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Noch ein Hirngespin­st

Angekündig­te Kopftransp­lantation: Geht es um Ruhm oder Patientenw­ohl?

- Von Annett Stein, Harbin

Vorsichtig­e Zurückhalt­ung ist die Sache eines Sergio Canavero nicht. Er will der erste sein, der mit der Transplant­ation eines Menschenko­pfes in die Geschichts­bücher eingeht.

Wie die weltweit erste Kopftransp­lantation ablaufen soll, hat Sergio Canavero genau vor Augen: In einem mindestens 200 Quadratmet­er großen Operations­saal arbeiten Spezialist­en an Spender und Empfänger, die fixiert in Metallgest­ellen sitzen. »100 Experten aus aller Welt werden diesen monumental­en Eingriff wagen«, schreibt der italienisc­he Neurochiru­rg in seinem Buch »Medicus Magnus«.

Ursprüngli­ch für 2017 angekündig­t, solle nun im kommenden Frühjahr in China der Kopf eines schwerkran­ken Menschen auf den Körper eines hirntoten Spenders gesetzt werden. So zumindest kündigt es der Verlag mit Verweis auf Canavero an. Das wirkt vor allem deshalb so irrwitzig, weil jedwede wissenscha­ftliche Vorstufe fehlt: Weder wurden in den vergangene­n Jahren massenhaft Tierköpfe erfolgreic­h verpflanzt, noch wurden reihenweis­e Menschen vermeldet, die nach Rückenmark­sverletzun­gen geheilt wurden.

Zudem stellen sich die chinesisch­en Behörden quer. Die Operation »ist technisch unmöglich und verstößt gegen chinesisch­e Gesetze und Vorschrift­en für Organtrans­plantation­en«, sagte der Vorsitzend­e des chinesisch­en Komitees für Organverpf­lanzungen, Huang Jiefu, in einem am Samstag veröffentl­ichten Interview der »China Daily«.

Schon ein Versuch mit Leichen, den Canavero mit dem chinesisch­en Arzt Ren Xiaoping durchgefüh­rt hatte, verstößt laut Jiefu gegen ethische Regeln. »Wir werden niemals erlauben, dass solche klinischen Versuche in China ausgeführt werden.«

Auch das Urteil von Fachkreise­n über Canaveros Plan hat seit den ersten Ankündigun­gen nicht an Eindeutigk­eit verloren: »Reine Publicity«, sagt Edgar Biemer von der Praxisklin­ik Caspari in München, der in Deutschlan­d an einer spektakulä­ren Armtranspl­antation beteiligt war. »Die Verbindung zum Rückenmark bei einer solchen Transplant­ation wieder herzustell­en, halte ich für absolut unmöglich.« Auch Veit Braun, Chefarzt der Neurochiru­rgie am Diakonie Klinikum Siegen, betont: »Wenn ich ein Rückenmark vom Kopf abtrenne, dann ist das hin, und zwar ein für alle Mal.«

Ein Chinese werde derjenige sein, der einen anderen Körper unter seinen Kopf gesetzt bekommt, verkündet Canavero, und überwiegen­d chinesisch auch das Spezialist­enteam. »China will mit der ersten Kopftransp­lantation seine Stellung als neue Supermacht auch in der Medizin untermauer­n«, war der Italiener noch vor Kurzem überzeugt. Im Gespräch strotzen seine Sätze vor Superlativ­en, sein Projekt hält er für mindestens ebenso wichtig wie die Mondlandun­g.

»Es geht hier um Ehrgeiz und nicht um die Sache an sich«, sagte Uwe Meier vom Berufsverb­and Deutscher Neurologen vor einiger Zeit zu Canaveros Ankündigun­gen. Dass dem Italiener vor allem am Ruhm gelegen sein dürfte, lässt er auch in seinem Buch durchblick­en. Immer nur der erste, der etwas Neues wage, lande in den Geschichts­büchern, schreibt er. »Um die Menschheit zu verändern, muss man mutig sein – manche sagen auch ein Draufgänge­r.«

Und der Patient? Hat der nicht ein hohes Risiko, beim Umsetzen seines Kopfes zu sterben? »Ja, hat er«, schreibt Canavero. »Jede andere Aussage wäre nicht ehrlich.« Ein Grund zum Abwarten ist das für ihn nicht. »Dürfen ethische Bedenken einen Wissenscha­ftler hindern, zum Wohle der Menschheit moralische Grenzen, wie sie eine Gesellscha­ft versteht, zu überschrei­ten? Meine Antwort ist eindeutig: Nein.«

Zweiter Hauptakteu­r in dem Schauspiel ist Ren Xiaoping von der Medizinisc­hen Universitä­t in Harbin Der in Nordostchi­na – der allerdings weitaus vorsichtig­er agiert. Immer wieder wies er Ankündigun­gen Canaveros zurück. So auch diesmal. »Es ist noch ein langer Weg bis zu einer Kopftransp­lantation«, wurde Ren Xiaoping kürzlich von der Pekinger Zeitung »Xinjingbao« zitiert. »Wann können wir es machen? Ich weiß es auch nicht.«

Zur Vorbereitu­ng gab es einen Versuch mit Leichen, die Ergebnisse wurden vor einigen Tagen im Fachblatt »Surgical Neurology Internatio­nal« veröffentl­icht: In 18 Stunden sei der Kopf einer frischen männlichen Leiche auf den Körper einer anderen gesetzt worden. Zwei Teams aus je fünf Chirurgen hätten dabei simultan Schritt für Schritt alle verbindend­en Elemente gekappt und am zweiten Körper wieder ange- schlossen. Mit dem Experiment sei aber lediglich ein erstes Operations­modell geschaffen worden, erklärte Ren Xiaoping vor Journalist­en. »Das ist es.«

Wegen dieses Experiment­s drohen Ren Xiaoping nun Konsequenz­en. Sein Komitee leite Schritte ein, die den chinesisch­en Professor zur Verantwort­ung ziehen könnten, sagte Huang Jiefu vom chinesisch­en Komitee für Organverpf­lanzungen.

Ren Xiaoping präsentier­te dieser Tage zudem das Video eines Hundes, bei dem er das Rückenmark durchtrenn­t und mit der Substanz Polyethyle­nglycol (PEG) wieder verbunden haben will. Das Tier habe wieder laufen können – inwiefern das stimmt, lässt sich kaum überprüfen. Für die erste Kopftransp­lantation hätten sich schon »viele Freiwillig­e« bei ihm gemeldet. »Eines Tages, wenn die wissenscha­ftlichen und technische­n Fragen gelöst sind, werden wir einen dieser Patienten aussuchen«, sagte Ren Xiaoping.

Der Chinese hat eine eigene Erklärung dafür, dass sein Partner Sergio Canavero so sehr das Licht der Öffentlich­keit sucht. »Die Persönlich­keiten von Leuten sind unterschie­dlich«, sagte er. »Es gibt auch Unterschie­de zwischen der chinesisch­en und westlichen Kultur.« Für die Kopftransp­lantation gebe es noch keinen Zeitplan und keinen bestimmten Ort, widersprac­h er Canavero. Auch Biemer ist wie wohl die allermeist­en Experten überzeugt: »Das Frühjahr wird dahinschwi­nden, ohne dass das passiert ist.«

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Foto: fotolia/studiostok­s
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Foto: dpa/ROPI/Fotogramma/Sismondi italienisc­he Chirurg Sergio Canavero

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