Republik Moldau bleibt Armenhaus Europas
Drei Jahre nach der Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit der EU ist das Land gespalten: Ein Teil will den EU-Beitritt, der andere engere Beziehungen zu Russland
Moldau ist das ärmste Land Europas. Ein Drittel der Erwerbsbevölkerung arbeitet im Ausland, Überweisungen machen den Großteil des BIP aus. Die Zustimmung zu einer EU-Annäherung geht zurück. Seit Langem gilt die kleine, zwischen Rumänien und der Ukraine eingepferchte Republik Moldau als ärmstes Land Europas. Daran hat auch das 2014 unterzeichnete Assoziierungsabkommen mit der EU nichts geändert. Zwar dürfen seitdem moldauische Unternehmen ihre Produkte zollfrei in den Westen exportieren, aber das nutzt eher wenig, wenn diese rudimentär und nicht wirklich wettbewerbsfähig sind.
Die abgelegene, einst rumänische und nach dem Zweiten Weltkrieg dann sowjetische Provinz blieb auch nach der 1991 erklärten Unabhängigkeit landwirtschaftlich geprägt und strukturschwach. Das nötige Kapital, das die Wirtschaft wettbewerbsfähiger machen könnte, fehlt ebenso wie die erforderliche Kompetenz der politischen Klasse, die diesen Prozess begleiten müsste.
Einen Ausweg aus diesem Teufelskreis der Unterentwicklung könnte mittelfristig die Visumfreiheit bieten, die die EU als Teil des Assoziierungsdeals gewährte und die bereits von vielen Moldauern in Anspruch genommen wurde. Offiziell sollen damit nur kurze touristische Besuche erlaubt werden, in der Praxis öffnete diese Entscheidung eine kleine Tür für diejenigen, die im Westen arbeiten wollen.
Schon vor 2014 war ein Viertel der Erwerbsbevölkerung Moldaus im Ausland tätig, heute ist es gut ein Drittel. Doch der Ertrag einer solchen ungeregelten Tätigkeit etwa in der Landwirtschaft, beim Pflücken von italienischen Tomaten oder auf Berliner Baustellen bleibt mager, saisonabhängig und der Willkür mehr oder weniger ehrlicher Arbeitgeber ausgesetzt. Die Überweisungen in die Heimat machen zwar einen Großteil des BIP aus, reichen allerdings in der Regel nur für das Überleben älterer Familienangehöriger, die sonst mit ihren lächerlich niedrigen Renten vor allem im Winter frieren und verhungern würden.
Vor diesem Hintergrund gingen in den letzten Jahren die Zustimmungswerte zu einer Annäherung an die EU leicht zurück. Waren 2013 noch knapp über 50 Prozent der Befragten dafür, sind es heute im Durchschnitt rund 45 Prozent. Frei- lich spielt dabei nicht nur die wirtschaftliche Perspektivlosigkeit eine Rolle. Der Krieg in der benachbarten Ukraine zeigte für viele »pro-europäische« Moldauer zwei Dinge: Russland wird sich einen Verlust seiner früheren »Einflusssphäre« nicht einfach so gefallen lassen und Europa ist zumindest im Moment nicht wirklich bereit, mehr als Trost und schöne Worte anzubieten.
Da der eingefrorene Konflikt um das abtrünnige Gebiet Transnistrien noch immer ungelöst bleibt und russische Soldaten dort seit 27 Jahren stationiert sind, erscheint die Angst vieler Menschen vor einer Wiederholung des ukrainischen Szenarios nachvollziehbar. Und die Tatsache, dass der europäische Appetit auf eine Fortsetzung der Osterweiterung spätestens seit 2014 einen mächtigen Dämpfer bekam, bestätigt aus moldauischer Sicht den Eindruck, dass Brüssel es nicht mehr ernst meint – oder es eigentlich nie ernst gemeint hat.
Dabei wäre ein seriöser politischer Integrationswille auf Seiten der EU unabdingbar, wenn die Republik Moldau sich eines Tages ihrerseits den Beitrittsvorbereitungen widmen sollte. Denn dieser Schritt benötigt entweder genug politisches Kapital, um die unpopulären, teilweise wirtschaftsliberalen und umstrittenen Reformen durchzusetzen, oder aber genug europäisches Geld, um die negativen Auswirkungen dieser Reformen abzumildern und einen Sozialstaat wiederaufzubauen.
Die politische Elite, vor allem das »pro-europäische« Lager braucht Legitimität, und da diese nach zahlreichen eklatanten Korruptionsskandalen als Mangelware gilt, braucht es eigentlich nichts Geringeres, als sich selbst neu zu erfinden. Dies kann wiederum nur dann funktionieren, wenn eine konkrete Beitrittsperspektive tatsächlich in Aussicht gestellt wird und das finanzielle und politische Engagement der EU keinen Zweifel aufkommen lässt – und zwar egal, was Wladimir Putin davon hält.
Solange diese Bedingungen nicht erfüllt sind, ist es nachvollziehbar, wenn das »pro-russische« Lager um den vor einem Jahr gewählten Staatspräsidenten Igor Dodon die Oberhand behält. Neben der russischsprachigen Minderheit unterstützen ihn nämlich vor allem jene ältere Moldauer, die ihren Glauben an die »proeuropäischen« Parteien verloren und noch mehr Angst vor Experimenten haben, als vor einer Fortsetzung der bitterarmen Gegenwart.