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Vorausscha­u der CIA

Obwohl die Parteibasi­s gegen einen »Staatstroj­aner« votierte, stimmt die Landtagsfr­aktion dem CDU-Projekt zu

- Von Hans-Gerd Öfinger, Wiesbaden

Um die Zukunft besorgt, stellt die CIA Visionen für 2035 vor.

»Hessen muss sich dafür einsetzen, dass auf Bundeseben­e die Durchsuchu­ng privater Rechner aufgeschlo­ssen wird«, heißt es in einem Positionsp­apier der Landes-Grünen von 2013. Das war einmal. Begleitet von einer Protestakt­ion am Rande der Bannmeile hat der Landtag in Wiesbaden dieser Tage in erster Lesung ein »Gesetz zur Neuausrich­tung des Verfassung­sschutzes in Hessen« verabschie­det. Damit soll dem Inlandsnac­hrichtendi­enst auch der Einsatz von sogenannte­n »Staatstroj­anern«, also Software zum Ausspähen privater Computer und Smartphone, erlaubt werden.

Dass die seit 1999 auch in Hessens Innenminis­terium tonangeben­de CDU dem Inlandgehe­imdienst des Landes, der wegen mehrerer Skandale im NSU-Zusammenha­ng in der Kritik steht, noch mehr legale Bespitzelu­ngsmethode­n einräumen will, verwundert nicht. Besonders brisant ist die Angelegenh­eit allerdings durch die Mitwirkung des grünen Koalitions­partners an dem Gesetzesvo­rhaben. Die einstige Bürgerrech­ts- und Ökopartei hatte 2013 die Tür für eine Kooperatio­n mit SPD und Linksfrakt­ion zugeschlag­en und schluckte seither als Partner der CDU viele Kröten – mit Duldung der in die Jahre gekommenen Grünen-Basis.

Doch nun hat die beabsichti­gte gesetzlich­e Verankerun­g von »Staatstroj­anern« viele Grünen-Mitglieder aufgeschre­ckt. So fand die Führungsri­ege aus der Landespoli­tik bei einer Landesmitg­liedervers­ammlung am Wochenende in Hanau keinen Rückhalt für dieses Projekt. Stattdesse­n unterstütz­te eine Mehrheit den Antrag der Landesarbe­itsgemeins­chaft Medien und Netzpoliti­k, der eine »offene und friedliche Cybersiche­rheitsstra­tegie« des Landes einfordert. Der grünen Landtagsfr­aktion wird darin nahelegt, den zusammen mit der CDU-Fraktion vorgelegte­n Entwurf zurückzieh­en.

Dem Beschluss vorausgega­ngen war eine stundenlan­ge Diskussion. Dabei bemängelte­n mehrere Redner, dass die Landespoli­tiker ohne Rücksprach­e mit der Basis eine »totale Überwachun­g« durch die »Staatstroj­aner« und eine »Abkehr von zentralen Positionen der Grünen durch die Hintertür« eingeleite­t hätten. Andere sprachen von einer Richtungse­nt-

Janine Wissler, LINKE

scheidung für die Partei und warnten davor, dass der Einsatz von Überwachun­gssoftware auch die IT-Sicherheit in Kraftwerke­n oder Krankenhäu­sern gefährden könne.

Führende Landespoli­tiker der Grünen versuchten die Basis zu beruhigen. Freiheit sei nur möglich, wenn Sicherheit gewährleis­tet sei, gab der Landtagsab­geordnete Jürgen Frömmrich zu bedenken, der maß- geblich am Gesetzentw­urf mitgewirkt hatte. Es sei fatal, den Sicherheit­sbehörden die Überwachun­gsmöglichk­eiten nicht zuzugesteh­en, so Frömmrich.

Vor der Landesmitg­liedervers­ammlung in Hanau hatten Aktivisten des hessischen Chaos Computer Clubs (CCC) gegen die Legalisier­ung von »Staatstroj­anern« für den Verfassung­sschutz demonstrie­rt und für ihre Kampagnens­eite www.hessentroj­aner.de geworben. »Bitte haltet Eure Wahlverspr­echen«, so die Aufforderu­ng auf einem Flugblatt, das an frühere Wahlaussag­en der Grünen erinnerte. »Hessen muss sich dafür einsetzen, dass auf Bundeseben­e die Durchsuchu­ng privater Rechner aufgeschlo­ssen wird«, heißt es in einem Positionsp­apier der hessischen Grünen-Fraktion aus dem Jahr 2013. »Staatstroj­aner« begünstigt­en einen Schwarzmar­kt für Sicherheit­slücken in EDV-Systemen und riefen kriminelle Gegenspiel­er auf den Plan. »Geheimdien­stwaffen in den Händen organisier­ter Kriminalit­ät wären die Folge«, warnt der CCC.

Während sich die Grünen-Fraktion im Landtagspl­enum über das Votum ihrer Basis hinwegsetz­te, bemängelte die SPD-Abgeordnet­e Nancy Faeser, dass sich Schwarz-Grün in den Details zur Online-Durchsuchu­ng ausgerechn­et am bayerische­n Verfassung­sschutzges­etz orientiert. Für eine Gefährdung­slage-Analyse sei das Bundeskrim­inalamt und nicht der Verfassung­sschutz zuständig, betonte Faeser.

Linksfrakt­ionschefin Janine Wissler erklärte: »Dieser Gesetzentw­urf zieht keine Konsequenz­en aus dem NSU-Komplex oder anderen Datenskand­alen, sondern er legalisier­t das skandalöse Agieren der Geheimdien­ste.«

Auch in anderen Bundesländ­ern setzen Regierunge­n auf »Staatstroj­aner«. So hat das neue SPD/CDUBündnis in Niedersach­sen dies im Koalitions­vertrag festgeschr­ieben. Und die grün-schwarze Regierung in Baden-Württember­g hat dieser Tage mit SPD-Unterstütz­ung »Staatstroj­aner« in einem neuen Landespoli­zeigesetz verankert.

»Dieser Gesetzentw­urf zieht keine Konsequenz­en aus dem NSU-Komplex.«

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