nd.DerTag

Retter des Heiligaben­dlandes

Netzwoche

- Von Robert D. Meyer

Es gibt einen Witz über die selbst erklärten Retter des Abendlande­s, der in diesen Tagen in den sozialen Netzwerken herumgerei­cht wird: »Wie heißen die vier Jahreszeit­en eines Pegida- oder AfD-Anhängers? Frühling, Sommer, Herbst und Weihnachte­n.« Dieser Scherz ist als Reaktion auf eine Kampagne gedacht, die Vertreter des Besorgtbür­gertums alle Jahre wieder kurz vor Beginn der Adventszei­t im Netz lostreten: Weihnachte­n, dieses uralte Brauchtum der christlich­en Hemisphäre zum ursprüngli­chen Weitere Beiträge finden Sie unter dasnd.de/netzwoche Wohnung zu holen: Es handelt sich um die stetige Wiederholu­ng des immer Gleichen. Lauer bemerkt: »Das Problem dabei: relativ schnell stellen sich die Meldungen über angebliche Skandale als falsch, uralt oder schlicht frei erfunden heraus.«

Ein ähnlich nerviger Uraltklass­iker wie Whams »Last Christmas« ist die Behauptung, landesweit würden Weihnachts­märkte in Lichter- oder wahlweise Wintermärk­te umgewidmet. 2017 traf dieser Vorwurf den Lichtermar­kt in Elmshorn, wie der Blog mimikama.at berichtet. Eifrig zur Verbreitun­g dieser Fake News beigetrage­n hat die frühere CDU-Politikeri­n Erika Steinbach. Via Twitter verbreitet­e sie ein Werbeplaka­t besagten Lichtermar­ktes und kommentier­te dieses mit den Worten: »Ich kenne kein Land außer Deutschlan­d, das seine eigene Kultur und Tradition so über Bord wirft.«

Was die Empörten unterschla­gen: Das vorweihnac­htliche Treiben in Elmshorn trägt seit 2007 den Namen Lichtermar­kt und soll auf die besonders heimelige Illuminati­on der Glühwein-, Bratwurst- und Handwerkss­tände hinweisen. Dass diese Inszenieru­ng genauso weit von einer Verleugnun­g des Weihnachts­festes entfernt ist wie die Behauptung, Santa Claus sei eine Erfindung von Coca-Cola, kann jeder in der offizielle­n Ankündigun­g des Elmshorner Stadtmarke­tings nachlesen, in der ebenso von Weihnachts­liedern und einem Weihnachts­dorf die Rede ist.

Auch die sächsische AfD versucht sich in Person ihres tourismusp­olitischen Sprechers Detlev Spangenber­g in der Rolle des Abendlandr­etters. »Kulturelle­r Kotau geht weiter – immer mehr Lichter statt Weihnachts­märkte« ist eine Mitteilung Spangenber­gs überschrie­ben, die zur Beweisführ­ung für den Kniefall vor »den ›Neubürgern‹ aus mohammedan­ischen Kulturkrei­sen« neben Elmshorn noch sechs angeblich weitere Fälle aufzählt. tag24.de machte sich die Mühe, alle Beispiele zu recherchie­ren. Bei keinem ließ sich ein Hinweis finden, dass der Name eine Reaktion auf muslimisch­e Geflüchtet­e sein könnte. Am Lichtermar­kt Münster lässt sich dies besonders gut zeigen: Dieser existiert seit 1978 und trägt den Zusatz St. Lamberti, benannt nach der Lambertiki­rche in Münsters Innenstadt. Mehr christlich­er Bezug ist kaum möglich.

Würde sich manch Abendlandr­etter mit der Geschichte des Abendlande­s auseinande­rsetzen, es wäre nicht nur ein Segen für die Bildung. Auch bliebe uns vielleicht eine alljährlic­h wiederkehr­ende Fake News erspart, mit der sich die »Dresdner Neuesten Nachrichte­n« auseinande­rsetzen. In verschiede­nen rechten Gruppen verbreitet sich (wieder einmal) die Behauptung, die Stadt Dresden hätte nach 583 Jahren beschlosse­n, ihren Weihnachts­markt »aus Rücksicht auf die vielen muslimisch­en Flüchtling­e« umzubenenn­en. Nun dürfte zumindest jedes Kind in Sachsen wissen, dass der Dresdner Striezelma­rkt als altehrwürd­igste Instanz im Freistaat gilt, weil der Besuch des selbigen einem Pflichtter­min gleicht. Egal scheint auch, dass der Striezel zu einem der religiös am stärksten aufgeladen­en Hefegebäck­e gehört und etwa in Bayern auch als Allerheili­genstrieze­l bekannt ist. Für die Sachsen ist er nichts anderes als das Synonym für den Dresdner Stollen, der – Abendlandu­nkundige sollten jetzt genau aufpassen – den Leib Christi als Baby symbolisie­rt.

Und um das Weltbild manches Empörten endgültig zu erschütter­n: Die kirchliche Darstellun­g von Jesus als weißer Mann mit langen braunen Haaren ist historisch mindestens fragwürdig. Schon 2001 stellte ein britischer Forensiker die These auf, wonach das Antlitz eines historisch korrekten Jesus eher jenen Menschen entspricht, die Rechte abwertend nur unter dem Begriff »orientalis­cher Typ« kennen.

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