Krimi im Kloster
Experten klären 500 Jahre alten Mord in Annaberg auf.
Archäologen finden viele Knochen, aber nur selten kennen sie die Identität der Toten. In Sachsen indes offenbarte sich ihnen bei einer Grabung jetzt ein Mordfall samt Opfer.
Der Hieb saß. Die Axt traf den Hinterkopf und zerschlug den Schädel mit solcher Wucht, dass eine Knochenplatte angehoben und das Gehirn verletzt wurde. Der Tod dürfte »unmittelbar eingetreten sein«, sagt Anthropologin Bettina Jungklaus und legt den Schädel auf den Tisch zurück – den Schädel eines Mannes, der vor etwas über 500 Jahren in Annaberg im Erzgebirge lebte, mit 57 bis 67 Jahren für damalige Verhältnisse recht alt wurde, bis auf entzündete Nasennebenhöhlen gesund war – und dann hinterrücks ermordet wurde.
Jungklaus untersucht Knochen, die Mitarbeiter des sächsischen Landesamtes für Archäologie ab Frühjahr 2016 zwischen den Fundamenten eines ehemaligen Franziskanerklosters bargen, bevor diese unter dem neuen Finanzamt des Erzgebirgskreises verschwanden. Überreste von 28 Menschen wurden entdeckt, sagt Christiane Hemker, für die Region zuständige Referatsleiterin: meist Männer, wenige älter als 50, keiner namentlich bekannt.
Das sei die Regel in dem Job, sagt Landesarchäologin Regina Smolnik: »Es ist ganz selten, dass wir einem Toten eine Identität geben können.« Doch es gibt Ausnahmen. Vom Mann mit dem Loch im Schädel fanden die Experten den Namen heraus: Johann Wengemeyer, ein sehr wohlhabender Kaufmann aus Süddeutschland, der mit seiner Frau in die aufblühende sächsische Bergstadt gezogen war – und dort an einem Freitag im Mai 1514 an der Klostermauer erschlagen wurde. Dass die Archäologen den Schädel und den »Fall Wengemeyer« verknüpfen und so quasi einen spektakulären Krimi auf dem Grabungsfeld lösen konnten, ist zwei Umständen zu danken: der gründlichen Lektüre von Grabungsleiter Silvio Bock, der dabei auch Legenden um einen Mord an einem Kaufmann in der Klosterzeit entdeckte – und der Tatsache, dass dessen Mörder für die von ihrem Auftraggeber gewünschte Todesart wohl zu feige waren. Wiwolt Tiermann, einer der Delinquenten, sagte nach der Festnahme aus, er sei vom Nürnberger Kaufmann Andreas Tucher auf Wengemeyer angesetzt worden. Den »sold er erwürgen«, ist im »Urfedebuch« zu lesen, einer Gerichtsaktensammlung. Dem Skelett hätte man das nicht angesehen.
Tiermann, dem der Auftrag mit »falschen Briefen« aus der Feder des Opfers begründet und mit dem achtfachen Jahreslohn eines Handwerkers vergolten wurde, zögerte indes. Und er heuerte einen Mann fürs Grobe an. Der beförderte den Kaufmann vom Leben zum Tode, indem er »von hindten zugehawen« habe. Wengemeyer wurde in der Klosterkirche begraben – in einem der teuersten Gräber, nahe am Chor. Die Mörder überlebten ihn nur um Wochen: Sie wurden am 28. Juli 1514 gerädert.
Heute liegen Wengemeyers Knochen in den Depots der sächsischen Archäologen – die an dem Krimi weiter forschen. Sie wollen unter anderem mehr über den mutmaßlichen Anstifter herausfinden: Andreas Tucher, Ratsherr und zeitweise Bürgermeister in Nürnberg, der eine Verwicklung bestritt. Allerdings behaupten manche Quellen, den Altar des Annaberger Klosters habe der Nürnberger Rat bezahlt. Es wäre ein angemessener Preis für ein Loch in einem hochwohlgeborenen Schädel.