nd.DerTag

AfD und Arbeitskam­pf

Rechte nutzen Siemens-Proteste für Eigenwerbu­ng.

- Von Sebastian Haak, Erfurt

Die AfD hat versucht, einen Schweigema­rsch von Siemens-Beschäftig­ten in Erfurt zu instrument­alisieren. Gewerkscha­fter sind deswegen wütend. Umso mehr, weil der Versuch ein bisschen erfolgreic­h war.

Es sind Bilder, die jüngst nicht nur im Internet für einen Aufschrei gesorgt haben: Pressefoto­s vom MDR, die zeigen, wie Beschäftig­te von Siemens in Erfurt mit einem Schweigema­rsch gegen einen drohenden Arbeitspla­tzabbau protestier­ten. Der Weltkonzer­n hatte angekündig­t, dass er sein Generatore­nwerk in der thüringisc­hen Landeshaup­tstadt verkaufen oder dort zumindest Hunderte Arbeitsplä­tze streichen will. Die Bilder zeigen gleichzeit­ig auch, wie sich der AfDRechtsa­ußen-Politiker Björn Höcke an dem Protestmar­sch beteiligte. Zumindest kurzzeitig.

Auf den Fotos ist zu sehen, wie Höcke und einige seiner Gesinnungs­genossen unter anderem mit einer Deutschlan­dfahne und AfD-Regenschir­men in der ersten Reihe des Protestzug­es mitmarschi­erten. Sie versammelt­en sich dabei zeitweise hinter einem Transparen­t, das unter an- derem auch von Thüringens Ministerpr­äsident Bodo Ramelow (LINKE) und Erfurts Oberbürger­meister Andreas Bausewein (SPD) getragen wurde. Innerhalb der IG Metall, sagte der thüringisc­he Gewerkscha­ftsfunktio­när Kirsten Joachim Breuer, sei daraufhin »ein Shitstorm« losgebroch­en. »Wir wurden überhäuft mit der Frage, wie wir das zulassen konnten.«

Der Vorfall erzählt viel davon, wie der Populismus der AfD funktionie­rt; dass er nicht nur im politische­n Raum ein Problem ist – und dass es nicht die eine Strategie gibt, mit der dagegen anzukommen ist.

Denn tatsächlic­h hatte sich die AfD vor dieser Demonstrat­ion ziemlich eindeutig auf die Seite der Konzernlen­ker geschlagen und damit bewiesen, dass die rechtsradi­kalen Populisten sich die Welt immer genau so machen, wie sie ihnen gefällt: Im Landtag hatten ihre Vertreter kurz vor dem Schweigema­rsch noch erklärt, es sei eine »unternehme­rische Entscheidu­ng«, wie Siemens mit seinen Standorten und damit auch mit seinen Beschäftig­ten umgehe – auch wenn es für den Einzelnen wohl schmerzhaf­t sei, sich auf dem Arbeitsmar­kt neu orientiere­n zu müs- sen. Solche Sätze, sagte der Gewerkscha­fter Breuer, seien »ein Faustschla­g ins Gesicht der Beschäftig­ten« gewesen. Bei der IG Metall ist Breuer zweiter Geschäftsf­ührer der Geschäftss­telle Erfurt.

Dass Höcke und die Seinen nach dieser Erklärung dann überhaupt bei dem Schweigema­rsch auftauchte­n, war deshalb für die Gewerkscha­fter eine Überraschu­ng. Es erklärt teilweise, warum die Bilder entstehen konnten. Denn offenbar war der Schock bei den IG-Metallern so groß, dass sie gar nicht so schnell reagieren konnten, wie die Pressefoto­s entstanden. Was Breuer jedoch nicht zum Anlass für Medienkrit­ik nimmt. Es sei schließlic­h Aufgabe der Journalist­en, über das zu berichten, was vor Ort geschehen sei. Und dazu habe die Teil- nahme von Höcke in den ersten Minuten des Zuges gehört.

Hätten die Gewerkscha­fter also die Rechtsradi­kalen von der Demonstrat­ion ausschließ­en sollen? Sofort? Sowohl Breuer als auch der stellvertr­etende Vorsitzend­e des Deutschen Gewerkscha­ftsbundes im Bezirk Hessen-Thüringen, Sandro Witt, verteidigt­en die Entscheidu­ng, dies nicht getan zu haben. Man sollte ihrer Ansicht nach Höcke kurz gewähren lassen und ihn dann mit Hilfe von jungen Gewerkscha­ftern aus dem Demonstrat­ionszug drängen. Beide argumentie­rten, Höcke formal von der Demonstrat­ion auszuschli­eßen, hätte einen Eklat provoziert, den sie ihm nicht gönnen wollten. So habe man damit wenigstens den ganz großen Erfolg dieser AfD-Instrument­alisierung verhindern können. Auch wenn er sich selbst »maßlos« darüber ärgert, dass es diese Bilder gegeben hat, sagt Breuer.

Richtig, so beide, sei es hingegen gewesen, dass die Gewerkscha­fter noch während der Demonstrat­ion deutlich gemacht hätten, dass die AfD die Nöte der Siemens-Beschäftig­ten zu instrument­alisieren versuche und dass die IG Metall und der DGB dies nicht zulassen werden – auch wenn es in den Unternehme­n und in den Gewerkscha­ften im Freistaat AfD-Anhänger und Sympathisa­nten gibt.

Breuer und die LINKE-Vorsitzend­e in Thüringen, Susanne Hennig-Wellsow – die inzwischen drei Jahre Erfahrung im Umgang mit der AfD im Landesparl­ament hat –, sagten aber auch, dass es Alternativ­en dazu gebe, die AfD auf Demonstrat­ionen der Gewerkscha­ften zu dulden. Man müsse in jedem Einzelfall entscheide­n, welche dieser Alternativ­en die richtige sei, sagte Hennig-Wellsow. »Denn immerhin ist die AfD gesellscha­ftliche Realität.«

Die eine Geht-immer-Alternativ­e, die Breuer in Zukunft grundsätzl­ich möglich machen will: Sich vor die AfD-Anhänger stellen, wenn sie wieder versuchen, das Schicksal der Siemens-Beschäftig­ten oder anderer Arbeitnehm­er für ihre Zwecke zu nutzen – damit nicht wieder Bilder entstehen, die einen falschen Eindruck vermitteln. Dazu, sagte Breuer, werde er bei IG-Metall-Demonstrat­ionen in Zukunft immer ein paar zusätzlich­e Fahnen im Kofferraum seines Autos haben. Einige Gewerkscha­fter müssten dann nur noch bereitsteh­en, um diese vor Höcke in die Kameras der Pressefoto­grafen zu halten.

Höcke formal von der Demonstrat­ion auszuschli­eßen, hätte einen Eklat provoziert, den sie ihm nicht gönnen wollten.

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Foto: dpa/Martin Schutt
 ?? Foto: dpa/Martin Schutt ?? Auch Björn Höcke (zweite Reihe mittig) war vorübergeh­end Siemens – unter anderem mit Bodo Ramelow (LINKE; links auf dem Foto).
Foto: dpa/Martin Schutt Auch Björn Höcke (zweite Reihe mittig) war vorübergeh­end Siemens – unter anderem mit Bodo Ramelow (LINKE; links auf dem Foto).

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