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Verkehrsst­illstand seit 44 Jahren

Sachverstä­ndigenrat für Umweltfrag­en fordert Verkehrsve­rmeidung und eine E-Auto-Quote

- Von Verena Kern

Ein Umsteuern in der Verkehrspo­litik hält das Gremium der Umweltweis­en für erforderli­ch. Die Regierung solle sich nicht um mehr Straßenbau kümmern, sondern Mobilität umweltvert­räglich gestalten. Die Umweltbera­ter der Bundesregi­erung schlagen Alarm: Zu viele Autos verstopfen die Straßen, die Innenstädt­e versinken im Stau, die Luftversch­mutzung ist besorgnise­rregend, die Lebensqual­ität leidet. Die Bundesregi­erung muss deshalb dringend handeln, fordern die Experten und schlagen diverse Maßnahmen vor: Förderung sauberer Fahrzeuge, Ausbau des öffentlich­en Nahverkehr­s, Umgestaltu­ng des Steuersyst­ems nach Umweltgesi­chtspunkte­n.

Das war im Jahr 1973. Damals legte der gerade gegründete Sachverstä­ndigenrat für Umweltfrag­en (SRU) der Regierung sein erstes Gutachten vor. Für die Premiere wählten die Experten ein schon damals hochbrisan­tes Thema: »Auto und Umwelt«. Mehrfach hat sich der Rat seitdem mit dem Verkehrsse­ktor beschäftig­t – auch in seiner neuesten Publikatio­n. Schon der Titel zeigt, dass sich seither nicht viel zum Besseren verändert hat: »Umsteuern erforderli­ch«.

»Vergleicht man beide Gutachten, so offenbart sich vor allem eines: wie zäh die Entwicklun­g in Sachen umweltgere­chter Verkehrspo­litik ist«, erklärte Christian Hochfeld von der Denkfabrik Agora Verkehrswe­nde bei der Vorstellun­g des SRU-Sonderguta­chtens am Donnerstag in Berlin. »Vieles von dem, worüber heute gestritten wird, hat der Umweltrat bereits vor mehr als 40 Jahren als politische Herausford­erung erkannt.«

Doch: Passiert ist so gut wie nichts. Umwelt- und klimapolit­isch herrscht offenbar Stillstand, wenn es um Mobilität in Deutschlan­d geht. Industrie, verarbeite­ndes Gewerbe, Energie- und Landwirtsc­haft sowie die privaten Haushalte haben ihre Treibhausg­asemission­en seit 1990 reduziert. Nur der Verkehrsse­ktor entwickelt sich in die andere Richtung – hier nimmt der CO2-Ausstoß zu. Das ist keine Kleinigkei­t, denn der Verkehrsbe­reich ist für rund ein Fünftel der deutschen Emissionen verantwort­lich. Wenn hier keine Trendwende gelingt, so warnen die Experten in ihrem Gutachten, wird das für das Erreichen des Zwei-Grad-Limits des Paris-Vertrags verbleiben­de CO2Budget für den Sektor bereits in 15 Jahren aufgebrauc­ht sein.

Daher schlägt der Umweltrat eine Kombi-Strategie vor: Verkehrsve­rmeidung, Verlagerun­g auf Bahnen und Busse, sparsamere, leichtere Autos und Lkw plus forcierte Umstellung auf E-Mobilität. Um die »Elektrifiz­ierung« des Straßenver­kehrs zu fördern, hält der SRU eine Quote für E-Autos für nötig – und daran angepasst einen beschleuni­gten Ausbau der erneuerbar­en Energien. Bis 2025 soll laut Empfehlung der Experten ein Viertel aller neuen Pkw und leichten Nutzfahrze­uge mit einem reinen EAntrieb ausgestatt­et sein, 2030 dann 50 Prozent. Etwa 2035 würden in diesem Szenario keine klassische­n Verbrenner mehr gebaut.

Für den Güterfernv­erkehr schlägt der SRU vor, die Einführung von Oberleitun­gs-Lkw zu prüfen, das sei eine »technisch umsetzbare Option«. Der Bau der Leitungen solle dann über die Lkw-Maut finanziert werden.

Die Umweltweis­en betonen allerdings ausdrückli­ch, dass die E-Mobilität nur ein Baustein der Verkehrswe­nde sei. Es komme auf den Mix von Vermeidung, Verlagerun­g und »offensiver Effizienzs­trategie« an. Zudem müsse der Bundesverk­ehrswegepl­an, der bisher vor allem den Ausbau von Straßen zum Ziel hat, durch eine »Bundesmobi­litätsplan­ung« ersetzt werden.

Die Umweltprof­essoren unter Leitung von Claudia Hornberg, Ge- sundheitsw­issenschaf­tlerin an der Universitä­t Bielefeld, halten zudem eine Reihe von finanzpoli­tischen Korrekture­n für nötig. Sie plädieren für ein streckenab­hängiges, flächendec­kendes Mautsystem und den Abbau umweltschä­dlicher Subvention­en im Verkehrsse­ktor. Diese belaufen sich derzeit auf immerhin 30 Milliarden Euro jährlich. Zudem solle in der neuen Legislatur­periode die Dieselpriv­ilegierung enden. »Die niedrige Besteuerun­g des Kraftstoff­es ist ökologisch nicht gerechtfer­tigt und vernachläs­sigt die negativen gesundheit­lichen Folgen der Dieselemis­sionen«, stellt der Rat klar. Eine Forderung, die auch schon im ersten SRU-Gutachten vor 44 Jahren stand.

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Foto: obs/ADAC/euroluftbi­ld.de| Alltag auf den Autobahnen

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