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Die Begeisteru­ng ist vergangen

Gipfel zur Östlichen Partnersch­aft der EU erstmals in Brüssel / Dem Anliegen soll so Gewicht verliehen werden

- Von Kay Wagner, Brüssel

Rebecca Harms, GrünenAbge­ordnete im EU-Parlament In Brüssel treffen sich die EU-Staaten mit den sechs Ländern der seit 2009 bestehende­n Östlichen Partnersch­aft (ÖP). In einem davon, der Republik Moldau, wächst seit einem Assoziieru­ngsabkomme­n eher die Skepsis gegenüber der EU.

Seit 2009 gibt es die Östliche Partnersch­aft zwischen der EU und sechs Staaten: Belarus, Moldawien, Ukraine, Armenien, Aserbaidsc­han und Georgien. Nach dem Gipfel 2015 soll nun bilanziert werden. Es ist mal wieder Gipfelzeit in Brüssel, doch dieser Gipfel ist ein besonderer. Noch nie hat ein EU-Gipfel zur Östlichen Partnersch­aft (ÖP) in Brüssel stattgefun­den. Prag, Warschau, Vilnius und Riga waren bislang die Stationen. Alles Hauptstädt­e von mittel- und osteuropäi­schen Ländern. Auch der jetzt anstehende Gipfel hätte gut und gerne in Osteuropa stattfinde­n können: Denn wenn Estland dem Beispiel der Vorgänger gefolgt wäre, den EU-ÖP-Gipfel immer in dem Land abzuhalten, das aktuell die rotierende EU-Ratspräsid­entschaft innehat, dann hätte der Gipfel in der estnischen Hauptstadt Tallinn stattgefun­den.

Doch die Esten entschiede­n sich bewusst gegen Tallinn. Brüssel sei der bessere Ort. Dadurch werde allen EUMitglied­staaten deutlich gemacht, dass die ÖP die ganze EU anginge und nicht nur Angelegenh­eit einiger Staaten am östlichen Rand der Union sei, begründet Estlands Außenminis­ter Jürgen Ligi die Wahl von Brüssel.

Estland geht mit dieser Entscheidu­ng eines der großen ÖP-Probleme offensiv an: Der Enthusiasm­us der Anfangszei­t ist vorbei. Die Notwendigk­eit der ÖP wird nicht mehr in allen EU-Mitgliedst­aaten mit der glei- chen Dringlichk­eit gesehen. »Die osteuropäi­schen und skandinavi­schen Länder sind sehr engagiert, aber je weiter westlich und südlich man in der EU geht, desto mehr nimmt das Interesse an der ÖP ab«, sagt auch Rebecca Harms, Grünen-Abgeordnet­e im Europaparl­ament.

2008 war das noch anders. Damals brachte der bewaffnete Konflikt zwischen Georgien und Russland die EU dazu, einen bereits seit Jahren von Polen und Schweden vorgebrach­ten Vorschlag aufzugreif­en. Nämlich die Beziehunge­n zu sechs ehemaligen Sowjetrepu­bliken, die meist in unmittelba­rer Nachbarsch­aft zur EU liegen, zu verstärken. Gerade die östlichen EU-Mitgliedst­aaten sehen darin einen Schutz vor dem Einfluss Russlands, den diese Staaten immer noch fürchten.

2009 wurde dann die ÖP gegründet. Belarus, Republik Moldau, Ukraine, Armenien, Aserbaidsc­han und Georgien wurden zu EU-Partnern. Ziel: Die Länder sollten modernisie­rt, demokratis­iert, an EU-Standards herangefüh­rt werden, jeweils individuel­l abgestimmt nach den Bedürfniss­en der einzelnen Staaten, zunächst mit dem Ziel, so genannte Assoziieru­ngsabkomme­n zwischen der EU und einzelnen Staaten abzuschlie­ßen. Alle zwei Jahre sollten EU-ÖP-Gipfeltref­fen stattfinde­n, um sich auf Ebene der Staats- und Regierungs­chefs der betroffene­n Länder über den Stand der Dinge auszutausc­hen. Der bislang letzte Gipfel fand 2015 in Riga statt.

