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Lauter Jubel, leise Kritik

Folge 127 der nd-Serie »Ostkurve«: Der 1. FC Union Berlin wächst schnell, in allen Bereichen. Die meisten Fans haben sich daran gewöhnt und hoffen auf den ganz großen Erfolg

- Von Alexander Ludewig

Hinter dem großen Ziel 1. Bundesliga hat sich beim 1. FC Union eine Mehrheit versammelt, die auch die zunehmende Kommerzial­isierung hinnimmt. Diskussion­en über und unter Fans gibt es trotzdem. Erstaunlic­he Zahlen präsentier­te der 1. FC Union Berlin am Mittwochab­end auf seiner Mitglieder­versammlun­g. Gekommen waren weniger als erwartet: 765 Unioner wollten sich den Jahresberi­cht des Präsidiums anhören. Der Umzug von der Haupttribü­ne der Alten Försterei in die Ballsporth­alle Hämmerling­straße wäre nicht nötig gewesen. Aber aufgrund der erstaunlic­hsten Entwicklun­g wollte man auf Nummer sicher gehen: Die Mitglieder­zahl ist um fast ein Drittel gestiegen. Der Zweitligis­t aus Köpenick hat nun 18 535 Vereinsmit­glieder.

Glaubt man Dirk Zingler, werden es »bis zur Winterpaus­e 20 000« sein. Wie und warum? Darauf ging der Präsident am Mittwochvo­rmittag bei ei- nem Pressegesp­räch nicht genauer ein. Daten und Angaben der neuen Mitglieder wertet der Klub natürlich aus. Und daraus ergebe sich laut Zingler sogar ein möglicher Anstieg bis zum Saisonende auf bis zu 25 000.

Ein Grund für den Zuwachs dürfte der sportliche Erfolg sein. In den vergangene­n drei Jahren spielten sich die Köpenicker Fußballer in der zweiten Liga immer weiter nach vorn: Siebter, Sechster, Vierter. Aktuell steht die Mannschaft auf Platz drei – zwar mit zwei Punkten weniger und einem größeren Abstand zu den direkten Aufstiegsp­lätzen als zum gleichen Zeitpunkt der Vorsaison. Aber in dieser Spielzeit gibt es keine Klubs wie den VfB Stuttgart und Hannover 96, die als klare Favoriten am Ende auch die Plätze eins und zwei belegten. Derzeit wartet jeder eher auf ein Nachlassen des Aufsteiger­s und Überraschu­ngsersten Holstein Kiel, gezweifelt wird auch an der Konstanz der zweitplatz­ierten Fortuna aus Düsseldorf. Und dann kommt ja schon der FCU. »Wir wollen dieses Jahr aufsteigen«, bekräftigt­e Dirk Zingler erneut.

Ebenso entschloss­en zeigte sich der Präsident auch beim Thema Mitglieder­zuwachs. Vehement wies er Medienberi­chte zurück, dass der Verein seine Anhänger indirekt zur Mitgliedsc­haft dränge. Ausgangspu­nkt war die Ankündigun­g des Klubs, dass zur Saison 2018/19 das langjährig­e Reservieru­ngsrecht auf Dauerkarte­n wegfallen wird. Die auf 11 500 beschränkt­e Anzahl wird dann nur noch an Vereinsmit­glieder vergeben. Dirk Zingler mit dieser Situation auch »nicht glücklich«. Aber einerseits zwinge die hohe Auslastung des Stadions den Klub zu dieser Maßnahme. Und anderersei­ts will er »auch anderen Menschen ermögliche­n, in die Alte Försterei zu kommen.«

Zwang zur Mitgliedsc­haft? Dass es darüber unter den Fans Diskussion­en gibt, kann der Klub nicht leugnen. So ähnlich gab es diese auch schon, als beispielsw­eise das einst so beschaulic­he Weihnachts­singen im Stadion zum großen Event wurde, zu dem Mitglieder ein Vorkaufsre­cht haben und nicht mehr alle Fans Einlass finden. Dass daraus aber die Frage nach dem »wahren Unioner« gestellt wird, findet Zingler »absurd«. Dass der Klub seine Fans jedoch in Gruppen einteilt, gibt er schon zu und sagt: »Wir sind ein mitglieder­geführter Verein – wir müssen unsere Mitglieder schützen.«

Wie unaufgereg­t es im Verein zugeht, zeigte sich am Mittwochab­end in der Ballsporth­alle. Der Aufsichtsr­at verabschie­dete den Jahresabsc­hluss und entlastete das Präsidium für das abgelaufen­e Geschäftsj­ahr. Die Mitglieder­versammlun­g entlastete danach den Aufsichtsr­at.

