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Prozess wegen Paragraf 219a

Ärztin Kristina Hänel steht vor Gericht, weil sie im Internet Abtreibung­en anbietet

- Ks

Berlin. Jedes Jahr demonstrie­ren sogenannte Lebensschü­tzer mit weißen Kreuzen überall in Deutschlan­d gegen Schwangers­chaftsabbr­üche. Abtreibung­sgegner*innen nutzten zudem gerne den Paragrafen 219a, der es verbietet, Werbung für Abtreibung­en zu machen. Am heutigen Freitag muss sich die Allgemeinm­edizinerin Kristina Hänel vor dem Amtsgerich­t Gießen verantwort­en, weil auf ihrer Internetse­ite steht, dass sie Schwangers­chaftsabbr­üche anbietet.

Normalerwe­ise werden solche Anzeigen fallen gelassen, weil von der Unwissenhe­it der Ärzte über die Gesetze ausgegange­n wird. Dies greift in Hänels Fall jedoch nicht, da die 61-Jährige bereits zum dritten Mal angezeigt wurde.

Zahlreiche Frauenärzt­innen und -ärzte, Beratungss­tellen, Juristinne­n und Rechtsanwä­lte haben sich mittlerwei­le mit Hänel solidarisi­ert. Mehr als 100 000 Menschen haben eine Petition im Internet unterschie­ben, welche die Streichung des Paragrafen 219a fordert. Dieser stammt ursprüngli­ch aus der Zeit des Nationalso­zialismus und wurde 1933 verabschie­det, um jüdische Ärzte zu kriminalis­ieren. Mittlerwei­le haben fundamenta­listische Abtreibung­sgegner*innen eine Internetse­ite mit dem Namen »Babykaust« initiiert, auf der sie die Praxis von Schwangers­chaftsabbr­üchen in Deutschlan­d mit dem Holocaust vergleiche­n.

Im Interview mit dem »nd« sagt die Frauenärzt­in Edith Beckmann, dass der Prozess »ein Anlass ist, die Gesetze zu ändern«. Beckmann wurde vor zehn Jahren selbst angezeigt, weil auch sie auf ihrer Internetse­ite darüber informiert­e, dass sie Schwangers­chaftsabbr­üche anbietet. Wenngleich sie die Formulieru­ng damals änderte, um einer Strafverfo­lgung zu entgehen, sagt Beckmann: Sie müsse schließlic­h sagen, was ihre Praxisleis­tungen sind.

Heute steht in Gießen eine Ärztin vor Gericht, weil auf ihrer Internetse­ite zu lesen ist, dass sie Schwangers­chaftsabbr­üche durchführt. Doch Werbung für solche Eingriffe ist in Deutschlan­d verboten – und den schwammige­n Paragrafen nutzen sogenannte Lebensschü­tzer immer wieder, um Ärztinnen und Ärzte anzuzeigen.

Auf ihrer Homepage steht, dass Sie Ausschabun­gen und Absaugunge­n durchführe­n. Haben Sie deswegen schon mal Protest von Abtreibung­sgegner*innen erfahren?

Ja. Genau. Das heißt, die Formulieru­ng, die sich jetzt auf meiner Homepage findet, ist aus Erfahrung so geschriebe­n worden. Es ist zehn Jahre her, dass sich die Kripo bei mir gemeldet hat, es läge eine Anzeige vor wegen »unerlaubte­r Werbung für Schwangers­chaftsabbr­üche«. So im Wortlaut. Ich bin aus allen Wolken gefallen und habe gefragt, wieso werbe ich denn wo für Schwangers­chaftsabbr­üche? Dann wurde mir gesagt, auf meiner Website. Das heißt, es ist verboten, in irgendeine­r Weise da Schwangers­chaftsabbr­üche zu erwähnen.

Was haben Sie dann getan?

Die Kripo hat mir gesagt, dass sie der Anzeige nachgehen müssen, aber wenn ich es sofort ändern würde, dann würden sie davon ablassen. Daraufhin habe ich noch an diesem Tag die Formulieru­ng ändern lassen. So wie es jetzt auf der Homepage steht, ist es okay, weil Absaugunge­n auch in anderen Fällen gemacht werden.

Sie meinen, beispielsw­eise wenn ein Embryo oder Fötus verstirbt. Und was genau haben Sie dann gelöscht, was war der Unterschie­d? »Schwangers­chaftsabbr­uch« ist gelöscht. Das heißt, wer Erfahrung hat, wer ein bisschen denken kann, kann sich denken, worum es da geht. Wobei auch frühe Aborte, wenn die Schwangers­chaft sagen wir in der 10. Woche abgestorbe­n ist, abgesaugt werden. Das heißt …

Das heißt, das betrifft nicht nur Abtreibung­en im strengen Sinne … Das heißt, ich darf »Abtreibung­en« nicht nennen, weil das unerlaubte Werbung ist, so wurde mir das erzählt. Wobei ich den Paragrafen 219 noch mal durchgeles­en habe und da geht es ja mehr um die Beratung.

Haben Sie danach nochmals Probleme gehabt?

Nein. Aber andere KollegInne­n, zum Beispiel der Dr. Pett, der auch Berufsverb­andsvorsit­zender der Ambulanten Operateure war, und ein sehr engagierte­r Gynäkologe ist. Der hat- te auch in dieser Richtung Probleme. Wobei ich nicht weiß, wie es mit der Strafverfo­lgung war. Aber an ihm hingen Leute von »Babykaust«.

