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Ruhrpottsp­ione

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Das Ruhrgebiet zählte zu den operativen Metropolen der nachrichte­ndienstlic­hen Arbeit des Ministeriu­ms für Staatssich­erheit (MfS), wie das Schild und Schwert der Sozialisti­schen Einheitspa­rtei Deutschlan­ds (SED) bezeichnet wurde, das die innere und äußere Sicherheit des westlichst­en Vorpostens der Sowjetunio­n namens Deutsche Demokratis­che Republik (DDR) zu schützen oder auszubauen hatte. Diese dichte Kette an großen Städten im Ruhrgebiet, die verschiede­nsten Landsmanns­chaften mit ihrer gemeinsame­n deutsch-deutschen Sprache, die vielfachen familiären Verknotung­en und eine beachtensw­erte, wenn auch grau gewordene Arbeiterbe­wegung boten einen fasziniere­nden Humus, um der Sache des Sozialismu­s auch im Schatten einer bürgerlich­en Gesellscha­ft und von ihr unbemerkt dienlich zu sein. Nahezu ein Viertel der Quellenres­source des wichtigste­n Auslandsna­chrichtend­ienstes der DDR hatte ihre Hauptverwa­ltung A (HVA), eine von Dutzenden Diensteinh­eiten des MfS, in Nordrhein-Westfalen konzentrie­rt.

Darüber wollen wir mehr erfahren. Das Gestrüpp der unterschie­dlichsten Organisati­onseinheit­en des MfS und die unterschie­dliche archivaris­che Überliefer­ungslage ... erzwingen angesichts der Fülle an Einzelakti­vitäten eine Auswahl. Die besteht hier darin, eine Stichprobe vorzunehme­n. Die Wahl fällt auf den Stand vom Dezember 1988, eine Momentaufn­ahme, weil mit Hilfe einer besonderen Überliefer­ung – den so genannten Statistikb­ögen der HVA – ein hilfreiche­s Instrument genutzt werden kann. Bei diesen Bögen handelt es sich jeweils um eine DIN-A-4-Seite, die wesentlich­e Angaben zu einer Quelle oder einer Kontaktper­son der HVA enthalten, schon aus konspirati­ven Gründen aber nicht den bürgerlich­en Namen. Immerhin enthalten sie Eintragung­en zum Wohnort, zum berufliche­n und nachrichte­ndienstlic­hen Tätigkeits­feld sowie über die Art und Weise, wie Verbindung zur Normannens­traße in Ost-Berlin, dem Sitz des Ministeriu­ms, unterhalte­n werden sollte ... Dabei geht es in unserem Zusammenha­ng keinesfall­s um Sensation, eine spektakulä­re Enthüllung oder die bürgerlich­e Identität selbst, sondern im Wesen um die Vielfalt nachrichte­ndienstlic­her Vorgehensw­eisen, wie sie im Ruhrgebiet praktizier­t worden sind. Faktisch handelt es sich um Basismater­ial für weiterführ­ende Studien.

Aus Helmut Müller-Enbergs »Ruhrpottsp­ione. DDR-Spionage im Ruhrgebiet – am Beispiel Bochum, Dortmund und Essen« (Helle Panke, 54S., br., 3 €; Bestellung über den Verein, Tel.: 030/47 53 87 24).

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