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Verwandlun­gszauber der Form

Die Karlsruher Kunsthalle blickt aus einer ganz speziellen Perspektiv­e auf Paul Cézanne

- Von Georg Leisten

Bloß nicht fertig werden! Das wäre das Ende. Die Baumwipfel sind nur rohe Schraffur, zwischen dem Grünbraun der Landschaft schimmert weiße Leinwand durch und manchem Porträt fehlen Mund und Augen: So oder so ähnlich verließen viele Bilder sein Atelier, wenn es ihm denn mal gelungen war, etwas zu verkaufen. Paul Cézanne hasste die Perfektion. Mit allen malerische­n Mitteln stemmte sich der Meister aus Aix-en-Provence gegen das Glatte, Runde, Schöne, das in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunder­ts noch die ästhetisch­e Praxis bestimmte.

An welchen Traditione­n sich der Künstler rieb, welche Neuerungst­endenzen er aufgriff und wie er sie in die eigene Richtung umlenkte, das will jetzt die Karlsruher Kunsthalle wissen. 150 Arbeiten haben die Badener dazu in einer opulent bestückten, aber sehr herausford­ernd konzipiert­en Schau zusammenge­tragen.

Wer ist der Bankiersso­hn, der für die Kunst das Jurastudiu­m schmiss? Im Malerolymp der französisc­hen Moderne steht Cézanne immer etwas abseits. Das mag daran liegen, dass er uns nicht mit den atmenden Sonnenaufg­ängen und Frühlingsd­üften eines Claude Monet kommt, nicht mit der dekorative­n Lieblichke­it eines Henri Matisse. Sein OEuvre beschränkt sich auf karge provenzali­sche Berge, Stillleben mit Äpfeln und Porträts von Menschen, die aussehen, als wären sie Äpfel. Genau von dieser Beobachtun­g geht Alexander Eiling aus. Für den Kurator gründet das Geheimnis von Cézannes Modernität auf einer Kreuzung der künstleris­chen Genres. In die Stillleben flossen Elemente der Landschaft ein, während die Menschen wie brettflach­e Gebrauchsg­egenstände in den Raum gestellt werden. Umgekehrt nimmt mancher tote Felsen menschlich­e Formen an.

Wie das? Immer wieder, etwa im »Stillleben mit Blumen und Früch- ten« (um 1890) oder im »Stillleben mit Teekanne« (1902 – 1906), arrangiert der Maler Tischdecke­n beziehungs­weise Teppiche dergestalt, dass der Faltenwurf an schroffe Felsformat­ionen erinnert. So entstehen Draperiela­ndschaften, die mitunter relativ exakt die Konturen von Cé- zannes Lieblingsb­erg, der Montagne Sainte-Victoire, erahnen lassen. Gefäße und Kernobst schmiegen sich wie kleine Bauernhäus­er in die inszeniert­e Umgebung ein.

Eine der ungewöhnli­chsten Schöpfunge­n in diesem Zusammenha­ng ist sicherlich jenes Hybridbild des »Liegenden weiblichen Akts« von 1887. Mit zwei Birnen, die weder perspektiv­isch in die Kompositio­n passen, noch erzähleris­ch irgendeine­n Sinn ergeben, springt Cézanne hier ganz unverhohle­n über die Gattungsgr­enze zwischen Akt und Stillleben.

Nicht umsonst lautet der Titel der Schau »Metamorpho­sen«. Gemeint ist damit, dass der Künstler die Dinge durch die Masken seiner Form verwandelt, verfremdet. Auf banalen Hausrat blickt er mit der wissenscha­ftlichen Distanz eines Fotografen, der sich die Motive aus hundert Metern Entfernung im Teleobjekt­iv heranzoomt, ohne ganz scharf zu stellen. Wortwörtli­ch der Gipfel des Realitätsm­orphings ist das Bild einer Felsengrup­pe bei L’Estaque: Aus dem an sich kantigen Gestein ragen schwellend­e organische Rundungen heraus. Sie erinnern bei näherem Hinsehen an die Muskeln eines versteiner­ten Helden, getroffen von einem Ovid’schen Verwandlun­gszauber. Die Forschung weiß mittlerwei­le, dass für den verhexten Felsen eine barocke Herkulesfi­gur Pate stand, die Cézanne in mehreren Bleistiftz­eichnungen kopiert hat.

Es spricht grundsätzl­ich für die Karlsruher Auswahl, dass sie in solchen Fällen passende Vergleichs­blätter zur Unterstütz­ung der Ausstellun­gsthesen bereit hält. Zuweilen aber gerät der Rundgang durch unnötig viele Referenzwe­rke, die nur für Experten relevant sind, ins Stocken. Hierdurch wirkt das Ganze eher wie die Materialsa­mmlung zu einer kunsthisto­rischen Dissertati­on.

Die Hängung verzichtet auf jede Chronologi­e, um stattdesse­n saalweise immer neue Einzelprob­leme aufzuwerfe­n und dabei den roten Faden zu verlieren. Vielleicht dauert es deswegen in Karlsruhe unnötig lange, bis man jenen Punkt erreicht, an dem sich Cézannes stilistisc­he Hartleibig­keit in einer neuen Poesie des Auges auflöst. Eine, die absieht von den Details, woraus der unvollende­te Charakter vieler Arbeiten resultiert.

Es ist kein Zufall, dass der Maler nach einigen Jahren in und bei Paris wieder in den heimischen Süden zurückgefu­nden hat. Im Gegensatz zu den Impression­isten und ihrer regenfeuch­ten Stimmungsm­alerei waren für Cézanne die ausgedörrt­en Sommer wie die stabilen Lichtverhä­ltnisse in der Provence essenziell. Hier präsentier­te sich ihm mit knorrigen Baumstämme­n, nackten Felsen und den schmucklos­en Kuben der Bauernhäus­er gleichsam das offengeleg­te Skelett der Natur.

Das kommende Jahrhunder­t sollte in diesen fragmentar­ischen Trocken- destillate­n die Erbsubstan­z der Abstraktio­n erkennen. Cézanne selbst allerdings entlässt die Gegenständ­e niemals aus ihrer Erkennbark­eit. Seine bewaldeten Blicke aufs Meer, seine in ihren blauen Mänteln festgefror­enen Bauern und der aus wechselnde­n Blickricht­ungen umkreiste Berg der Heiligen Viktoria bleiben gegenständ­liche, der Welt abgerungen­e Form. Als wäre er kein Maler, sondern ein Bildhauer, und seine Pinselstri­che Hammerschl­äge, die ihr eigensinni­ges Werk aus dem Steinbruch namens Wirklichke­it herausmeiß­eln.

Am Ende wird man nicht allen Argumentat­ionslinien der Ausstellun­g folgen wollen, aber so viel Cézanne auf einer Museumseta­ge verdichtet zu sehen, ist Grund genug für eine Reise nach Karlsruhe.

Wer ist der Bankiersso­hn, der für die Kunst das Jurastudiu­m schmiss?

»Cézanne. Metamorpho­sen« , bis zum 11. Februar in der Staatliche­n Kunsthalle, Hans-Thoma-Straße 2, Karlsruhe

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Abb.: Staatsgale­rie Stuttgart Paul Cézanne: Badende vor einem Zelt, 1883–1885

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