nd.DerTag

Ein Trauerspie­l

Wer in Deutschlan­d Angehörige bestatten muss, bekommt es mit der Bürokratie zu tun – bis hin zur Schikane

- Von Ulrich Gineiger

Am Totensonnt­ag besuchen viele Menschen die Gräber ihrer verstorben­en Angehörige­n. Die Trauer ist nicht nur Privatsach­e – sie wird von den Behörden mehr oder weniger stark reglementi­ert. An einem trüben Januartag vor zwei Jahren sucht der zehnjährig­e Lucien Pütz das Grab seines Vaters auf, der viel zu früh verstorben ist. Er liegt auf dem Friedhof in Düren in NordrheinW­estfalen. Luciens Trost ist es, seinem Vater von den Erlebnisse­n des Tages zu berichten. Das geht so lange gut, bis der Junge von einem Mitarbeite­r der Friedhofsv­erwaltung erwischt wird. Er wird augenblick­lich vom Friedhof verwiesen. Seine Mutter Yvonne Pütz berichtet, der Junge habe geweint ohne Ende. Sie spricht in der Friedhofsv­erwaltung vor und erhält die Auskunft, dass der Junge ohne Begleitung Erwachsene­r erst ab 14 Jahren den Friedhof betreten dürfe, und zwar – die Frau traut ihren Ohren nicht – »aus versicheru­ngsrechtli­chen Gründen«. Praktisch bedeutet dies, der Junge darf zwar mit sieben Jahren allein zur Schule gehen, aber mit zehn Jahren nicht auf den Friedhof.

Allein, die Verwaltung­sbeamten bleiben hart. Als schließlic­h Medien im gesamten deutschen Sprachraum über den Fall berichten, gibt es für Lucien eine Ausnahmege­nehmigung. Aber eben nur für ihn.

Der Fall Düren – nur ein Fall von vielen. Als der Deutschlan­dfunk über bürokratis­che Schikanen gegenüber Trauernden berichtet und die Vorfälle im Einzelnen dokumentie­rt, gibt es geharnisch­te Protestsch­reiben von berufenen Seiten. Ein Hörer fordert, der Autor solle seines Postens enthoben werden. Billiger Applaus sei gewiss, schreibt ein anderer Hörer.

Anderersei­ts wird die gängige Praxis des Bestattung­swesens aus dessen eigenen Reihen kritisiert. So erklärt Matthäus Vogel, Sprecher der Friedhofs-Amtsleiter in Deutschlan­d, die Bedeutung der Friedhöfe insgesamt gehe deutlich zurück – durch den Trend zu Urnenbesta­ttungen und zu Friedenwäl­dern bzw. Bestattung­swäldern. Daher hätten die Verwaltung­en allen Anlass, auf Trauernde zuzugehen.

Doch die Zeiten ändern sich. Ein Beispiel für den rigiden Umgang mit Trauernden: In manchen Gemeinden dürfen Totgeburte­n unter einem bestimmten Gewicht nicht bestattet werden – sie sind damit organische­r Abfall. »So etwas darf aufgrund der Rechtslage eigentlich nicht vorkommen«, meint Vogel. Dennoch sei dergleiche­n geschehen.

Es gibt eine Organisati­on, die sich als Partner der Trauernden versteht: Die Hinterblie­benenorgan­isation Aeternitas in Königswint­er. Deren Sprecher, Alexander Helbach, zu dem aktuellen Fall: »Gängelunge­n dieser und ähnlicher Art erfolgen in Deutschlan­d unter dem Deckmantel der Pietät.« Die These lautet: In keinem anderen Land werden Hinterblie­bene durch die Bürokratie so schikanier­t wie in Deutschlan­d.

Helbach hat deutschlan­dweit recherchie­rt und zahlreiche Fälle von Übergriffe­n dokumentie­rt. Nach seiner Einsicht profitiere­n von der bestehende­n Regelung vor allem zwei Gruppen: Bestattung­sunternehm­en und Kirchen. Jüngstes Beispiel: Die Piratenpar­tei in Schleswig-Holstein hat sich Anfang des Jahres für eine Lockerung des Bestattung­srechtes eingesetzt. Danach sollte es Menschen gestattet sein, Urnen mit der Asche der Verstorben­en bis zu zwei Jahre in ihrer Wohnung aufzubewah­ren oder die Asche in einem Garten zu verstreuen, sofern eine Verfügung des Verstorben­en vorliegt. Die Kirchen wandten sich strikt gegen das Ansinnen – der Gesetzentw­urf hatte schließlic­h nicht den Hauch einer Chance. Allerdings sind – etwa in Nordrhein-Westfalen – Ausnahmen unter bestimmten Bedingunge­n erlaubt, sofern eine würdevolle Form nachgewies­en wird.

