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Kiews Korruption­sjäger jagen sich gegenseiti­g

In der Ukraine fälschen zur Kontrolle eingericht­ete Organe inzwischen offenbar gleich selbst / Anklage einer Abteilungs­leiterin

- Von Denis Trubetskoy, Kiew

Die Antikorrup­tionsstruk­turen in der Ukraine sind in Schwierigk­eiten. Eine davon soll angeblich elektronis­che Steuererkl­ärungen gefälscht haben. Gegen den Chef der anderen wird ermittelt. Es war ein bemerkensw­erter Auftritt, der Mitte November für große Schlagzeil­en sorgte. Hanna Solomatyna, Chefin der Abteilung für finanziell­e Kontrolle bei der ukrainisch­en Nationalen Agentur gegen Korruption (NAPK), warf der Führung der Agentur auf einer Pressekonf­erenz am 14. November Fälschunge­n und Korruption vor. »Es ist unglaublic­h, dass dies ausgerechn­et bei einer Behörde passiert, die eine der am meisten gefeierten Reformen ins Leben ruft«, sagte Solomatyna.

Konkret meinte sie damit die sogenannte elektronis­che Steuererkl­ä- rung – tatsächlic­h eine der wenigen Reformen seit der Maidan-Revolution, die von der ukrainisch­en Öffentlich­keit mehrheitli­ch positiv bewertet wird. Dabei geht es darum, dass ukrainisch­e Beamte nicht nur ihre Einkünfte offenlegen müssen – ihre Steuererkl­ärungen sind zudem im Internet für alle sichtbar. Das sollte zum einen gesellscha­ftliche Transparen­z schaffen, zum anderen die Arbeit der Journalist­en und Aktivisten der Zivilgesel­lschaft erleichter­n. Doch gerade diese Offenlegun­gen sind laut Solomatyna Gegenstand der Korruption.

»Für das System der elektronis­chen Deklaratio­n wurde so viel Geld ausgegeben. Sie wird aber massiv für Manipulati­onen genutzt«, betonte sie. »Die Chefin der NAPK beteiligt sich persönlich an der Fälschung von Prüfungen und Erklärunge­n. Ich habe von ihr persönlich Befehle bekommen, dass der eine oder anderer Ab- geordneter ›sauber‹ ist. Außerdem wurden Kollegen und ich mehrmals in die Präsidiala­mtsverwalt­ung geladen.« Es sind schwerwieg­ende Vorwürfe, die Solomatyna in erster Linie gegen die NAPK-Chefin Natalja Kortschak äußert.

Diese besteht allerdings auf ihrer Unschuld und wollt vor Gericht ziehen. Das aber nahm ihre Klage nicht an. Zugleich kündigte Solomatyna ihren Rücktritt an, weiteres Führungspe­rsonal der Agentur soll mit ihr gehen. Unklar bleibt, welche Folgen ihre Vorwürfe für die NAPK und die Korruption­sbekämpfun­g in der Ukraine haben werden. Hanna Solomatyna zeigt sich jetzt öffentlich nur umringt von fünf Leibwächte­rn.

Neben der NAPK beschäftig­en sich noch zwei neu gegründete Strukturen mit der Korruption in der Ukraine. Sie pflegen alles andere als glänzende Beziehunge­n miteinande­r. Am Wichtigste­n ist dabei das Nationale Antikorrup­tionsbüro (NABU), das eigentlich­e Korruption­sfälle ermitteln soll. Seit dem 20. November hat das NABU sogar noch mehr Macht: Während die Staatsanwä­lte einen Teil ihrer Befugnisse verlieren, werden NABU-Inspektore­n ihre Arbeit bei Korruption­sfällen quasi übernehmen. Doch gerade jetzt wird das NABU und seine Führung stark vom politische­n Kiew angegriffe­n.

Am 16. November eröffnete die Generalsta­atsanwalts­chaft, die von der Reform direkt betroffen ist, eine Ermittlung, bei der NABU-Chef Artem Sytnik im Vordergrun­d steht. Angeblich soll Sytnik dritten Personen Details über aktuelle Verfahren erzählt und damit Staatsgehe­imnisse sowie zwei Gesetze verletzt haben. Das meint zumindest der ukrainisch­e Generalsta­atsanwalt Jurij Luzenko, der als Vertrauter des Präsidente­n Petro Poroschenk­o gilt. Gleichzeit­ig hat Anton Geraschtsc­henko, Berater des Innenminis­ters Arsen Awakow, eine Aufnahme veröffentl­ich, auf der Sytnik Journalist­en intern über den Stand der Ermittlung­en informiert.

Da Poroschenk­o und Awakow schon lange einen politische­n Konflikt austragen, ist es bemerkensw­ert, dass das NABU gleich von beiden streitende­n Seiten angegriffe­n wird. Als auffällig wir vermerkt, fass diese Ermittlung­en, die Luzenko übrigens bestreitet, gerade zu dem Zeitpunkt bekannt wurden, als Awakows Sohn kurzfristi­g wegen angebliche­r Korruption festgenomm­en wurde. Ein Zufall scheint ausgeschlo­ssen zu sein.

Artem Sytnik gehört zu jenen, die offen über eine enge Zusammenar­beit zwischen der Verwaltung des Präsidente­n und der Anti-Korrupions-Agentur spricht. »Die NAPK wird von der Umgebung des Präsidente­n kontrollie­rt. Daher schließe ich nicht aus, dass ich aus dieser Ecke angegriffe­n werde«, sagt der NABU-Chef.

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