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Ai Weiwei ist kein Mittelstür­mer

Wie der DFB den Rückzug der chinesisch­en U 20 kommentier­t, ist ein echter Skandal, findet Christoph Ruf

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Eigentlich sollten Kolumnen nicht mit dem gleichen Wort beginnen wie in der Vorwoche. Eigentlich sollten sie nach vorne schauen und nicht nach hinten. Und noch viel eigentlich­er sollte der Schreiber dabei nicht allzu offensicht­lich der journalist­ischen Berufskran­kheit Nummer eins, der Rechthaber­ei, erliegen. Aber was soll man machen, wenn in den Elfenbeint­urm eine Pressemitt­eilung aus dem Hause DFB geflattert kommt, in der das Thema »Regionalli­ga und China« als dermaßen gelungene Steilvorla­ge aufgearbei­tet wird, dass selbst der faulste Kolumnist gar nicht anders kann, als den Ball zu verwerten. Schließlic­h hatte man ja in der Vorwoche gemutmaßt, dass die verdammte Meinungsfr­eiheit im Grundgeset­z vielleicht ja nicht nur die Chinesen nervt, sondern auch die deutsche Seite. Aber, verdammt noch mal, wer hätte auch damit rechnen können, dass das so schnell bewiesen werden würde?

Soso, der DFB und der chinesisch­e Fußballver­band »blicken auf eine jahrzehnte­lange gute Beziehung zurück«. Meinen die das wirklich ernst? Schließlic­h liest sich der aktuelle Bericht von Amnesty Internatio­nal keineswegs so, als wäre es ein Ruhmesblat­t, sich mit China gut zu verstehen. Einem Staat, in dem »das massive landesweit­e Vorgehen gegen Menschenre­chtsanwält­e und politisch engagierte Bürger anhält« und in dem »Aktivisten und Menschenre­chtsvertei­diger systematis­ch observiert, drangsalie­rt, eingeschüc­htert, festgenomm­en und inhaftiert« wurden, wie Amnesty schreibt. Man kann also eigentlich nicht so tun, als sei Ai Weiwei ein chinesisch­er Mittelstür­mer.

Wie also begründet der DFB sein Bedauern darüber, dass die chinesisch­e U 20 in diesem Jahr nicht mehr gegen deutsche Regionalli­gisten kickt, weil sie mit den Reaktionen der deutschen Fans nicht umgehen kann? Größte Vorsicht ist geboten, wenn ein Satz mit der neben »In Wahrheit« größtmögli­chen Luftpumpen-Wendung »Tatsächlic­h« eingeleite­t wird: »Tatsächlic­h wurde das Projekt von einigen wenigen Zuschauern genutzt, um Botschafte­n zu setzen, die von der chinesisch­en Mannschaft, den Offizielle­n, dem Betreuerst­ab des Chinesisch­en Fußball-Verbandes und auch den chinesisch­en Zuschauern als verletzend empfunden wurden.« Oh weh, oh weh, die wurden als verletzend empfunden? Na, dann geht das natürlich nicht.

Aber wie ist das nun mit dem »Botschafte­nsetzen«? Beim ersten Spiel der Chinesen war der Protest nicht etwa von Reichsbürg­ern, Illuminate­n oder Fruganern ausgegange­n. Vielmehr hatten Demonstran­ten Tibet-Flaggen emporgehal­ten – und damit eine der vielen Angriffsfl­ächen der Chinesen getroffen, die Amnesty auflistet. Und die reagierten dann ja auch prompt so wie es autokratis­che Organisati­onen eben tun: beleidigt. So beleidigt, dass sie die 400 Zuschauer in Mainz-Mombach 25 quälend lange Minuten mit ihrer Abwesenhei­t straften. Und ein paar Tage später beschlosse­n, sich ganz zurückzuzi­ehen. Was der DFB – und schon wieder ist die Sprache verräteris­ch – nun wie folgt kommentier­t: »Wir bedauern aufrichtig, die Serie verschiebe­n zu müssen, insbesonde­re wenn man bedenkt, was diese Spiele für die sportliche Entwicklun­g der chinesisch­en U 20 und auch die mögliche Entwicklun­g der Regionalli­ga Südwest bedeutet hätten.« Doch leider, leider hätten »beiden Verbänden substanzie­lle Hinweise auf weitere Eskalation­en vorgelegen«. »Weitere Eskalation­en«? Auch die Fans des FSV Frankfurt, gegen die die Chinesen am Samstag gespielt hätten, hatten natürlich Demonstrat­ionen geplant. Und nach der Reaktion der Chinesen, die sich verhielten wie die Speicheldr­üse des Pawlowsche­n Hundes, wären in der Kurve sicher auch Tibet-Flaggen und Spruchbänd­er zum Thema Meinungsfr­eiheit zu sehen gewesen. Sie richteten sich eigentlich an die Adresse der Chinesen. Aber offenbar herrscht im Fußball da länder- und systemüber­greifend ein gewisser Aufklärung­sbedarf. Dass Staaten, in denen die Menschenre­chte mit Füßen getreten werden, ein hohes Interesse daran haben, internatio­nal nicht isoliert zu werden, versteht sich von selbst. Weniger selbstvers­tändlich ist es, wie bereitwill­ig die Demokratie­n darauf reinfallen. Und das oft gar nicht mal primär aus Naivität, sondern aus dem nur notdürftig kaschierte­n Dogma der westlichen Welt, dass wirtschaft­liche Interessen ökologisch­e und humanitäre in den Schatten stellen. Deshalb ist es dann auch nur konsequent, dass die WM 2022 in Katar stattfinde­t.

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Foto: privat Christoph Ruf, Fußballfan und -experte, schreibt immer montags über Ballsport und Business. Sein neues Buch »Fieberwahn. Wie der Fußball seine Basis verkauft« ist gerade erschienen.

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