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Nicht auf Facebooks Linie

Laut Nutzern soll Online-Unternehme­n ungefragt Abonnement­s abbestelle­n

- Von Sebastian Bähr

Zwei populäre Facebooknu­tzer und Türkei-Experten verlieren auf mysteriöse Weise Tausende Unterstütz­er von ihren Profilen. Kerem Schamberge­r loggte sich jüngst wie üblich auf Facebook ein, doch einige Privatnach­richten irritierte­n ihn. Dem Münchener Kommunikat­ionswissen­schaftler und Marxisten wurde von verschiede­nen Anhängern mitgeteilt, dass sie nicht mehr mit seinem Profil verbunden waren. Bei einer Prüfung stellte der 31-Jährige fest, dass er in den vergangene­n zwei Monaten tatsächlic­h rund 5000 von 20 000 Abonnenten verloren hatte. Schamberge­r, der sich in sozialen Netzwerken ausdrückli­ch als Kritiker des türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan sowie als Unterstütz­er von linkskurdi­schen Organisati­onen äußert, witterte politische Einflussna­hme des Konzerns. Gemeinsam mit anderen Facebook-Nutzern stieß er eine Recherche bezüglich des geheimnisv­ollen Follower-Schwunds an, verschiede­ne Medien beteiligte­n sich.

Facebook selbst erklärte gegenüber den Medien »Netzpoliti­k.org« und »Bild«, dass eine Stichprobe unter den verlorenen Accounts ergeben habe, dass rund zehn Prozent Schamberge­r aus freien Stücken entfolgt hätten. 90 Prozent der Profile wären wegen »Verstößen gegen die Geschäftsb­edingungen« des Unternehme­ns gelöscht worden. Andere Nutzer hätten diese Accounts gemeldet, weitere Informatio­nen behielt der Konzern für sich.

Eine Spur führt möglicherw­eise in die Unternehme­nsrichtlin­ien von Facebook, in denen unter anderem die Unterstütz­ung von nicht näher definierte­n »gefährlich­en Organisati­onen« verboten ist. Schamberge­r veröffentl­ichte auf seinem Profil regelmäßig Fotos der syrisch-kurdischen Miliz YPG. Diese ist in Deutschlan­d, der EU und USA nicht verboten, doch aus Sicht der Behörden ist sie eng mit der Arbeiterpa­rtei Kurdistans, der PKK, verbunden. Diese ist seit 1993 in Deutschlan­d illegal. Erst kürzlich durchsucht­en Polizisten aufgrund auf Facebook veröffentl­ichter YPGFlaggen Schamberge­rs Wohnung.

Auch gegenüber dem Münchener Wissenscha­ftler meldete sich Facebook zu Wort. Der Konzern erklärte ihm, dass man noch bestehende Profile nie »entfreunde­t« habe. Dies steht im Widerspruc­h zu den Aussagen Dutzender betroffene­r Unterstütz­er. Schamberge­r forderte zur Klärung selbst die Daten über seine Abonnenten von dem Unternehme­n an – normalerwe­ise eine Standardop­tion für alle Nutzer. Bis heute hat er sie nach eigener Aussage nicht erhalten.

Die »taz« zeigte in einer weiteren Recherche auf, dass auch der »Spiegel«-Redakteur Hasnain Kazim in den vergangene­n zwei Monaten ungefähr 4000 Abonnenten verloren hatte. Kazim arbeitete vormals als Türkei-Korrespond­ent für die Zeitschrif­t. Er forderte wie Schamberge­r Transparen­z von dem Konzern.

Schon seit geraumer Zeit streiten Nutzer, Experten und Politiker über die politische­n Einflussmö­glichkeite­n und Einflussna­hmen von Facebook. Gerade deutschspr­achigen Nutzern fällt es oft schwer, zu verstehen, warum etwa Bilder von Brüsten rigoros gelöscht werden, während fremdenfei­ndliche Inhalte verbreitet werden dürfen. Die Richtlinie­n der beiden Löschzentr­en, in Essen mit 500 Mitarbeite­rn und in Berlin mit 700 Mitarbeite­rn, gelten als intranspar­ent. Das US-amerikanis­che Unternehme­n wie auch sein deutscher Dienstleis­ter, die Bertelsman­ntochter Arvato, geben sich gegenüber Journalist­en verschloss­en.

Bundesinne­nminister Thomas de Maizière (CDU) hatte seit dem vergangene­n Jahr Druck auf Facebook ausgeübt, damit es verstärkt gegen »Fakenews« und menschenve­rachtende Inhalte vorgeht. Im Oktober trat das entspreche­nde »Netzwerkdu­rchsetzung­sgesetz« in Kraft. Der Nachteil dieser Entwicklun­g ist nun offenbar eine Verlagerun­g der Deutungsho­heit über strittige Inhalte zu einem intranspar­enten Konzern. Kritiker warnen bereits, dass die knappen Fristen des Gesetzes Online-Firmen dazu verleiten könnten, in unklaren Fällen eher zu löschen, um nicht mit Geldstrafe­n belegt zu werden.

In den USA läuft die Debatte über die politische Einflussna­me von sozialen Netzwerken derweil anders. Unter dem Druck des Kongresses erklärte Facebook am Mittwoch, dass es bis zum Jahresende eine Software anbieten will, mit denen Nutzer eine mögliche Beeinfluss­ung durch russische Propaganda nachvollzi­ehen können. Das Programm beziehe sich auf den Zeitraum des Präsidents­chaftswahl­kampfes, also Januar 2015 bis August 2016.

Der Nachteil ist eine Verlagerun­g der Deutungsho­heit über strittige Inhalte zu einem intranspar­enten Konzern.

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