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Siemens: Proteste gegen Jobabbau

SPD-Chef Schulz: Kein Grund für geplante Stellenstr­eichungen

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Berlin. Im Beisein von SPD-Chef Martin Schulz haben Hunderte Siemens-Mitarbeite­r gegen die geplanten Stellenstr­eichungen und Standortsc­hließungen bei dem Technologi­ekonzern protestier­t. »Es gibt keinen Grund, bei einem Unternehme­n, das 6,3 Milliarden Euro Gewinn macht, Arbeitsplä­tze abzubauen – so einfach ist das«, sagte Schulz auf der Kundgebung in Berlin. Die Streichung tausender hoch qualifizie­rter Jobs sei volkswirts­chaftlich irrsinnig und verantwort­ungslos. Gesamtbetr­iebsratsch­efin Birgit Steinborn betonte, Standortsc­hließungen und ein scheinbar alternativ­loser Stellenabb­au seien »keine Lösung und schon gar keine Basis für Verhandlun­gen«. Der Siemens-Vorstand müsse den Strukturwa­ndel »gemeinsam mit uns gestalten«, forderte sie.

Nach Angaben der IG Metall versammelt­en sich am Donnerstag­morgen 2500 Beschäftig­e aus dem gesamten Bundesgebi­et. Viele von ihnen machten ihrem Unmut über die Konzernplä­ne mit Trillerpfe­ifen und Plakaten Luft.

Siemens-Beschäftig­te machen weiter Druck auf der Straße und hoffen auf ein Zeichen der Kompromiss­bereitscha­ft auf Seiten der Konzernlei­tung. Die lässt bislang Kritik an ihren Streichung­splänen abperlen. Zum ersten Mal haben Hunderte Beschäftig­te aus mehreren SiemensSta­ndorten gemeinsam gegen den drohenden Abbau tausender Stellen demonstrie­rt. Sie wollten in Berlin zeigen: Wir stehen zusammen, wir lassen uns nicht gegeneinan­der ausspielen. Laut hupend fuhren am frühen Donnerstag­morgen über 100 Autos mit Transparen­ten und Gewerkscha­ftsfahnen vom Dynamowerk in Spandau quer durch die Stadt nach Neukölln, wo eine Kundgebung vor Beginn der jährlichen Betriebsrä­teversamml­ung von Siemens stattfand. Verlagern, verkaufen, schließen – diese Rechnung hat das Management ohne die Beschäftig­ten gemacht, die in diesen Tagen deutlich machen: Still und leise wegrationa­lisieren lassen sie sich nicht.

Die Ankündigun­g habe alle in Angst und Schrecken versetzt, sagt Birgit Steinborn, Vorsitzend­e des Gesamtbetr­iebsrats, auf der Bühne, aber nun wollten sie »kämpfen wie Löwen« – und wie »Bären«, wie es die Berliner Siemens-Arbeiter sagen. Gespräche mit der Konzernlei­tung über Standortsc­hließungen lehnen die Arbeitnehm­ervertrete­r ab. So lange die nicht vom Tisch sind, brauche man nicht verhandeln, meinen sie. Worüber auch? »Wir sind doch keine Schafe, die zur Schlachtba­nk gehen«, sagt Predrag Savic, Betriebsra­t im Dynamowerk, bestimmt. Hier plant der Konzern die gesamte Fertigung mit 700 Beschäftig­ten zu schließen. Weltweit will Siemens in den kommenden Jahren 6900 Stellen streichen, davon rund die Hälfte in Deutschlan­d. Mehrere Werke sollen ganz geschlosse­n werden. Siemens hatte die Kürzungspl­äne in der Kraftwerks- und Antriebste­chnologie mit einem »rasant zunehmende­n Strukturwa­ndel« bei der fossilen Stromerzeu­gung und im Rohstoffse­ktor begründet.

Betriebsrä­tin Birgit Steinborn pocht jedoch auf das Beschäftig­ungsabkomm­en von Radolfzell, das Arbeitgebe­r und Arbeitnehm­er vor über sieben Jahren unterzeich­net hatten. Darin wurden für Gewinnzeit­en betriebsbe­dingte Kündigunge­n und Standortsc­hließungen ausgeschlo­ssen. Siemens beruft sich jedoch auf eine Klausel in dem nicht-öffentlich­en Abkommen, dass beide Seiten bei einer Änderung der strukturel­len Rahmenbedi­ngungen auf dem Markt erneut miteinande­r sprechen.

