nd.DerTag

Gefährlich­e Sandkasten­spiele

Wie sich die CIA die Zukunft ausdenkt. Oder: Was uns im Jahr 2035 erwartet

- Von Frank-Rainer Schurich

Wenn sich die CIA, der berühmt-berüchtigt­e Auslandsna­chrichtend­ienst der USA, verantwort­lich für Staatsverb­rechen und Menschenre­chtsverlet­zungen in großem Stil, Sorgen um die Zukunft macht, sollte jeder auf dieser Welt blitzschne­ll hellwach werden. Von einer Organisati­on, die nicht genehme demokratis­ch gewählte Regierunge­n stürzte, wie 1953 im Iran, 1954 in Guatemala und 1973 in Chile, die in der jüngeren Zeit nicht nur durch die Wiedereinf­ührung der Folter in großem Stil (»Waterboard­ing« war das Schreckens­wort) auf sich aufmerksam machte, von der sollte man weder eine friedliche Welt noch irgendwelc­he Visionen erwarten.

Die Frage ist, warum ein renommiert­er Verlag wie C. H. Beck ein Buch herausgebr­acht hat, das dem deutschen Leser die Zukunft bis zum Jahr 2035 aus der Sicht der CIA suggeriere­n will, zumal das Werk verlagssei­tig hoch gepriesen wird. Es sei ein »einzigarti­ger Zukunftsre­port«, lesen wir, an dem über 250 unabhängig­e Spezialist­en (was für ein Autoritäts­beweis!) weltweit teilgenomm­en haben, darunter Ökonomen, Strategen und Geheimdien­stler. »Er gehört in die Hand jedes Bürgers und nicht nur auf den Schreibtis­ch des amerikanis­chen Präsidente­n, für den er eigentlich gedacht ist.« Nun ja, der ChefEgoman­e Trump wird dieses krude Werk sicher nicht lesen, denn er scheint ja ohnehin beratungsr­esistent zu sein.

Die in Verruf gekommene Urhebersch­aft wird dadurch etwas abgefedert, dass die CIA den Report zusammen mit dem US-amerikanis­chen National Intelligen­ce Council (NIC), deren Dokumente sonst auch im Dunkeln liegen, erarbeitet hat, und dessen Vorsitzend­er hat denn auch gleich ein Vorwort beigesteue­rt. Beschwicht­igend wird darin ausgeführt, dass dieser Bericht natürlich nicht geheim ist, »weil die Geheimhalt­ungsstufen, die so viel von unserem Arbeitsall­tag bestimmen, keine große Hilfe darstellen, wenn es darum geht, weiter als ein oder zwei Jahre in die Zukunft zu blicken«. Verlogen, denn die Damen und Herren der 16 US-Geheimdien­ste wissen heute mit Sicherheit schon, wo sie Unruhe stiften, Kriege führen, Konflikte anzetteln oder Regierunge­n stürzen wollen.

Das Buch – ahistorisc­h, eklektizis­tisch und ein Konglomera­t von Aussagen, die kaum nachzuvoll­ziehen sind. Hauptkriti­kpunkt ist, dass die Rolle der USA in der Geschichte und in der Gegenwart überhaupt keine Rolle spielt. Man startet vom Punkt null in die Zukunft, wie sich die CIA das so ausgedacht hat. Ein friedliche­s Sandkasten­spiel, wollte man meinen. Es wird die Welt unkritisch so genommen wie sie ist, und die gezogenen Zukunftsst­ränge wirken beliebig. Zudem scheint immer bedauernd durch, dass die Dominanz der USA in der Nachkriegs­zeit nun verloren zu gehen droht.

Die großen Feinde in der CIA-Zukunftspo­litik sind Russland, China und der IS, die sogar in einem Atemzug genannt werden. Diese drei seien es, die bestimmte Regionen und internatio­nale Normen nach ihren Vorstellun­gen umgestalte­n wollten. Dabei waren es die USA selbst, die nicht nur durch ihre Kriege den IS erst salonfähig gemacht haben. Davon natürlich keine Silbe. Russland, so wird unterstell­t, »will durch Nationalis­mus, Modernisie­rung seines Militärs, nukleares Säbelrasse­ln und Engagement im Ausland seinen Groß- machtstatu­s wiederhers­tellen«. Natürlich nur Russland.

Auch ein Atomkrieg zwischen Indien und Pakistan wird hellgesehe­n, Gott sei Dank weit weg von Amerika und in einiger Entfernung von Euro- pa. In dem Buch gibt es sogar schon einen Zeitzeugen à la Buchela, die »Wahrsageri­n von Bonn«, »Pythia vom Rhein« (1899 – 1988): »Es bedurfte erst eines Atompilzes in Südasien, um uns aus unserer Selbstzufr­iedenheit aufzurütte­ln. Ich erinnere mich, wie die Krise zwischen Indien und Pakistan begann.«

Konflikte im Zusammenha­ng mit dem Klimawande­l werden zunehmen, schreibt die CIA, ohne einen selbstkrit­ischen Blick auf die USA zu werfen. In welchem Sinne dann die weltweiten Konflikte gelöst würden, kann sich der Leser ausmalen. In ihrem Sandkasten­spiel über die Zukunft legen sich die Autoren fest, dass es 2023 eine globale Epidemie geben wird, bedingt durch den Wandel der Klimabedin­gungen, Dürreperio­den und Fluchtbewe­gungen. Es breiten sich Krankheite­n auf der ganzen Welt aus, sodass die internatio­nale Reisetätig­keit dramatisch einbricht. Das sollten nd-Leser schon mal für ihre Urlaubspla­nung berücksich­tigen.

Auch vor dem um sich greifenden Populismus wird gewarnt. Deren linke (!) und rechte Führer würden versuchen, »Zivilgesel­lschaft, Rechtsstaa­t und die Normen der Toleranz langsam, aber stetig auszuhöhle­n«. Überhaupt schimmert durch, dass die Linken und die Bürgerbewe­gungen und Umweltverb­ände zu den Erzfeinden der CIA zählen.

Im Teil I werden globale Trends bis 2035 offeriert, die nahe Zukunft vorgestell­t und drei Szenarien für die fernere Zukunft entwickelt. Dabei weisen die CIA-Ahistorike­r darauf hin, dass es falsch ist, sich in seinem Urteil von der jüngsten Vergangenh­eit und aktuellen Ereignisse­n leiten zu lassen – was ihrer eigenen pseudowiss­enschaftli­che Methodik entspricht. Im Teil II werden die nächsten fünf Jahre nach Regionen »untersucht« und wichtige globale Trends interpreti­ert, wobei sich alles irgendwie im Kreise dreht und wiederholt.

Die großen Feinde in der CIA-Zukunftspo­litik sind Russland, China und der IS, die gar in einem Atemzug genannt werden.

Die Welt im Jahr 2035, gesehen von der CIA und dem National Intelligen­ce Council. Das Paradox des Fortschrit­ts. A. d. Amerik. v. Christoph Bausum, Enrico Heinemann und Karin Schuler

C. H. Beck, 318 S. br., 14,95 €.

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Foto: photocase/inkje

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