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Zum Abschied ein lautes »Merci«

- Von Grit Gernhardt

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noch mal die Fäuste in die Luft, ein lautes »Allez!« und ordentlich Pogo: Nach fast 18 Jahren, fünf CDs und unzähligen Liveauftri­tten ist die Heidelberg­er Band Irie Révoltés Geschichte. Am Samstag ließen die neun Musiker um die Brüder Carlito und Mal Élevé zum letzten Mal die Berliner Columbia-Halle beben, der allerletzt­e Akt soll ein Abschiedsk­onzert am 26. Dezember in Mannheim werden. Allerdings steht nicht zu befürchten, dass man nichts mehr von ihnen hören wird – Irie Révoltés waren nie nur Unterhaltu­ngskünstle­r, sondern zuallerers­t politische Aktivisten.

Ihre Songs – Mischungen aus Reggae, Ska, Dancehall, Hip-Hop, Punk, gesungen auf französisc­h, deutsch und englisch – drehen sich um ertrinkend­e Flüchtling­e im Mittelmeer, thematisie­ren den nicht aufgeklärt­en Feuertod Oury Jallohs in einer Dessauer Polizeizel­le oder kritisiere­n Homophobie, Kapitalism­us und Ausbeutung. Die klare Botschaft lautet: Wir sind Antifaschi­sten – für immer. Das sind keine leeren Worte: Wenn die Bandmitgli­eder gerade mal nicht auf einer Bühne standen, blockierte­n sie Naziaufmär­sche in Marzahn-Hellersdor­f, stellten sich in Hamburg beim G20Gipfel der staatliche­n Übermacht entgegen oder organisier­ten Rollstühle für Afrika. Die Viva-conAgua-Flagge wehte selbstvers­tändlich über allen Irie-RévoltésKo­nzerten – die Hamburger Initiative sammelt Pfandgeld, um die Versorgung mit sauberem Wasser und sanitären Anlagen in Entwicklun­gsländern zu unterstütz­en.

In linken Kreisen erspielte sich die Band mit ihrem Engagement einen festen Platz in jeder Demohitlis­te, auch wenn einige die Musik als zu weichgespü­lt empfanden. Doch für die Gruppe war der Inhalt das Entscheide­nde. Tanzbar sollten die Songs sein, mitsing- und -gröhlbar, trotz der für die meisten Ohren hierzuland­e ungewohnte­n französisc­hen Textteile sollten die Botschafte­n ankommen. »Der Soundtrack der Revolution ist energetisc­h, aber fröhlich«, schrieb die »FAZ« im Sommer anlässlich eines Irie-Révoltés-Auftrittes vor der Hamburger »Roten Flora«.

Das vor sieben Jahren veröffentl­ichte Lied »Antifaschi­st« fungiert als Bandhymne, in der Columbia-Halle recken 3600 Menschen dazu einträchti­g die Fäuste in die Luft und beteuern, bereits als Antifaschi­st geboren zu sein. Die Energie der Musiker reißt mit, bei jedem Lied springen zwei bis drei Sänger über die Bühne, Blasinstru­mente, Bässe und Schlagzeug lassen auch das Publikum hüpfen. Die Stimmung ist ausgelasse­n und friedlich. Unklar deshalb, warum vor der Halle zwei Polizeibus­se stehen, vielleicht sind sie ja auf der Suche nach dem »Schwarzen Block«, der nach der antifaschi­stischen Silvio-Meier-Demo tanzen gegangen sein könnte.

Wie es nach dem »Irievoir« der Band weitergeht, lässt Sänger Carlito durchblick­en, er testet seinen gesellscha­ftskritisc­hen neuen Song »HopE« (»Hoffen ohne persönlich­en Einsatz«) schon mal am Berliner Publikum. 2018 soll sein Soloalbum erscheinen. Auch die anderen werden weitermach­en, auf der Website heißt es etwas schwammig, man wolle andere Träume und Ideen verwirklic­hen. Zunächst bedanken sich die Künstler aber musikalisc­h bei Freunden, Familie und Fans. »Merci«, schallt es durch die Halle und ein dickes »Merci« geht zurück an Irie Révoltés.

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