»Verfolgung hat nicht aufgehört«
Ein Jahr nach dem Friedensschluss leben Gewerkschafter in Kolumbien noch immer höchst gefährlich
Vor einem Jahr im November wurde der Friedensvertrag zwischen der FARC-Guerilla und dem kolumbianischen Staat unterzeichnet. Hat sich die Menschenrechtssituation seitdem merklich geändert?
Die Unterzeichnung des Friedensvertrags von FARC und Regierung hat in Kolumbien enorme Hoffnungen geweckt – gerade bei den sozialen Bewegungen, darunter Menschenrechtsorganisationen und Gewerkschaften. Überall hat man auf mehr Respekt für die Menschenrechte und auf größere Sicherheitsgarantien gehofft – doch ein Rückgang der Menschenrechtsverletzungen ist nur partiell eingetreten. Es gibt weniger Tote, weil es keine Gefechte mehr zwischen FARC und Armee gibt. Aber die Zahl der politisch motivierten Morde an sozialen, politischen und Menschenrechtsaktivisten ist eben nicht gesunken. Ein Jahr nach Vertragsunterzeichnung sind die sozialen Organisationen in Kolumbien extrem besorgt, weil die Verfolgung von sozialen Aktivisten eben nicht aufhört.
Gibt es wenigstens eine positive Tendenz?
2015 haben wir 21 Morde dokumentiert, 2016 waren es 19 und bis Ende Oktober 16 Morde. Von einem merklichen Rückgang kann also keine Rede sein.
Gewalt gegen organisierte Arbeiter ist ein Phänomen in Kolumbien, das weit in die 1980er Jahre zurückreicht. Der Schutz gewerkschaftlicher Rechte wurde 2011 erstmals in einem Freihandelsabkommen aufgenommen – mit den USA. Was wurde darin vereinbart und hat das etwas gebracht?
Damals verpflichtete sich der kolumbianische Staat, mehr für den Schutz gewerkschaftlich organisierter Arbeiter zu tun und mehr Engagement in der Strafverfolgung zu zeigen. Die Aufklärungsquote bei Gewalttaten gegen Gewerkschafter lag damals bei zwei Prozent, deshalb hat man eine spezielle Abteilung bei der Staatsanwaltschaft eingerichtet und drei Richter mit den Fällen betraut. Im ersten Jahr gab es eine enge Zusam- menarbeit zwischen der Gewerkschaftsschule ENS und der Ermittlungseinheit, danach verschlechterte sie sich zusehends. Heute liegt die Aufklärungsquote bei fünf Prozent. Allerdings ist auch nur noch ein Richter für Fälle von Gewalt gegen Gewerkschafter zuständig.
Sind die neuen Gerichtshöfe, die für das Gros der Menschenrechtsverbrechen während der Bürgerkriegszeit zuständig sein werden, ein Hoffnungsschimmer?
Ja, das sind sie. Denn es hieß immer, dass die Opfer ein zentraler Bestandteil dieser sogenannten Übergangsjustiz sein sollen. Nun wird das Abkommen im Parlament derzeit allerdings nachverhandelt und stark ver- ändert, sodass wir von einem Derivat der eigentlichen Übergangsjustiz sprechen. Wir müssen abwarten, was schlussendlich vom Ursprungskapitel übrig bleibt. Für uns ist die Über- gangsjustiz trotzdem eine Chance, denn es geht grundsätzlich darum, die Gewerkschaftsarbeit zu ermöglichen, sie sicherer zu machen, Verbrechen aufzuklären und zu ahnden und da- für zu sorgen, dass sie sich nicht wiederholen. Aus dieser Perspektive ist die Übergangsjustiz eine Chance – wir haben keine andere.
Welche Bedeutung hat die Wahrheitskommission, deren elf Mitglieder gerade ernannt wurden?
Eine zentrale, denn es geht schließlich um die historische Wahrheit eines Konflikts, der Kolumbien seit mehr als fünfzig Jahren in Atem hält. Die Kommission hat nur rund dreieinhalb Jahre für ihre Arbeit – das ist eine Mammutaufgabe in Minimalzeit. Wir hoffen sehr, dass die Geschichte der Gewerkschaftsverfolgung, die mehr als 3000 Morde nach sich gezogen hat, dort ausreichend berücksichtigt wird.