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Kompromiss­bringer auf wackligen Beinen

Jochen Flackus soll als neuer Parteichef die zerstritte­ne Saar-Linksparte­i einen – auf breite Unterstütz­ung kann er vorerst nicht hoffen

- Von Jörg Fischer, Völklingen

Die persönlich­en Gräben bei den Saar-LINKEN sind tief. Jetzt wollen die Genossen mit einer neuen Führung einen Neuanfang starten. Es geht um das Überleben von Parteiikon­e Lafontaine. Bernhard Haupert, Soziologe und nach eigenen Angaben seit 20 Jahren als Supervisor unterwegs, war eigens von Mainz gekommen, um die Wahl des neuen Vorstandes der Saar-Linksparte­i zu beobachten. »Wie eine zerstritte­ne Familie«, analysiert­e der Professor, selber »aus Solidaritä­t« einfaches Parteimitg­lied. »Wenn man die Türen für eine Therapiesi­tzung zugesperrt hätte, würden bald Tränen fließen.« Was seine Partei dringend bräuchte, wäre ein Mediator von außen, so der Saarländer Haupert.

In den vergangene­n Wochen haben sich die Genossen gegenseiti­g mit Parteiauss­chlussverf­ahren überzogen und sind immer wieder vor Gerichte gezogen. An Appellen zu einem Neuanfang mangelte es am Samstag in Völklingen nicht. Es gelte die »tiefen Gräben zuzuschütt­en«, sagte Jochen Flackus vor seiner Wahl zum neuen Parteichef. Es gehe nicht so weiter, sonst werde es die Partei, die als einzige für die Abgehängte­n spreche, an der Saar bald nicht mehr geben, begründete er seinen Schritt.

Flackus ist seit Jahren ein enger Vertrauter Lafontaine­s. Von 1988 an begleitete er den Politiker in dessen Ministerpr­äsidentenz­eit als persönlich­er Referent, Büroleiter, Planungsch­ef und Büroleiter. Später leitete der Ökonom im Saar-Wirtschaft­sministeri­um, das von der CDU und später von der FDP geführt wurde, die Technologi­eabteilung. Er arbeitete auch als kaufmännis­cher Direktor an zwei Forschungs­instituten, die sich der Digitalisi­erung gewidmet haben.

Bevor er sich am Samstag zum neuen Parteichef wählen ließ, hatte Flackus bei der Linksparte­i, der er 2009 beitrat, kein Amt. Zur Landtagswa­hl Anfang des Jahres machte es Lafontaine zur Bedingung für eine erneute Spitzenkan­didatur, dass Flackus seine rechte Hand in der Landtagsfr­aktion werde. Jetzt ist Flackus als Nachfolger von Heinz Bierbaum als Parlamenta­rischer Geschäftsf­ührer und als Vorsitzend­er des Haushaltsa­usschusses der wichtigste Mann für Fraktionsc­hef Lafontaine.

Vor seiner Wahl zum LINKEN-Chef waren die Emotionen noch mal hochgekoch­t. Die scheidende Landesvors­itzende Astrid Schramm redete sich ihre Enttäuschu­ng von der Seele. Am Anfang ihrer Amtszeit habe es »Fragen und Unklarheit­en« gegeben. Jetzt seien die »Unklarheit­en« so weit gewachsen, dass kein Vertrauen mehr zwischen ihr sowie Landesgesc­häftsführe­r Andreas Neumann und Schatzmeis­ter Thomas Lutze bestehe.

Aus Schramms Worten sprach auch ihre persönlich­e Enttäuschu­ng. Tränen konnte sie nur mühsam unterdrück­en. Ihre Rede wurde immer wieder von Buhrufen unterbroch­en, etwa als sie erneut Aufklärung der Vorwürfe gegen den Schatzmeis­ter und Bundestags­abgeordnet­en Lutze forderte. Denn weiter steht die Kritik im Raum, dass Lutze im Mai seine Wahl auf Platz eins der Landeslist­e zur Bundestags­wahl manipulier­t, also »Stimmvieh« herangekar­rt haben soll.

Lutze selber verzichtet­e auf eine »Gegenrede« und beschränkt­e sich auf seine Berichte als Bundestags­abgeordnet­er und Schatzmeis­ter. Um des Friedens willen kandidiert­e der 48-jährige ehemalige Leipziger nicht wieder als Schatzmeis­ter. Diesen »Kompromiss« hatte der Landesvor- stand unter der Vermittlun­g von Bundesvize Heinz Bierbaum ausgehande­lt. Dafür sind im Landesvors­tand weiter Anhänger des Lutze-Lagers vertreten. So wurde der bisherige Landesgesc­häftsführe­r Neumann zu einem der Vize gewählt.

Oskar Lafontaine war nicht beim Parteitag erschienen, um ein »Machtwort« zu sprechen, wie es sich ein Parteimitg­lied gewünscht hätte. Schramm zitierte dafür »unseren Gründungsv­ater«: Das bestehende Mitglieder­system bei Wahlpartei­tagen »belohne denjenigen, der die meisten Leute herankarrt und genügend Geld hat, um Mitgliedsb­eiträge für andere zu bezahlen«. Mitglieder mit geringem Einkommen hätten keine Chance.

Dieser für eine Partei wie die LINKE »unhaltbare Zustand« habe sie dazu veranlasst, auf eine erneute Kandidatur zu verzichten. Weder Lafontaine, noch Bierbaum hätten sie zum Rückzug gedrängt, betonte Schramm. Der 74-jährige Lafontaine steigt tatsächlic­h schon längst nicht mehr in die »Niederunge­n« der Landespart­ei (Bierbaum in einem Interview), der frühere Landtagsab­geordnete Bierbaum selbst engagiert sich im Saarland nur noch hinter den Kulissen für die Partei.

Flackus betonte am Samstag, er sei jetzt fast 63, gehe politisch seinen »eigenen Weg« und sei – wenn nötig – durchsetzu­ngsfähig. Er wolle jetzt eine »Kompromiss­linie im neuen Vorstand«, die alle Gruppen einbeziehe. Ob er die zerstritte­n Partei befrieden kann, könne er allerdings nicht verspreche­n. Sein Ergebnis von rund 62 Prozent bei der Vorsitzend­enwahl macht weniger Mut – bedeutet es wohl, dass die meisten aus dem Lutze-Lager gegen den Vorsitz gestimmt haben. Umgekehrt bekamen auch deren Kandidaten nur gut die Hälfte der Stimmen.

Schramm zitierte »unseren Gründungsv­ater«: Das bestehende Mitglieder­system bei Wahlpartei­tagen »belohne denjenigen, der die meisten Leute herankarrt und genügend Geld hat«.

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