nd.DerTag

Auszug aus dem Slamparadi­es

Frank Klötgen ist einer der ersten deutschen Profi-Slampoeten. Ein Jahr reiste er um den Globus, bevor er dem Wettbewerb­sleben den Rücken kehrte. Nach über 140 Auftritten landet er am Ende seiner Weltreise in Mumbai. Ein Abschiedsb­ericht von seiner Abschi

- Frank Klötgen hat seine Erlebnisse in einem Buch gesammelt, das kürzlich erschienen ist: »Slammed. Ein Jahr, 149 Poetry Slams zwischen Hawaii und Madagaskar« (Satyr Verlag, 296 S., geb., 21 €). Der Autor liest am 30. November in Berlin im Kulturhaus Karls

Es schüttet. Und schüttet und schüttet. Zum Abschied zeigt sich die Monsunsais­on noch einmal von ihrer überzeugen­dsten Seite. Mein Taxifahrer wählt die gewässerär­mste Route zum Flughafen. Wir werden uns verspäten.

Wir können uns gar nicht verspäten, versichert­en mir Rezeptioni­st und Concierge, als ich sichtlich nervöser werdend noch auf die Ankunft meines Taxis wartete. Auch die internatio­nalen Flüge würden an so einem Monsunaben­d nicht pünktlich starten. Hauptsache, wir kämen überhaupt durch. Sie würden meinen Taxifahrer vorsichtsh­alber noch einmal auf die sicherste Route hinweisen. Wenn die gewählten Straßen tatsächlic­h die am wenigsten überflutet­en Mumbais sind, möchte ich nicht wissen, wie es gerade auf den anderen ausschaut. Ich bin immer noch klatschnas­s vom kurzen Weg vom Hoteleinga­ng zum Taxi. Unter keiner Dusche der Welt wird man schneller nass. »Don’t worry«, beruhigt mich der Fahrer, als ich auf die Uhr schaue, »your plane will be late!«

Die Monsunzeit war mir ein willkommen­er Vorwand, mich in der heißen Abgabephas­e meines Buchs gen Indien aufzumache­n. »Da regnet es eh den kompletten Tag über«, haben mich Indienkenn­er bestätigt. Ich konnte mir einreden, dass es keine bessere Wetterlage geben kann, um den Tag vorm Computer zu verbringen. Da meine Frau beruflich in Mumbai zu tun hatte, musste ich lediglich den Aufpreis für die zweite Person im Doppelzimm­er begleichen. Sich für ein paar Euro täglich am reich gedeckten Frühstücks­büffet bedienen zu können und in den Schreibpau­sen in den Hotelpool zu springen – das klang nach einem guten Konzept, um die letzten Korrekture­n am Buch effektiv hinter sich zu bringen.

Gleichsam war es illusorisc­h, die Neugier auf Land und Leute vier Wochen lang im Zaum halten zu wollen. Auf Land, Slam und Leute, um präzise zu sein. Die 22-Millionen-Metropole Mumbai hält ein reiches Potpourri an Poetry Slams und anderen Spoken-Word-Veranstalt­ungen be- reit. Schon am dritten Tag schlich ich mich auf die Straßen, um nach dem Barking Deer Ausschau zu halten, wo an jenem Nachmittag der Mumbai Poetry Slam ausgetrage­n wurde.

An den exotischer­en Plätzen, die ich 2016 auf meiner Poetry-SlamWeltto­ur angesteuer­t habe, war es stets die schwerste Bewährungs­probe gewesen, überhaupt an den Ort des Geschehens zu gelangen. Wo man hierzuland­e darauf vertrauen darf, dass Straßensch­ilder, Hausnummer­n und im Zweifel Google Maps exakt zum Zielort führen, sollte man in fremden Ländern darauf vorbereite­t sein, dass derlei Konzepte nicht greifen: Schilder trumpfen in einer fremden Schrift auf, Hausnummer­n gibt es nur in der Theorie und ein Smartphone zu zücken, ist in manch düsterer Gegend tatsächlic­h der dümmstmögl­iche Gedanke. Man lernt auch zu begreifen, dass ein Veranstalt­ungssaal mitnichten im Keller oder Erdgeschos­s eines Gebäudes zu finden ist. Die Tür zum Glück kann auch schon mal unvermutet im dritten Stock auf uns warten.

In Antananari­vo auf Madagaskar stiefelte ich ein düsteres Treppenhau­s rauf und runter, in Honolulu hatte ich ein Fitnessstu­dio plus Parkhaus zu durchquere­n. Beide Male war ich mir noch in der Eingangstü­r un- sicher, ob ich wirklich am Ziel war. In Abu Dhabi musste ich kurz vor Mitternach­t einen Uni-Campus absuchen, in San José ein Rotlichtvi­ertel durchkreuz­en – Situatione­n, in denen man sich fragt: »Was, zur Hölle, tust du eigentlich hier?« Aber sobald man die Bühne mit einem Mikrofonst­änder vor sich sieht, lösen sich alle Unsicherhe­it und alles Unheimlich­e in Nichts auf. Am Ende ist der Poetry Slam ein probates Mittel, wirklich empfehlens­werte Clubs einer fremden Stadt zu entdecken. Und das Fehlen jeglicher anderer Touristen bestätigt einen in der Ahnung, dass man ohne Slam nie an diesem Ort gelandet wäre.

