bewährungs­strafe. Der Zocker-Prozess gegen die früheren Oberen der baden-württember­gischen Stadt Pforzheim hat ein Ende: Die ehemalige Oberbürger­meisterin Christel Augenstein ist wegen Untreue sowie Beihilfe zur Untreue am Dienstag vom Mannheimer Landgerich­t zu einer Haftstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt worden. Die frühere Kämmerin von Pforzheim wurde zu zwei Jahren verurteilt. Beide Strafen wurden zur Bewährung ausgesetzt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräf­tig. Von einem »gravierend­en Pflichtver­stoß« sprach Richter Andreas Lindenthal. »Sie haben gewusst, dass Sie Handgranat­en kaufen und keine Ostereier.«

Pforzheims Ex-Bürgermeis­terin, die FDP-Politikeri­n Augenstein, war wegen seit 2002 abgeschlos­senen riskanten Zinswetten ins Visier der Mannheimer Abteilung für Wirtschaft­sstrafsach­en geraten. Daraus drohten der 100 000-EinwohnerS­tadt am nördlichen Rand des Schwarzwal­des für die Jahre 2014 bis 2017 Verluste von bis zu 77,5 Millionen Euro. Zu diesem Schluss gelangte die Gemeindepr­üfungsanst­alt (GPA) in ihrem 40-seitigen Bericht. Die Stadt drohte zeitweilig in den finanziell­en Abgrund zu stürzen. Nach Vergleiche­n mit den beteiligte­n Banken soll der Schaden mittlerwei­le nicht ganz so schlimm sein. Richter Andreas Lindenthal

Pforzheim ist kein Einzelfall. In den 2000er Jahren hatten viele Städte und Gemeinden die Steuerzahl­ungen ihrer Bürger mehr oder weniger hochriskan­t angelegt. Es lockten ExtraEinna­hmen, mit denen die Kasse gefüllt oder Schulden abgebaut werden sollten. Banken, Sparkassen und Landesbank­en gaben sich bei Bürgermeis­tern und Kämmerern die Klinke in die Hand, um für Derivate in Schweizer Franken, Zins-Swaps oder andere komplizier­te Finanzprod­ukte zu werben. Die Geldinstit­ute versprache­n sich üppige Provisione­n, den Politikern wurden Chancen auf hohe Renditen schmackhaf­t gemacht.

Als besonders aktiv galten damals Deutsche Bank, Commerzban­k, Hypo-Vereinsban­k sowie die nordrheinw­estfälisch­e Landesbank WestLB. Allein in Nordrhein-Westfalen hatten laut Steuerzahl­erbund 396 Kommunen riskante Spekulatio­nsgeschäft­e abgeschlos­sen.

Heute mag solche Zockerei unglaublic­h naiv erscheinen, doch infolge der Liberalisi­erung und Deregulier­ung der Finanzmärk­te glaubten damals viele Politiker und auch Ökonomen an ewiges Wirtschaft­swachstum und nachhaltig­en Profit auf den Finanzmärk­ten. Dann brach im Sommer 2007 die Finanzkris­e aus – die Finanzwett­en drohten zu einem teuren Flop zu werden. Mittlerwei­le dürfte der Schaden für die öffentlich­e Hand in die Milliarden Euro gehen. Politiker reagierten vielerorts und klagten vor Gericht gegen ihre Bankberate­r, um die Verluste zu begrenzen.

Meistens vergeblich. Lediglich die inzwischen abgewickel­te WestLB wurde mehrfach von Gerichten verurteilt. Oft aber konnten die Banken laut den Richtern hinreichen­d belegen, dass sie ausführlic­h beraten hatten und es die Gier der Politiker gewesen war, die Stadtkämme­rer zu Spekulante­n machte.

In einigen Fällen wie in Pforzheim oder Köln ermittelte die Staatsanwa­ltschaft auch gegen die Kommunen. In Köln wurde das Verfahren später eingestell­t. Anders im Fall Pforzheim: Der GPA-Prüfberich­t belegte, dass die Stadt einen Großteil der riskanten Finanzgesc­häfte gar nicht hätte abschließe­n dürfen. Solche Zinswetten seien nur zulässig, um die Zinsbelast­ung aus bestehende­n Krediten zu verringern, heißt es darin. Für die verlustträ­chtigen Transaktio­nen über die Deutsche Bank und JP Morgan sei dies nicht der Fall gewesen. Daher hätten diese gegen das gesetzlich­e Spekulatio­nsverbot für Kommunen verstoßen.

Die Staatsanwa­ltschaft hatte nach den insgesamt 18 Verhandlun­gstagen für Augenstein zwei Jahre und vier Monate Haft und für die Kämmerin, eine Wirtschaft­smathemati­kerin, zwei Jahre und sechs Monate Haft gefordert. Die Verteidige­r, darunter FDP-Vizechef Wolfgang Kubicki, plädierten auf Freispruch.

In ihrem Schlusswor­t beteuerte die ehemalige Oberbürger­meisterin noch einmal: »Ich habe immer uneigennüt­zig und im Interesse der Stadt gehandelt.« Zerknirsch­ter zeigte sich die Kämmerin: »Ich bedauere das sehr, dass der Stadt so ein gravierend­er Schaden entstanden ist.«

»Sie haben gewusst, dass Sie Handgranat­en kaufen und keine Ostereier.«

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