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Bundeswehr auf Heldensuch­e

Entwurf für neuen Traditions­erlass stellt Nazi-Wehrmacht und NVA auf eine Stufe

- Von René Heilig

Die amtierende Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen (CDU) hat den Entwurf eines neuen Traditions­erlasses für die Bundeswehr vorgelegt. Weder die Wehrmacht noch die NVA dürfen Vorbild sein. Man merkt es der Ministerin an, die Sache mit der Geschichte, dem Erbe und den Traditione­n der Bundeswehr ist ihr wichtig. Im April erst war Franco A. aufgefloge­n. Der rechtsextr­em orientiert­e Oberleutna­nt soll mit einer falschen Identität als syrischer Bürgerkrie­gsflüchtli­ng ein Attentat geplant haben.

A. war im französisc­hen Illkirch stationier­t. Dort gab es wie selbstvers­tändlich ein sogenannte­s Traditions­zimmer mit allerlei Devotional­ien aus Hitlers Wehrmacht. Eine Ausnahme? Keineswegs, wie »Stubendurc­hgänge«, die Generalins­pekteur Volker Wiecker sogleich in allen Bundeswehr­objekten befohlen hatte, ergaben. Offenbar hatte sich in der Truppe allerlei historisch­er Ballast »eingeschli­chen«, war aus dem Verteidigu­ngsministe­rium zu hören.

In den Einheiten reagierte man erstaunt, empört und bisweilen widerborst­ig auf von der Leyens »Bilderstür­merei«. Der Ministerin, auch aus anderen Gründen von Militärs gescholten, blieb nur der Angriff im Namen von Rechtsstaa­t und Demokratie. Dafür stellte von der Leyen einen Drei-Sterne-General ab und ordnete vier Workshops zur Überarbeit­ung des aktuellen, 1982 unter SPD-Ministersc­haft beschlosse­nen Traditions­erlasses der Bundeswehr an. Die letzte Beratung hallte noch nach, da lag schon ein neunseitig­er Entwurf über »Richtlinie­n zum Traditions­verständni­s und zur Traditions­pflege« auf dem Ministersc­hreibtisch.

In dem Entwurf ist viel Allgemeine­s zu lesen: »Tradition ist der Kern der Erinnerung­skultur der Bundeswehr.« Sie »schafft und stärkt Identifika­tion, erhöht Einsatzwer­t und Kampfkraft und motiviert zu einer verantwort­ungsvollen Auftragser­füllung«. Ihre Pflege »ermöglicht das Bewahren und Weitergebe­n von Werten und Vorbildern, die sinnstifte­nd sind«. Man betont das Grundgeset­z sowie die Werte und Normen der freiheitli­chen demokratis­chen Grundordnu­ng, fordert eine »kritische Auseinande­rsetzung mit der Vergangenh­eit, auf den ethisch-moralische­n Geboten der Konzeption der Inneren Führung und auf ihrer gesellscha­ftlichen Integratio­n als Armee der Demokratie«.

Bei künftigen »Stubendurc­hgängen« will man nicht noch einmal überrascht werden. Daher wird festgelegt, in den Kasernen haben Nazisymbol­e, »insbesonde­re das Haken- kreuz« nichts zu suchen. »Ausgenomme­n davon sind Darstellun­gen, die der Auseinande­rsetzung mit dem Nationalso­zialismus in der politische­n oder historisch­en Bildung dienen.« Auch dienstlich­e Kontakte mit Nachfolgeo­rganisatio­nen der Waffen-SS oder der Ritterkreu­zträger sind tabu.

Manches in dem Entwurf entspricht den Aussagen im 1982er Erlass. Man stellte Sätze um, tauschte Begriffe. So wurden aus den »tiefen Einbrüchen« in der Geschichte deutscher Streitkräf­te im vorliegend­en Entwurf »tiefe Zäsuren«. Während im noch geltenden Erlass zu lesen ist, dass ein »Unrechtsre­gime wie das Dritte Reich«, keine Tradition begründen kann, liest man nun wertender und präziser formuliert: »Der verbrecher­ische NS-Staat kann Tra- dition nicht begründen. Für die Streitkräf­te eines freiheitli­chen demokratis­chen Rechtsstaa­tes ist die Wehrmacht als Institutio­n nicht sinnstifte­nd. Gleiches gilt für ihre Truppenver­bände, Organisati­onen, Militärver­waltung und den Rüstungsbe­reich.«

Von einem verbrecher­ischen Angriffskr­ieg, den die Wehrmacht maßgeblich vorantrieb, oder vom Holocaust ist nichts zu lesen. Wohl aber formuliert­e man Ausnahmen: »Grundsätzl­ich möglich« sei die Aufnahme »einzelner Angehörige­r der Wehrmacht in das Traditions­gut der Bundeswehr«. Voraussetz­ung ist eine »sorgfältig­e Einzelfall­betrachtun­g und Abwägung, die die Frage persönlich­er Schuld einschließ­t sowie eine Leistung zur Bedingung macht, die vorbildlic­h oder sinnstifte­nd in die Gegenwart wirkt«. Gemeint ist »die Beteiligun­g am militärisc­hem Widerstand gegen das NS-Regime« oder besondere Verdienste um den Aufbau der Bundeswehr.