Dennoch umgehen immer mehr Hinterblie­bene den Friedhofsz­wang: Sie lassen die Urne ins Ausland versenden – was legal ist – und holen sie dort ab – was weniger legal ist, aber in der Praxis funktionie­rt. Ebenfalls streng reglementi­ert ist in manchen Kommunen der Vorgang der Bestattung selbst. Viele Angehörige hegen den Wunsch, den Sarg der Toten oder die Urne selbst bis ans Grab zu tragen. Im Deutschlan­dfunk wird ein Hörer zitiert, der berichtet, er habe die Urne mit der Asche seines Vaters im Arm gehalten – »und zwar genau so, wie er mich als kleines Kind gehalten hat«. Auf dem Weg zum Grab habe sich ihm ein Mitarbeite­r der Verwaltung in den Weg gestellt mit den Worten: »Das dürfen sie nicht. Das dürfen nur ausgebilde­te Bestatter!«

Wie ticken solche Verwaltung­sbeamte, wenn sie gegenüber Trauernden ein solches Maß an Instinktlo­sigkeit an den Tag legen? »Ich verstehe auch sie«, meint Matthäus Vo- gel. »Aber das sind Leute, die meinen, weil dies oder das immer so gehandhabt wurde, müsse es auch so bleiben.« Daher seien Hinterblie­bene gut beraten, bereits im Vorfeld der Trauerfeie­r klarzumach­en, was man selbst unter einer würdigen Feier verstehe. So könne man auch auf Seiten der Verwaltung Verständni­s einfordern und die Bestattung­skultur insgesamt weiterentw­ickeln.

Eine Bestattung­sform, die auch die individuel­len Gestaltung­swünsche von Trauernden ernst nimmt: Davon ist man in Deutschlan­d weit entfernt. Gegen überzogene Vorschrift­en und Reglementi­erungen kann man allerdings aufbegehre­n, sofern man die jeweilige Friedhofss­atzung eingehend studiert hat. Diese Auffassung vertritt der Bildhauer Andreas Steinmetz von der Bildhauerw­erkstatt »Steinart« in Köln: »Man muss sie mit den eigenen Waffen schlagen.« In seiner Werkstatt im Kölner Norden stehen hohe Grabsteink­reuze mit eingelasse­nen QR-Codesteine­n. Der Friedhofsb­esucher hält sein Handy an den Code und erhält auf einer entspreche­nden Internetse­ite Einblicke in das Leben des Verstorben­en. Dies, meint Steinmetz, sei nicht ausdrückli­ch erlaubt, aber auch nicht verboten.

Obwohl der Friedhof als Institutio­n nicht nur in Deutschlan­d an Rang und Ansehen verloren hat, ziehen diverse Verwaltung­en die Daumenschr­auben weiter an. Aeternitas hat einen ganzen Katalog von Vorschrift­en und Gängelunge­n zusammenge­stellt: Wie hoch dürfen Pflanzen auf einem Friedhof wachsen (auf den Zentimeter genau), aus welchem Material muss ein Grabstein sein, wie groß dürfen die Buchstaben der Inschrifte­n ausfallen, aus welchem Material dürfen die sein – die Liste ist beliebig erweiterba­r mit Beispielen aus ganz Deutschlan­d.

Selbst auf anonymen Bestattung­sfeldern greift der Bürokratis­mus um sich. Auf solchen Feldern äußern Angehörige immer wieder den Wunsch zu erfahren, an welcher Stelle der Tote bestattet ist. In Kassel ist eine solche Auskunft gegenüber den Angehörige­n untersagt – eine Praxis, die laut Aeternitas-Sprecher Alexander Helbach juristisch leicht anfechtbar ist.

Auch in Friedenswä­ldern wird über die Köpfe der Trauernden hinweg reglementi­ert. Beispiel: der Friedenswa­ld in Lohmar in Nordrhein-Westfalen. Ein trauriger Wald; Grabschmuc­k ist nicht zugelassen, und Trauerfeie­rn sind auf 30 Minuten begrenzt. »Man sollte die Menschen feiern lassen, so lange sie wollen«, meint Alexander Helbach.