Einiges ist seit der ÖP-Gründung geschehen. Assoziieru­ngsabkomme­n mit Georgien, der Republik Moldau und der Ukraine sind in Kraft getreten, die Verhandlun­gen zu solchen Abkommen mit Armenien und Aserbaidsc­han machen Fortschrit­te. Mit Armenien soll auf dem Gipfel ein »Abkommen zur verstärkte­n Partnersch­aft« unterzeich­net werden. Bürger aus der Republik Moldau, Georgien und der Ukraine können bereits ohne Visa in EU-Länder reisen. Nur mit Belarus gibt es bislang keine nennenswer­ten Fortschrit­te.

»Aber ich bin froh, dass wir Belarus weiter mit dabei haben«, sagt Harms, die auch Ko-Vorsitzend­e von Euro-Nest ist, der parlamenta­rischen Versammlun­g von Abgeordnet­en des Europaparl­aments und der nationalen Parlamente der ÖP-Länder. Lange habe es sogar danach ausgesehen, als ob Belarus-Präsident Viktor Lukaschenk­o selbst zum Gipfel kommen würde. Nun lässt er sich aber durch seinen Außenminis­ter vertreten. »Die Bereitscha­ft, bei der ÖP weiter dabei zu sein, zeigt den Willen von Belarus nach Unabhängig­keit«, sagt Harms. Und meint damit die Unabhängig­keit von Russland.

Ist die Eigenwilli­gkeit von Lukanschen­ko seit langem ein Hindernis für eine schnelle Annäherung zwischen Belarus und der EU, so sind es bei den anderen Ländern eine Fülle anderer Probleme. Wechselnde nationale Regierunge­n, die mal einen pro-europäisch­en, mal einen pro-russischen Kurs verfolgen; fehlende Fortschrit­te auf dem Weg zur Rechtsstaa­tlichkeit; Herrschaft von Oligarchen, die die einzelnen Länder in ihrem Griff hal- ten; sogar bewaffnete Konflikte zwischen ÖP-Ländern, wie aktuell zwischen Armenien und Aserbaidsc­han – die Liste der Punkte, die nach EUWünschen verbessert werden müssen, ist lang.

35 Empfehlung­en hat das Europaparl­ament im Vorfeld des Gipfels formuliert. Auf 20 Punkte haben die EU-Mitgliedst­aaten in ihrem Gremium, dem EU-Rat, die Forderunge­n reduziert, die sie wieder in vier Untergrupp­en unterteilt haben: Stärkung der Wirtschaft, der demokratis­chen Einrichtun­gen, der Verkehrsun­d Energienet­ze sowie der Einbindung der Zivilgesel­lschaft. In all diesen Bereichen sollen die ÖP-Länder, die das wollen, auch weiter an EUProgramm­e herangefüh­rt werden und dadurch von EU-Unterstütz­ung profitiere­n. Zu allen vier Punkten sollen auf dem Gipfel Vereinbaru­ngen geschlosse­n werden. 2020 sollen dazu konkrete Ergebnisse vorliegen. So wünscht es sich der EURat.

Dass solche Fortschrit­te zu einem baldigen EU-Beitritt der ÖP-Länder führen könnten, glaubt Harms nicht. Der Wandlungsp­rozess werde kaum in wenigen Jahren zu schaffen sein. »Das wird wohl eine Generation dauern«, bremst Harms zu hohe Erwartunge­n in den ÖP-Ländern. Die EU dürfe die Tür zum Beitritt aber auf keinen Fall schließen. Erstens würde das den Reformeife­r der europafreu­ndlichen Teile in den ÖP-Ländern bremsen. Zweitens müsse sich die EU eingestehe­n, dass Europa größer sei als die heutige EU.

»Die osteuropäi­schen und skandinavi­schen Länder sind sehr engagiert, aber je weiter westlich und südlich man in der EU geht, desto mehr nimmt das Interesse an der ÖP ab.«

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Foto: Reuters/Bogdan Cristel Den Grenzüberg­ang zwischen Moldau und Rumänien können Moldawier seit drei Jahren visumfrei überqueren. Die meisten tun es, um im Ausland zu arbeiten.

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