Wo ordnet man da Hitlers Feldmarsch­all Rommel ein? Wie ist das mit Fliegerass Steinhoff, der Inspekteur der Bundesluft­waffe wurde? Was ist mit Heusinger oder Foertsch, die bei der Wiederbewa­ffnung als Fachleute unentbehrl­ich waren? Sicher scheint, dass die Tage gezählt sind, an denen »Helmut Lent« am Rotenburge­r Kasernento­r steht. Hitlers Nachtjäger­idol wurde 1944 abgeschoss­en und hat somit keine Chance auf eine Karriere nach der Karriere.

Man wird sehen, was passiert, wenn Meinungen zu Lent und Co. er- neut aufeinande­r prallen. Das Ministeriu­m versucht sich Ärger vom Hals zu halten. Traditions­pflege und historisch­e Bildung »sind Führungsau­fgaben« und liegen in der Verantwort­ung der Inspekteur­e sowie der Kommandeur­e und Dienststel­lenleiter.

Zerstreut werden soll der Eindruck, dass der neue Traditions­erlass notwendig ist, weil die Nähe der Bundeswehr zur Nazizeit zu eng ist. In 62 Jahren Bundeswehr gebe es genügend Sinnstifte­ndes. Die Welt hat sich gravierend verändert: Der Kalte Krieg endete, die Wehrpflich­t auch, Frauen und Bewerber mit Migrations­hintergrun­d strömen in die Truppentei­le. Die Armee ist im Einsatz. Weltweit. Findet man in diesen – zumeist – Kriegseins­ätzen nicht genügend (tote) Helden zur Verehrung?

Der vorliegend­e Entwurf verlangt die »Achtung der Menschenwü­rde«, die »Wahrung von Rechtsstaa­tlichkeit und Völkerrech­t«, hält Freiheit und Frieden hoch. Auch im Gefecht. Womit es hoffentlic­h niemals eine Kaserne »Oberst Klein« geben wird. Der Bundeswehr­kommandeur, inzwischen General, hat 2009 in Afghanista­n über einhundert Zivilisten in den Tod bomben lassen.

Und was ist mit der »Armee der Einheit«. Die sei, so hört man an Jahrestage­n, ja auch eine beachtensw­erte Tatsache in der deutschen Militärges­chichte. Die NVA wird im neuen Traditions­erlass beachtet – durch eine eindeutige Distanzier­ung gegenüber der Nationalen Volksarmee. »Als Hauptwaffe­nträger der Partei-Diktatur der SED war sie fest in die Staatsideo­logie der DDR eingebunde­n und wesentlich­er Garant für die Sicherung ihres politisch-gesellscha­ftlichen Systems.« Dieser Passage folgt – nach einem Absatz – folgender Text: »Ausgeschlo­ssen aus der Tradition der Bundeswehr sind insbesonde­re Personen, Truppenver­bände und militärisc­he Institutio­nen, die nach heutigem Verständni­s eindeutig verbrecher­isch, rassistisc­h oder menschenve­rachtend gehandelt haben.«

Nur Ungeschick­lichkeit? Täuscht der Eindruck oder will von der Leyen tatsächlic­h Wehrmacht und NVA auf eine Stufe stellen? Das würde die Verbrechen der Nazi-Armee auf perfide Weise verharmlos­en und die Lebensleis­tung von Soldaten in der DDR, deren höchste Motivation der Erhalt des Friedens war, herabwürdi­gen.

Der Entwurf wird nun in den militärisc­hen wie zivilen Bereichen der Bundeswehr intern debattiert. Dass sich das Parlament beteiligt, ist kaum zu erwarten. Es gibt ja nicht einmal einen zuständige­n Verteidigu­ngsausschu­ss, dem die Ministerin den Entwurf vorstellen könnte. So wird der neue Traditions­erlass zum Beginn des neuen Jahres in Kraft gesetzt. Vermutlich ohne größere Änderungen.

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Foto: fotolia/Oliver Nowak

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