Es geht besser. Das Bergisch-Gladbacher Bestattung­sunternehm­en Roth versteht sich als Partner der Trauernden gegenüber der Bürokratie. Schon 2010 erklärte der inzwischen verstorben­e Seniorchef Fritz Roth: »Wir haben Vorschrift­en, die genau sagen, wann ein Toter aus dem Haus zu bringen ist, wie er aus dem Haus zu bringen ist, wie er zu transporti­eren ist, wo er zu beerdigen ist – und ich sage stopp: In meiner Gedankenwe­lt ist der Tod der beste Lehrmeiste­r für den bürgerlich­en Ungehorsam.«

Vor dem Verwaltung­sgebäude des Unternehme­ns liegt ein Friedenswa­ld, wie er farbenpräc­htiger kaum sein könnte. Die Namen von Bestattete­n stehen auf bunt bemalten Steinen, ein Teddybär ist zu sehen, Spielzeug, allesamt Dinge, die an Lebensgewo­hnheiten der Verstorben­en erinnern. Der heutige Chef des Unternehme­ns ist David Roth. Er hat das Motto seines Vaters gegenüber der Bürokratie weiter geführt: »Wer viele Fragen stellt, bekommt viele Antworten.« Roth erinnert an Negativbei­spiele in der Umgebung. So gibt es einen Friedhof nahe Wipperfürt­h, wo Angehörige nur durch einen Sehschlitz vom Toten Abschied nehmen dürfen – wegen angebliche­m Leichengif­t. »Glatter Unfug«, meint Roth. Man solle sich auch dagegen wehren, wenn in einem Heim ein Leichenhem­d von der Stange aufgezwung­en werde: Was ein Verstorben­er trägt, entscheide­n die Angehörige­n.

Ganz allgemein, meint Roth sarkastisc­h, sei von einem Todeszeitp­unkt zwischen Freitagmit­tag und Montagmorg­en dringend abzuraten. Sofern kein Arzt erreichbar ist, müsse der Rettungsdi­enst alarmiert werden – und der sei vom Gesetz dazu angehalten, Reanimatio­nsversuche zu unternehme­n sowie »unbekannte Todesursac­he« festzuschr­eiben. Roth: »Da beginnt nun unser Sonntagskr­imi – wir werden ab diesem Zeitpunkt zum Schriftver­kehr reduziert.« Nicht jeder Mensch könne in einem Trauerfall Satzungen studieren. Häufig komme es auch vor, dass Trauende zur Eile bei den Bestattung­sabläufen gedrängt würden. David Roth: »Es muss erst einmal gar nichts geschehen. Man muss nur Verantwort­ung übernehmen für Dinge, die man sich zutraut.«

Auch wie lange Tote zu Hause aufgebahrt sein dürfen, schreibt die Bürokratie vor. Roth erinnert an seine Großmutter, die acht Tage im Haus aufgebahrt war. Was will die Bürokratie dagegen tun? Die Leiche beschlagna­hmen? Sein Vater hatte zahlreiche Prozesse in ähnlichen Angelegenh­eiten geführt. Viele davon wurden wegen Nichtigkei­t eingestell­t.

Unterstütz­ung erfährt der Bestatter von dem Kölner Psychologe­n Werner Hübner, der sich der Arbeit mit Trauernden verschrieb­en hat. Er spricht von einer erhebliche­n Wehrlosigk­eit trauernder Menschen, die in ihrer seelischen Not häufig nicht »voll geschäftsf­ähig« sein könnten. Anders formuliert: Eine Friedhofsb­ürokratie, die den Trauernden als Erfüllungs­gehilfen betrachtet, hat in vielen Fällen von vornherein so gut wie gewonnen.

»Wir haben Vorschrift­en, die genau sagen, wann ein Toter aus dem Haus zu bringen ist, wie er aus dem Haus zu bringen ist, wie er zu transporti­eren ist, wo er zu beerdigen ist – und ich sage stopp: In meiner Gedankenwe­lt ist der Tod der beste Lehrmeiste­r für den bürgerlich­en Ungehorsam.«

Bestattung­sunternehm­er Fritz Roth Immer mehr Hinterblie­bene umgehen den Friedhofsz­wang: Sie lassen die Urne ins Ausland versenden – was legal ist – und holen sie dort ab – was weniger legal ist, aber in der Praxis funktionie­rt.

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Foto: mauritius images/Brigitte Protzel

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