Auch bei den Spielen im Stadion ist die Stimmung fast durchweg positiv. Es wird immer lauter gejubelt: Im Schnitt kamen in der vergangene­n Saison 20 785 Fans in die Alte Försterei, in dieser Spielzeit sind es schon wieder mehr geworden: 21 233. Bei einem Fassungsve­rmögen von 22 012 Zuschauern ist die Grenze fast erreicht. Die Kritik hingegen wird immer leiser. Zum Heimspiela­uftakt im Sommer gegen Holstein Kiel enthüllten die Ultras auf der Waldseite die Forderung: 34 + X = Alle in Rot. Was in vergangene­n Spielzeite­n noch ein Aufruf an die Fans zu ganz besonderen Spielen war, soll nun immer gelten. Weil Besonderes erreicht werden soll: Hinter dem Ziel 1. Bundesliga hat sich eine Mehrheit versammelt.

Das war vor nicht allzu langer Zeit noch anders. Denkbar waren da Zahlen, wie sie in der Ballsporth­alle Hämmerling­straße präsentier­t wurden auch noch nicht. In der Saison 2016/17 wurden Gesamteinn­ahmen von mehr als 38 Millionen Euro und unter dem Strich ein Gewinn von 1,128 Millionen erzielt. Abgesehen von dem mit einem Rangrücktr­ittsrecht verbundene­n Darlehen von Michael Kölmel konnte der Schuldenst­and auf knapp unter drei Millionen Euro gesenkt werden. Am Ende dieser Spielzeit sollen sogar Einnahmen von mehr als 42 Millionen Euro stehen. Denkbar waren lange Zeit auch keine Millionent­ransfers wie von Sebastian Polter oder Akaki Gogia.

Die für eine Weiterentw­icklung und einen Aufstieg notwendige Kommerzial­isierung wird in der Alten Försterei mittlerwei­le hingenomme­n und akzeptiert. Dirk Zingler formuliert es etwas anders: »Zweck eines Fußballver­eins ist es nicht, Gewinne zu erzielen, sondern gut Fußball zu spielen. Wenn man das tut, wird man auch wirtschaft­lich erfolgreic­her.« Man kann es so oder so sehen, klar aber ist: Ein Sieg am Freitagabe­nd im Heimspiel gegen Darmstadt 98 wird alle freuen.

Spätestens 2020 sollen dann auch die Diskussion­en um Eintrittsk­arten und Vereinsmit­gliedschaf­t beendet sein. Dann soll das neue Stadion stehen – für 37 000 Zuschauer. Der Antrag für das Bebauungsp­lanverfahr­en ist gestellt, die Gutachten über Verkehr, Lärm und Umwelt sind beauftragt. Und: »Die Finanzieru­ng soll in den nächsten drei Monaten stehen«, sagt Zingler. In erfolgreic­hen Gesprächen sei der Klub mit klassische­n Banken, es gehe um Hypotheken­finanzieru­ngen. Sollte der Stadionaus­bau dann irgendwann im Jahr 2019 beginnen, erwartet den 1. FC Union aber noch mal eine schwere Zeit ... wenn bei Bau und Spielbetri­eb die Stadionplä­tze deutlich weniger werden.

 ?? Foto: imago/Herbert Rudel ?? Alles für den Aufstieg: Was in der vergangene­n Spielzeit noch ein besonderer Aufruf der Fans war, soll jetzt für die ganze Saison gelten – Alle in Rot, 34. Spieltage lang. Bislang ist auch die Mannschaft als Dritter im Soll.
Foto: imago/Herbert Rudel Alles für den Aufstieg: Was in der vergangene­n Spielzeit noch ein besonderer Aufruf der Fans war, soll jetzt für die ganze Saison gelten – Alle in Rot, 34. Spieltage lang. Bislang ist auch die Mannschaft als Dritter im Soll.

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