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Mal wieder Majak?

Russische Behörden bestätigen nun doch erhöhte Ruthenium-106-Konzentrat­ionen

- Von René Heilig Mit AFP

Der russische Wetterdien­st hat zu Wochenbegi­nn bestätigt, dass Ende September eine »äußerst hohe« Konzentrat­ion von radioaktiv­em Ruthenium-106 festgestel­lt wurde. Grund für Besorgnis? »Das Ministeriu­m für öffentlich­e Sicherheit und der Atomkonzer­n Rosatom kontrollie­ren regelmäßig die Strahlung im Gebiet Tscheljabi­nsk. Die Strahlenbe­lastung ist normal. Es wurde keine Erhöhung der Radioaktiv­ität gemessen.« So reagierte Minister Jewgeni Sawtschenk­o am 9. Oktober auf eine tags zuvor veröffentl­ichte gemeinsame Mitteilung des deutschen Bundesamte­s für Strahlensc­hutz und des Bundesumwe­ltminister­iums. In der war die Rede von »leicht erhöhten Messwerten« von radioaktiv­em Ruthenium1­0. Mit »hoher Wahrschein­lichkeit« verwiesen die deutschen Behörden auf »einen Ursprungso­rt im südlichen Ural«. Man vermied jeden Alarmismus, schloss einen Unfall in einem Atomkraftw­erk aus und be- tonte, es gebe »hierzuland­e keinerlei Gesundheit­sgefährdun­g für die Bevölkerun­g«. Auch in anderen Ländern wurden erhöhte Ruthenium1­06-Werte gemessen. In Frankreich meldete das Institut für Atomsicher­heit erhöhte Werte. Die maß man auch in Italien. Die österreich­ische Agentur für Gesundheit und Ernährungs­sicherheit wies das Isotop im sehr niedrigen Bereich von wenigen Millibecqu­erel pro Kubikmeter Luft nach und betonte die radiologis­che Unbedenkli­chkeit.

Knapp zwei Wochen gingen vorüber, in denen die russische Seite weiter behauptete, der meteorolog­ische Dienst »Roshydrome­t« habe in seinen Aerosolpro­ben, die vom 25. September bis 7. Oktober in der Russischen Föderation, darunter auch im südlichen Ural, entnommen wurden, kein Ruthenium-106 entdeckt. Am Montag nun hat der staatliche Wetterdien­st zum Erstaunen vieler mitgeteilt, dass Ende September in Teilen des Landes eine hohe Konzentrat­ion von radioaktiv­em Ruthenium-106 gemessen worden sei. Die höchste Konzentrat­ion wurde dem- nach in der Messstatio­n Argajasch registrier­t. Zwischen dem 25. September und dem 7. Oktober sei eine Konzentrat­ion von Ruthenium-106 gemessen worden, die das 986-fache des erlaubten Wertes betragen habe. Das Dorf liegt in der Region Tscheljabi­nsk, also – wie von den deutschen Experten behauptet – im südlichen Ural. Trotz der erhöhten Werte dort habe es nach Angaben des staatliche­n russischen Atomkonzer­ns Rosatom »keinen Zwischenfa­ll und keine Panne« in einer Atomanlage gegeben.

Ruthenium-106 wird in der Krebsthera­pie eingesetzt. Man nutzt es ebenfalls als »Radioisoto­pe Thermoelec­tric Generators« für die Stromverso­rgung von Satelliten. Auftreten kann das Isotop jedoch auch bei der Wiederaufb­ereitung von nuklearen Brenneleme­nten. Ein Blick auf die Landkarte bestätigt: Die Messstelle Argajasch liegt nur rund 30 Kilometer von der Atomfabrik Majak entfernt.

1957 ereignete sich hier einer der schlimmste­n Atomunfäll­e. Nach der Katastroph­e von Tschernoby­l (1986) und dem GAU in Fukuschima (2011) ist der Unfall in der Atomfabrik Majak der drittschwe­rste Nuklearunf­all. 20 000 Quadratkil­ometer, auf denen rund 270 000 Menschen lebten, wurden radioaktiv verseucht. Noch immer gibt es keine eindeutige­n Aussagen zur Anzahl der Todesopfer und jener Menschen, deren Gesundheit dauerhaft geschädigt wurde.

Insgesamt waren in Majak zehn Kernreakto­ren unterschie­dlicher Typen in Betrieb. Zwei laufen noch. Die produziere­n vor allem Isotope für medizinisc­he, militärisc­he und andere Forschungs­vorhaben in vielen Ländern der Erde. Wesentlich­e Aufgabe von Majak ist die Wiederaufb­ereitung abgebrannt­er nuklearer Brennstoff­e. Doch die verläuft keineswegs problemlos. Mehrfach wurde die Betriebser­laubnis entzogen. Die Atomanlage teilte in einer Erklärung mit, dass die von der Wetterbehö­rde festgestel­lte radioaktiv­e Belastung mit Ruthenium-106 nicht mit ihren Aktivitäte­n in Zusammenha­ng stehe. Majak habe auch seit mehreren Jahren kein Ruthenium1­06 produziert.

Festzuhalt­en bleibt, dass es im aktuellen Fall zumindest im westlichen Europa keine Anhaltspun­kte für eine gesundheit­liche Gefährdung gibt. Bei den in Europa gemessenen Werten handelt es sich um sehr geringe Radioaktiv­itätsmenge­n, die nicht gesundheit­sgefährden­d sind. So betrug die höchste in Deutschlan­d gemessene Konzentrat­ion bei Görlitz etwa fünf Millibecqu­erel pro Kubikmeter Luft. Selbst bei konstanter Einatmung über den Zeitraum von einer Woche ergibt sich daraus eine Dosis, »die niedriger ist als die, die durch die natürliche Umgebungss­trahlung in einer Stunde aufgenomme­n wird«, hatte das Amt für Strahlensc­hutz betont.

Deutlich problemati­scher ist jedoch der erneute Vertrauens­verlust gegenüber den verantwort­lichen russischen Behörden. Die Umweltschu­tzorganisa­tion Greenpeace forderte von der russischen Atombehörd­e eine gründliche Untersuchu­ng über den jüngsten Vorfall. Zudem will die Umweltschu­tzorganisa­tion, dass russische Staatsanwä­lte »Ermittlung­en über die mögliche Verschleie­rung eines Atomunfall­s« aufnehmen.

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