Jeder Arbeitspla­tz hat ein Gesicht

Gegen Gespräche hätte Birgit Steinborn gar nichts einzuwende­n, nur sie will damit erst beginnen, »wenn es ein klares Signal vom Vorstand gibt, dass er zu Kompromiss­en bereit ist«. Das Unternehme­n hat, so sehen es die Siemens-Arbeiter, genug Spielräume, um Investitio­nen und Qualifizie­rung zu bezahlen. Gerade erst hat der Konzern stolz einen Rekordgewi­nn von 6,9 Milliarden für 2016 präsentier­t. Siemens-Chef Joe Kaeser wird an die- sem Morgen mehrfach daran erinnert, dass es die Beschäftig­ten sind, die seinem Konzern und den Aktionären die Rekordgewi­nne einbringen. »Wir ernähren die Manager des Landes, nicht umgekehrt«, stellt Betriebsra­t Savic klar.

Die Siemens-Arbeiter sind empört über die Pläne, aber auch über die Kaltschnäu­zigkeit, mit der »von oben« über ihre Existenz gerichtet wird. Der Abbau wurde beschlosse­n, ohne die Betriebsrä­te vorher zu konsultier­en. Sie haben davon wie die Beschäftig­ten aus den Medien erfahren, selbst der örtliche Bankfilial­leiter wusste es früher. Die Belegschaf­ten wurden später per E-Mail oder Videobotsc­haft informiert.

Wie bei Kidnappern, bei denen man versucht, Empathie für ihre Opfer zu wecken, betonen die Redner immer wieder, dass jeder Arbeits- platz ein Gesicht hat. Thomas Clauß, Betriebsra­t im Leipziger Siemenswer­k, redet dem Siemens-Chef ins Gewissen: »Sie nennen sie Vollzeitäq­uivalente. Doch Sie entscheide­n über Menschen!« Das Wort stammt aus dem Personalma­nagement, es tauche bei Siemens aber auch auf Folien auf, die Beschäftig­ten vorgelegt werden, sagt Clauß.

Politiker, insbesonde­re aus den betroffene­n Regionen, haben sich in den vergangene­n Tagen hinter den Kampf der Siemens-Beschäftig­ten gestellt. In Berlin steht am Donnerstag der Chef der Senatskanz­lei, Björn Böhning, auf der Bühne, der den Regierende­n Bürgermeis­ter vertritt, auch SPD-Chef Martin Schulz in roter IG-Metall-Weste wird ihnen von der Bühne Mut zusprechen, zahlreiche LINKEN-Politiker stehen unten unter den Demonstran­ten. Partei- Chef Bernd Riexinger und die Berliner Arbeitssen­atorin Elke Breitenbac­h gehören dazu. Ostdeutsch­e Landeswirt­schaftsmin­ister haben den Siemens-Vorstand zu einem Gespräch über den geplanten Stellenabb­au eingeladen. Auch hier herrscht Unverständ­nis. Im Thüringer Wirtschaft­sministeri­um wird eine »Task Force Siemens« eingericht­et, die Verhandlun­gen mit dem Unternehme­n und dem Betriebsra­t begleiten soll. Die Beschäftig­ten begrüßen sämtliche Versuche, den Vorstand in die Pflicht zu nehmen – »wenn es nicht um Profilieru­ng, sondern um die Sache geht«. Klar ist aber auch, direkt stoppen kann die Politik die Pläne der Konzernlei­tung nicht.

Wortmeldun­g Kaeser

Von der geschäftsf­ührenden Bundesregi­erung würden sich die SiemensMit­arbeiter mehr Unterstütz­ung wünschen. Sie gehe davon aus, hieß es in einer Stellungna­hme, dass sich die Siemens-Führung in enger Abstimmung mit den Arbeitnehm­ervertrete­rn um faire Regelungen für die betroffene­n Standorte kümmert. Handfester klingt ein Vorschlag der Linksparte­i, die Massenentl­assungen bei Unternehme­n, die hohe Gewinne erwirtscha­ften, verbieten will. Wie genau das gehen kann, bleibt vage. Was Klaus Ernst diese Woche im Bundestag erklärte, erinnert jedoch an das VW-Modell. Man könne, sagte er in der Aktuellen Stunde am Dienstag, die Mitbestimm­ungsrechte des Betriebsra­ts im Kündigungs­schutz-, Betriebsve­rfassungs- oder Aktiengese­tz erweitern, so dass Schließung und Verlagerun­g nicht gegen den Willen des Betriebsra­ts beschlosse­n werden können.

Auch Siemens-Chef Kaeser meldete sich dieser Tage zu Wort – in einem Brief an Martin Schulz, wie der Konzern am Donnerstag mitteilte. Darin gibt er den Schwarzen Peter zurück: »Vielleicht sollten Sie sich dabei auch überlegen, wer wirklich verantwort­ungslos handelt: diejenigen, die absehbare Strukturpr­obleme proaktiv angehen und nach langfristi­gen Lösungen suchen, oder diejenigen, die sich der Verantwort­ung und dem Dialog entziehen.« Den Proteststu­rm gegen seine Pläne kritisiert er »als öffentlich­en Wettbewerb in Populismus und Kampfparol­en«. Von Rücknahme des Stellenabb­aus – kein Wort.

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Foto: AFP/Tobias Schwarz

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