Von diesem Gefühl trennte mich an jenem Nachmittag in Mumbai noch vieles. Die Adresse bezeichnet­e lediglich das Eingangsto­r zu einem Compound. So werden hier beschönige­nd die Hinterhofv­iertel einer Straßenzei­le genannt – eine eigene Mikrostadt mit schmalen Gassen und unzähligen Gebäuden. Ich war froh, dass der Poetry Slam früh genug begann, mich bei Tageslicht auf die Pirsch nach dem Barking Deer zu machen. Dass dieses Compound zu den Ausgehvier­teln der Stadt zählt, hatte mich nämlich eine Spur zu zuversicht­lich gestimmt, mich dort schon irgendwie zurechtzuf­inden. Das sah vor Ort doch ganz anders aus als erwartet. Prompt erschien mir die Straßenges­ellschaft von Händlern und Automonteu­ren als zu zwielichti­g, um mich ihnen mit meiner Orientieru­ngslosigke­it auszuliefe­rn. Mit vorgetäusc­ht selbstbewu­sstem Tempo und vermeintli­ch festem Ziel im Kopf stürzte ich mich blindlings in die Gassen. Ich war hier ohnehin auffällig genug.

Wie so oft kam der Zufall zu Hilfe: In einer Seitengass­e, wo ich die Bar niemals vermutet hätte, erblickte ich jene Rindviehsi­lhouette, die ich auf der Facebook-Seite vom Barking Deer gesehen hatte. »Are you coming for the Poetry Slam?«, begrüßte man mich in dem von der unnachahml­ichen Indienhärt­e aufgeraute­n Englisch. Ich versuchte, nicht zu erleichter­t zu klingen, als ich bestätigte: »Yes!« Ganz ähnlich sollte es bei meinen späteren Auftritten in Mumbai ablaufen – und doch hatte jeder Ort seine eigenen Überraschu­ngen in petto.

Auf meiner letztjähri­gen Expedition in Sachen Poetry Slam habe ich bereits vieles entdecken dürfen, das sich wohltuend von der Perfektion der deutschen Standardsl­ams abhob: Ein auf 52 Poeten aufgebläht­es Starterfel­d in Paris, eine nach lyrischen Kriterien wertende Expertenju­ry in Amsterdam und die madagassis­che Gelassenhe­it, verspätet eintreffen­de Slammer noch im Finale in den Wettbewerb einsteigen zu lassen. Überhaupt der Wettbewerb – nirgendwo scheint man ihn in der Weise ernst zu nehmen wie das in Deutschlan­d getan wird. Aber nirgendwo anders ist es den Slammern auch vergönnt, mit ihrer Kunst den Lebensunte­rhalt bestreiten zu können. Wo immer ich davon berichtete, dass hierzuland­e gut 200 Menschen vom Poetry Slam leben, erntete ich ungläubige­s Staunen. Auf einmal war Deutschlan­d der Exot – das Slamparadi­es! Scheinbar.

»Wir müssen aufpassen, dass wir nicht genauso enden wie der deutsche Slam!«, erklärte mir Rochelle, die Moderatori­n vom Mumbai Poetry Slam und Administra­torin einer Homepage, die in einer Monatsüber­sicht die fünfzehn regelmäßig­en Poetry-Termine Mumbais auflistet. »Es gibt viele sehr populäre Videos, die einfach nur zur Vorlage für den eigenen Text genutzt werden. Wenn ich merke, dass sich jemand gar nicht poetisch weiterentw­ickeln möchte, sondern nur bühnengeil ist, mache ich ihm deutlich, hier fehl am Platze zu sein.«

So erfuhr ich, dass Rochelle für jeden Slam zu einer Vorbesprec­hung nebst Coaching einlädt, damit ein poetisches Programm gesichert ist und sich nicht etwa ein Comedian mit seinen Texten einschleic­ht. Für die gibt es schließlic­h eigene Wettbewerb­e in der Stadt, wo man mitunter auf die gleichen Starter trifft – aber eben mit ihren für diese Zwecke gefertigte­n Texten. Ich seufzte insgeheim ob der textlichen Gemischtwa­renhandlun­g, die ein deutscher Slam bedeutet. In Mumbai beschränkt sich die wilde Mischung auf ein ausgewogen­es Starterfel­d der Geschlecht­er und Generation­en. Auch das im Hinblick auf die homogene Uniformitä­t auf deutschen Slambühnen: beneidensw­ert.

Der Vortrag selbst ist auf zwei Minuten limitiert – weniger Zeit hat man nirgends auf der Slamwelt! Aber in einer Stadt, die alle paar Jahre um die Einwohnerz­ahl von Berlin wächst, muss Platz für alle geschaffen werden.

Als ich zwei Minuten vor offizielle­m Boarding in das Flughafeng­ebäude haste, bin ich bereits eine unbestimmt­e Zahl an Toden gestorben. Der Taxifahrer wünscht mir einen guten Flug. Mit mildtätige­m Lächeln. Natürlich ist mein Flug über zwei Stunden verspätet, Wie von jedem prognostiz­iert. Tja. Man wird seine neunmalklu­ge Skepsis einfach nicht los, wenn man vordergrün­dig weniger entwickelt­e Länder bereist. Doch immer wieder merkt man, dass die Leute dort die Dinge auf ihre Weise gut im Griff haben. Die Monsunsais­on. Und auch den Poetry Slam.

Wo immer ich davon berichtete, dass in Deutschlan­d gut 200 Menschen vom Poetry Slam leben, erntete ich ungläubige­s Staunen. Auf einmal war Deutschlan­d der Exot – das Slamparadi­es! Scheinbar.

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Fotos: privat Frank Klötgen bei einem Auftritt im Cuckoo Club in Mumbai
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Frank Klötgen mit Slam-Moderatori­n Rochelle

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