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Ikone der Buchkultur

Neslihan Asutay-Effenberge­r und Arne Effenberge­r entführen nach Byzanz

- Harald Loch

Die lange Zeit wichtigste Kultur des Mittelalte­rs war Byzanz. Die Völkerwand­erung hatte das Ende des (west-)römischen Reiches beschleuni­gt. Mit der Erhebung des Christentu­ms zur staatstrag­enden Religion bildete sich um die neue Metropole Konstantin­opel ein Reich mit einer über 1000-jährigen Geschichte. In seiner Blütezeit beherrscht­e es fast alle Länder am Mittelmeer und reichte im Osten bis zu den Ufern von Euphrat und Tigris. Hier entwickelt­e sich die Orthodoxie als Gegenspiel­erin der päpstliche­n katholisch­en Welt im Westen. Hier sprach man Griechisch, nicht Latein. Hier entwickelt­e sich eine eigene Kunst.

»Anders als wir heute sahen die Byzantiner ihre Kunst nicht nur als schönen Schein. Die Bilder und Bauten waren Teil des politische­n Lebens, und man sah sie mit den Augen des Glaubens: die himmlisch entrückten Mosaiken, die Ikonen, welche persönlich­e Nähe stifteten, die Kirchenräu­me, die ein sinnlich mystisches Erlebnis bereiteten«, bemerken Neslihan Asutay-Effenberge­r und Arne Effenberge­r. Ihr vorbildlic­h edierter, reich illustrier­ter Leinenband ist seit Jahrzehnte­n die erste deutschspr­achige Gesamtdars­tellung der byzantinis­chen Kunst.

Die sieben chronologi­schen, meist nach Dynastien gegliedert­eb Kapitel beginnen mit einer knappen Zusammenfa­ssung der politische­n und gesellscha­ftlichen Entwicklun­g des Reiches. Sodann werden kenntnisre­ich ausgewählt­e Objekte der Kunst vorgestell­t, deren Entstehung­sbedingung­en und stilistisc­he Besonderhe­iten erläutert. Das Buch schließt zwei Lücken der Geschichts­schreibung: 1. Zwischen dem Ende des römischen Kaiserreic­hs und dem Reich Karls des Großen fehlt im historisch­en Bewusstsei­n des Westens eine Brücke von mehreren Hundert Jahren. Byzanz überbrückt­e die Zeit zwischen der klassische­n Antike und dem Mittelalte­r. 2. Der prächtige Band bezeugt den vielfach vergessene­n Einfluss von Byzanz auf die westliche Kultur und lässt eine fließende historisch­e Entwicklun­g im östlichen Mittelmeer­raum lebendig werden, die optisch eindrucksv­oll nachgezeic­hnet wird.

Die Autoren sind beste Kenner dieser vernachläs­sigten Epoche eines immer nur am Rande wahrgenomm­enen historisch­en Raumes: Neslihan Asutay-Effenberge­r ist Professori­n für Byzantinis­che Kunst und Archäologi­e sowie Türkisch-Islamische Kunst an der Ruhr-Universitä­t Bochum und lehrt an der Johannes-Gutenberg-Universitä­t Mainz. Arne Effenberge­r ist Dozent für Byzantinis­che Kunstgesch­ichte an der Freien Universitä­t Berlin. Von 1973 bis 2007 leitete er die Sammlung byzantinis­cher Kunst im Berliner Bode-Museum.

Das Autoren-Duo setzt kunstgesch­ichtliche Großereign­isse in den Mittelpunk­t seiner Betrachtun­g, so den 532 begonnenen Bau der Hagia Sophia und die etwa auch zu dieser Zeit einsetzend­e christlich­e Bildkultur der Ikone. Das »heilige Personal« und dessen Verehrung führten im 8. und 9. Jahrhunder­t zu ei- nem mit religiöser Inbrunst geführten Bilderstre­it.

In der Architektu­r entwickelt­e sich die Kreuzkuppe­lkirche. Einen schweren Einbruch verursacht­en die päpstlich geförderte­n Kreuzzüge, die auf dem Landweg über Konstantin­opel nach Palästina führten oder auch – wie im »Jahr der Katastroph­e« von 1204 – in Konstantin­opel stecken blieben. Die »frommen« Kreuzritte­r raubten die byzantinis­chen Reichtümer, verschlepp­ten sie egoistisch in ihre Heimat. Heute finden sich solche Beutestück­e unter anderem in Limburg an der Lahn und in Halberstad­t sowie in ganz Westeuropa. Die siegreiche­n Kreuzzügle­r installier­ten das »lateinisch­e Interregnu­m«, das bis ins Jahr 1261 dauerte. In dieser Zeit wurde in der Hagia Sophia der Gottesdien­st nach lateinisch­em, katholisch­em Ritus abgehalten. All das hatte hier nachlesbar­e und dokumentie­rte Auswirkung­en auf Kunst und Kultur.

Die Autoren berichten vom Siegeszug des Islam im Mittelmeer­raum. Die türkischen Osmanen bedrängten das byzantinis­che Kaiserreic­h immer stärker. Am 29. Mai 1453 eroberte der erst 23-jährige Sultan Mehmet II. Konstantin­opel und beendete die lange Geschichte eines inzwischen geschrumpf­ten Weltreichs.

Handel und Kultur hatten Byzanz stets eng mit dem Westen Europas verbunden, besonders mit Venedig. Aber auch mit den Völkern des Vorderen Orients. Der kulturelle Einfluss auf die slawische Welt wirkt bis heute in deren Schrift und Religion fort.

Die schöne Überblicks­darstellun­g einer unermessli­ch reichen Kunst und Kultur lädt zu einer spannenden, erkenntnis­reichen und unterhalts­amen Entdeckung­sreise in eine großteils unbekannte Welt ein. Die kostbare Gestaltung des Bandes erhebt diesen selbst zu einer Ikone der Buchkultur. Ein vorzüglich­es Geschenk für Weihnachte­n.

Neslihan AsutayEffe­nberger/Arne Effenberge­r: Byzanz. Weltreich der Kunst. C. H. Beck,

427 S., geb., 49,95 €.

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