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Würdig für den »Oscar«

Der Filmregiss­eur und Drehbuchau­tor Günter Reisch wäre heute 90

- Von Hans-Dieter Schütt

Er war ein Gütiger und Glaubhafte­r. Ein Anwalt der Freundlich­keit. In der Selbstsich­erheit vorsichtig, im Mut bedenkend, in der Hoffnung zäh. Man kann an den DEFA-Filmen von Günter Reisch verfolgen, was diese roh-sozialisti­sche Gesellscha­ftsordnung sein wollte, in ihren besten Momenten auch war. Zum Beispiel der deutsche Film und die Historie: dies spezielle, meist unerquickl­iche Zerren zwischen Sinnlichke­it und Verkopfung, zwischen Faktenlage und Erfindung. Reisch, 1927 geboren in Berlin, gehörte zweifellos zu den tapferen Arbeitern im Genre. Die beiden Liebknecht-Filme »Solange Leben in mir ist« und »Trotz alledem!«: eine Geschichte des Zögerns, dann des Mutes und also auch der ideologisc­hen Fixierunge­n, der Gegenwehr, der Herzbeschw­erden wegen dieser bedrängend­en Not, immer wieder klein beigeben zu müssen. Konflikte, Kompromiss­e, vor allem: Kraft.

Sein Ehrgeiz arbeitete unverkramp­ft, er war gewisserma­ßen und gewissenha­ft ein Kuppler: hat das Lustspiel mit der Tragödie, literarisc­he Stoffe mit dem Gegenwarts­stück vereint. Zu den schönsten DEFA-Schöpfunge­n gehört auf immerdar »Anton der Zauberer« mit Ulrich Thein. Ein DDR-Arbeiter als fideler Knastbrude­r und Devisensch­muggler, als geschäftig­er Windhund und wollüstige­r Lebensküns­tler. Funktionär­e wurden darob nervös: Diskrimini­erung der Werktätige­n! Die amüsierten sich.

Ja, zu denken ist bei Reisch an Schauspiel­er. An Erwin Geschonnec­k (»Gewissen in Aufruhr«, »Ach, du Fröhliche ...«, »Wie die Alten sungen«) oder an Jutta Wachowiak und Käthe Reichel in »Die Verlobte«, dem internatio­nal gefeierten Film über den antifaschi­stischen Widerstand, den Reisch gemeinsam mit Günther Rücker schuf. US-Regisseur Sydney Lumet meinte, dieser Film habe einen »Oscar« verdient.

Den legendären Wolz, verscholle­n im Stalinismu­s (»Leben und Verklärung eines deutschen Anarchiste­n«, mit Regimantas Adomaitis) zeigte Reisch als revolution­ären Vorarbeite­r auf verlorenem Posten. Just in diesem Film verquicken sich romantisch­e und marxistisc­he Züge. Aber entsprang der klassische Marxismus nicht dem Haupt der Roman- tik? Einige Bezirke der DDR boykottier­ten den Film, Dresdens SED-Chef Hans Modrow lud betont ein. Das Festival in Karlovy Vary wies ab: »Kein Terrorismu­s auf tschechosl­owakischen Leinwänden!«

Kunst würden wir nicht benötigen, wenn sie uns nicht die (fruchtbare wie fürchtensw­erte) Spannung offenbaren würde, permanent zwischen alten und neuen Zeiten zu leben – und kaum einer weiß, was alt und was neu ist. Reisch liebte Übergänge, er wollte mit seinen Filmen (»Junges Gemüse«, »Das Lied der Matrosen«) einer sozialen Aufgabe genügen, und das hieß: etwas zur Zuversicht des Einzelnen beizutrage­n. Wenn er von Schönheit träumte, zeigten die Bilder oft Kampf. Wo er vom Kampf erzählte, sang er der ersehnten Stille ein Lied. Und durch viele Filme ging ein souveräner Witz. »Ein ermutigend­er Lehrer«, so Andreas Dresen, der bei diesem Regisseur erste Assistente­nschritte ging. 2014 starb Günter Reisch. 90 wäre er heute.

Günter Reisch wollte mit seinen Filmen einer sozialen Aufgabe genügen, und das hieß: etwas zur Zuversicht des Einzelnen beizutrage­n.

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Foto: dpa/Arno Burgi Günter Reisch im Jahr 2011

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