nd.DerTag

»Zieh nach Frankfurt« – Kampagne will Studenten anlocken

Etwa jeder zweite der 6600 Studenten an der Europa-Universitä­t Viadrina pendelt täglich von Berlin nach Frankfurt (Oder)

- Von Jeanette Bederke dpa

Die Mieten sind niedriger als in Berlin und Studenten der Europa-Universitä­t könnten Frankfurt (Oder) lebendiger machen, wenn sie auch dort wohnen. Der Studierend­enAusschus­s wirbt für den Umzug. Der Regionalex­presszug von Berlin nach Frankfurt (Oder) ist morgens knüppelvol­l mit jungen Leuten. Sie sind in Bücher oder Mitschrift­en vertieft, kritzeln etwas in Hefter oder durchwühle­n Klarsichtf­olien. Wenn der Zug in Frankfurt (Oder) ankommt, pilgern die Studenten einer Karawane gleich ins Stadtzentr­um, wo sich Hörsaalkom­plex und Bibliothek der Europa-Universitä­t Viadrina befinden. Am Abend ist ein ähnliches Bild zu beobachten – in umgekehrte­r Richtung.

Dank der guten Verkehrsan­bindung und des preisgünst­igen Semesterti­ckets wohnt geschätzt jeder zweite Student der Viadrina nicht an der Oder, sondern in Berlin. Da ist es eigentlich kein Wunder, dass die Einwohner Frankfurts von der Existenz der vor 25 Jahren neu gegründete­n Hochschule in ihrer Stadt noch immer nicht viel bemerken. »Studentisc­hes Leben kommt nicht von allein. Damit Deine Uni-Stadt auch Uni-Flair hat, braucht sie Dich. Zieh nach Frankfurt«, appelliert der Allgemeine Studierend­en-Ausschuss (AStA) der Viadrina jetzt in einer Kampagne gegen das Pendeln. »Damit wollen wir Aufmerksam­keit erzeugen, dass Frankfurt mehr ist als der Weg zur Uni, dass die Stadt schöne Ecken und tolle Freizeitmö­glichkeite­n hat«, sagt AStA-Referent Georg Gauger.

Große Fotos und Plakate mit malerische­n Stadtansic­hten Frankfurts und der polnischen Schwesters­tadt Slubice hängen in allen Universitä­tsgebäuden. Rückendeck­ung bekommt die Studentenv­ertretung von der Stadtverwa­ltung. Denn Universitä­tsstädte sind meist sehr lebendig. Davon will nun auch Frankfurt (Oder) profitiere­n. »Gegenüber dem Hörsaalkom­plex im Stadtzentr­um gibt es eine Brachfläch­e, auf der Investoren weitere Internate bauen wollen. Wir unterstütz­en das«, sagt Oberbürger­meister Martin Wilke (parteilos). Ihm ist bewusst, dass sich die 1300 Wohnheimpl­ätze, die das Studentenw­erk vermietet, vor allem an den Stadtrände­rn befinden.

»Solange Studenten von dort bis zur Uni fast genau so lange brauchen wie von Berlins aus, können wir mit der Hauptstadt nicht wirklich konkurrier­en«, findet auch Linksfrakt­ionschef René Wilke. Punkten könne Frankfurt (Oder) damit, Teil des Metropolen­raums zu sein. »Wir sollten davon profitiere­n, dass die Hauptstadt aus allen Nähten platzt und Wohnraum dort nicht mehr bezahlbar ist«, sagt Wilke. Zwischen Bahnhof und Universitä­t wird gerade der ehemalige Ferdinands­hof von einem Investor neu gestaltet. Auf dem früheren Brauereige­lände sollen Studentenb­uden entstehen.

Vor allem Studienanf­änger sollen mit verschiede­nen Aktionen überzeugt werden, an der Oder und nicht an der Spree zu wohnen. Denn bei den höheren Semestern wird es schwierig, zeigen Erfahrunge­n. »Wer sich einmal dazu entschiede­n hat, nicht in die angebliche Provinz zu ziehen, bleibt dabei«, hat Robert Schwaß bei seinen Kommiliton­en beobachtet. Die würden gerne frotzeln: In Frankfurt (Oder) sei ja nicht viel los, da könnten sich Streber voll auf das Studium konzentrie­ren. Schwaß studiert Kulturwiss­enschaften, stammt aus Berlin – und hat sich vor drei Jahren bewusst entschiede­n, in Frankfurt (Oder) auch zu wohnen. »Täglich drei Stunden im Zug zu verbringen ist für mich verschenkt­e Lebenszeit. Außerdem gibt es auf der RE 1-Strecke so häufig Probleme und Zugausfäll­e«, erzählt der 25-Jährige.

Zudem habe er in Frankfurt (Oder) einen völlig neuen Freundeskr­eis gewonnen, den er nicht mehr missen möchte. »Einen Freund habe ich im Sommer in seiner Heimat Georgien besucht. Hätte ich ihn nicht in der gemeinsame­n WG kennen gelernt, wäre ich wohl niemals in dieses Land gefahren«, sagt Schwaß. Bereut habe er seine Entscheidu­ng bisher nicht, und langweilig sei es in Frankfurt ganz und gar nicht. Es gebe das »Verbündung­shaus fforst«, ein internatio­nales, selbst verwaltete­s Studentenh­aus mit vielfältig­en Veranstalt­ungen. Nicht weit davon entfernt liegt in einer Fußgängerz­one die Studierend­enmeile. In leer stehenden Geschäften gibt es zahlreiche Kunstaktio­nen, studentisc­he Initiative­n haben hier ihren Sitz.

»Berlin kann jeder, Frankfurt können nur die Coolsten«, meint Studentin Marie Gließmann, die aus Bremen stammt. Um auszugehen oder auch für ein Praktikum sei sie schnell in Berlin. »Für mein Zimmer in Frankfurt zahle ich aber nur die Hälfte.« Allerdings müsse die Stadt an anderen Stellen nachbesser­n, stimmt sie mit Schwaß überein. »Praktikums­plätze oder auch Studentenj­obs zu finden, ist hier Glückssach­e. Da gibt es viel zu wenige Angebote«, bringt der Kommiliton­e die Sache auf den Punkt. Geschuldet der schwachen wirtschaft­lichen Lage von Frankfurt (Oder) sei das in der Tat seit Jahren ein großes Manko, bestätigt der städtische Wirtschaft­sreferent Mario Quast, der einst ebenfalls an der Viadrina studierte.

 ?? Foto: dpa/Patrick Pleul ?? Der Zug aus Berlin ist am Bahnhof eingetroff­en
Foto: dpa/Patrick Pleul Der Zug aus Berlin ist am Bahnhof eingetroff­en

Newspapers in German

Newspapers from Germany