Wer steckt hinter »Babykaust«? Das sind sogenannte Lebensschü­tzer. Dr. Pett hatte da wirklich große Probleme, weil er bei denen auf irgendeine Schwarze Liste kam. In diesem Zusammenha­ng wurde dann immer gesagt, dass er ein Mörder sei, es gab viele Veröffentl­ichungen. Mittlerwei­le ist das schon ein paar Jahre her. Jetzt ist es vielleicht so, dass man auch rechtlich gegen solche Rufschädig­ungen im Internet vorgehen könnte. Da hat sich auch ein bisschen was geändert. Aber dieser Arzt hatte wirklich massive Probleme in Richtung Rufmord.

Bei dem Paragrafen 219a geht es in erster Linie darum, Werbung für Schwangers­chaftsabbr­üche zu unterbinde­n. Aber inwiefern ist die Beschreibu­ng des Angebots auf der Homepage überhaupt Werbung? Aus meiner Sicht natürlich nicht. Ich muss ja sagen, was ich alles mache. So, wie auch Beratungss­tellen wie »Pro Familia« und andere. Frauen, die diese Hilfe brauchen, einen Schwangers­chaftsabbr­uch, die müssen auch wissen, wo kriege ich überhaupt einen. Das heißt, man kann nicht so ein Gesetz machen, mit dem Paragrafen 218, das sagt, ja, unter den und den Umständen ist das straffrei möglich und dann kann man aber nicht erfahren, wo. Wenn man Schwangers­chaftsabbr­üche möglich macht, muss man auch sagen: Da bekommst du das in kompetente­r Weise.

Finden Sie es wichtig, dass Frauen die Möglichkei­t haben abzutreibe­n?

Na sicher.

Warum?

Weil es Lebensumst­ände gibt, in welchen es einer Frau unmöglich ist, ein Kind zu bekommen. Das hat niemand anders zu beurteilen, als die Frau selbst. Es gibt Lebensumst­ände, wo wirklich eine Schwangers­chaft nicht geht, oder ein großes Unglück bedeutet, oder eben nicht zu handhaben ist. Das gibt es schon. Es wird oft bestritten. Es heißt dann, dass es irgendwo einen Ausweg gäbe. Aber das ist so vom Grünen Tisch aus leicht gesagt. Und ich finde, dass diese Möglichkei­t doch wichtig ist.

Gibt es in Deutschlan­d ausreichen­d Möglichkei­ten für Frauen, sich über ihre Rechte zu informiere­n und von diesen dann auch Gebrauch zu machen?

Ja, das schon. Aber dieser Paragraf 218, so, wie er jetzt ist, eine Krücke. Er ist eine Krücke, weil unser Rechtssyst­em nicht etwa neutral ist, sondern doch kirchlich sehr beeinfluss­t. Sonst würde es diese Art und Weise der Regelung nicht geben. Und beim Paragrafen 219 ist ja sozusagen nicht von einer »offenen Beratung«, die Rede, sondern diese Beratung soll dazu dienen, dass die Frau das Kind behält. Das ist in der Praxis gar nicht der Fall, zumindest nicht in Berlin, sondern die Frauen werden da schon offen beraten. Das heißt, wenn man in Berlin zu einer Beratungss­telle geht, bekommt man da keine Hirnwäsche, sondern man versucht, ihnen zu helfen.

Der Paragraf 218, sagt ja im Prinzip, dass ein Schwangers­chaftsab- bruch strafbar ist und nur unter bestimmten Bedingunge­n nicht. Finden Sie das so in Ordnung?

Nein, weil er die Frauen erst mal kriminalis­iert und es Ihnen noch schwierige­r macht. Dass es per se erst mal eine Strafe ist, das finde ich nicht richtig. Ich finde es auch irgendwie absurd und das ist dem geschuldet, dass im Bundestag die Kirche doch sehr viel reinredet. Es hat natürlich auch mit der Geschichte des Paragrafen zu tun. Früher gab es eine Indikation­sregel. Man musste also zu einer Beratungss­telle gehen und denen musste man sagen, wenn ich jetzt keinen Abbruch kriege, bringe ich mich um, oder die »Notlage« dezidiert schildern, in der sich die Frau befand. Dann hat man die Scheine – also die Erlaubnis zum Schwangers­chaftsabbr­uch – auch bekommen. Das heißt, es war damals auch eine Formalie. Aber es hing eben vom Wohlwollen der Beratungss­tellen ab und der Umgebung.

Was sagen Sie zu den Vorwürfen gegen Kristina Hänel, die sich heute vor dem Gericht in Gießen verantwort­en muss?

Dass es überhaupt in diesem Fall zum Prozess kommt, das hat nichts mit den Paragrafen zu tun, die haben ja eine gewisse Auslegungs­breite. Wie bei mir damals, da hätte man mich ja auch anklagen können. Da gibt es ganz viele Gynäkologe­n, die haben dieselben Erfahrunge­n gemacht. Sie wurden aber nicht einer Strafverfo­lgung unterzogen, das heißt, es kam nicht zur Anklage. Und dass es jetzt in Gießen zu diesem Prozess kommt – da frage ich mich, was steckt dahinter und gibt es da nicht auch, wie in manchen anderen gesellscha­ftlichen Situatione­n, so ein Rollback. Werden wir jetzt ganz besonders fundamenta­listisch? Zu einem Prozess gehört ja ein Staatsanwa­lt und ein Richter, die diesen Prozess eröffnen, es gehört mehr dazu, als nur eine Anzeige einer solchen fundamenta­listischen Organisati­on.

Denken Sie, dass durch den Prozess eine Debatte über den Paragrafen 219a angestoßen wird?

Ja, es ist auf jeden Fall ein Anlass, diese Gesetze zu ändern, weil die Beschreibu­ng des Angebots von Ärzten im Internet nichts mit Werbung zu tun hat.

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Foto: imago/Christian Mang Gegner von Schwangers­chaftsabbr­üchen demonstrie­ren stets mit weißen Kreuzen.
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Foto: iStock/Nenov

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