nd.DerTag

»Mehr als schöne Worte«

Thüringen will Angehörige­n der NSU-Opfer 1,5 Millionen Euro zahlen und Denkmal errichten / Schwierige Aufarbeitu­ng in anderen Ländern

- Von Sebastian Bähr

Die rot-rot-grüne Regierung sticht nicht nur mit einem selbstkrit­ischen Untersuchu­ngsausschu­ss hervor, sondern nun auch mit einem Entschädig­ungsfonds. Die Thüringer Regierungs­fraktionen von LINKE, SPD und Grünen wollen den Hinterblie­benen der NSU-Opfer 1,5 Millionen Euro zahlen. Der Betrag solle in einen Entschädig­ungsfonds fließen, hieß es am Mittwoch übereinsti­mmend aus allen drei Fraktionen. »Diese Entschädig­ung ist keine Wiedergutm­achung, sondern ein klares Zeichen an die Angehörige­n, dass es mehr als schöne Worte gibt«, sagte Katharina König-Preuss, Obfrau der Linksparte­i im NSU-Untersuchu­ngsausschu­ss, gegenüber »nd«.

Vor allem solle mit der Zahlung auch die institutio­nelle Mitverantw­ortung an der Mordserie anerkannt werden. »Bei den Behörden haben mindestens Fehler bis hin zu systematis­chen Sabotageve­rsuchen stattgefun­den – hier müssen Parteien bekennen, auf welcher Seite sie stehen.« Die opposition­ellen Landtagsfr­aktionen von CDU und AfD hatten einen Entschädig­ungsfonds abgelehnt. Die Bundesregi­erung zahlte 2012 rund 900 000 Euro an die Angehörige­n. Carolin Keller von der zivilgesel­lschaftlic­hen Initiative NSUWatch unterstütz­t das neue Vorhaben aus Erfurt, warnt jedoch gleichzeit­ig gegenüber »nd«: »Zahlungen können weder eine vollständi­ge Aufklärung im NSU-Komplex noch das weitere Eingehen auf Forderunge­n der Angehörige­n und Betroffene­n ersetzen.«

Die thüringisc­he rot-rot-grüne Koalition einigte sich auch darauf, 350 000 Euro für ein Mahnmal zur Erinnerung an die NSU-Opfer bereitzust­ellen. Dies solle gemeinsam mit den Angehörige­n konzipiert werden.

Bereits in seinen zwei seit 2012 aktiven NSU-Untersuchu­ngsausschü­s- sen hatte Thüringen eine vergleichs­weise umfassende und selbstkrit­ische Aufarbeitu­ng vorangetri­eben. In dem ersten Abschlussb­ericht sprachen die Abgeordnet­en etwa von dem »Verdacht gezielter Sabotage oder des bewussten Hintertrei­bens des Auffindens der Flüchtigen«; die polizeilic­hen Ermittlung­en wurden als »Fiasko« und »Desaster« bewertet. »Entscheide­nd war, dass man sich noch 2011 fraktionsü­bergreifen­d für einen Untersuchu­ngsausschu­ss entschiede­n hat – dieser war dann nicht von parteipoli­tischen Spielchen geprägt, sondern von einem ernsthafte­n Willen zur Aufklärung«, resümierte KönigPreus­s. Die Behörden stellten den Abgeordnet­en in der Folge die Akten ungeschwär­zt zur Verfügung.

Im Rest Deutschlan­ds verläuft die Aufarbeitu­ng unter wesentlich schwierige­ren Bedingunge­n. Zwar gab und gibt es Untersuchu­ngsausschü­sse neben dem Bund und Thüringen auch in Hessen, Sachsen, Bayern, Nordrhein-Westfalen, Brandenbur­g und Baden-Württember­g, doch der Erkenntnis­gewinn variiert. Laut KönigPreus­s werde in Hessen beispielsw­eise »trotz fehlender Akteneinsi­cht eine wahnsinnig gute Leistung« erbracht. »In Sachsen gibt es wiederum enorme Schwierigk­eiten, da sich scheinbar außer der Linksparte­i niemand an der Aufklärung beteiligen will.« Generell stelle der vermeintli­ch notwendige Quellensch­utz eine große Barriere dar. »In den anderen Bundesländ­ern wurden die Interessen der Sicherheit­sbehörden vor die Interessen der Aufklärung gestellt.«

Die Initiative NSU-Watch stimmt dieser Einschätzu­ng zu: »Vor den Untersuchu­ngsausschü­ssen mauerten Vertreter der Behörden massiv als Zeugen, aber auch was die Freigabe von Akten angeht«, erklärte Keller. Auch seien die Ausschüsse »immer wieder« von parteipoli­tischen Auseinande­rsetzungen gebremst worden; nichtsdest­otrotz würden sie ein »unverzicht­bares Instrument« in der Aufklärung des NSU-Komplexes bleiben. Ihr Zwischenfa­zit: »Durchwachs­en«.

Martina Renner, Bundestags­abgeordnet­e der LINKEN und ehemalige stellvertr­etende Vorsitzend­e im thüringisc­hen Untersuchu­ngsausschu­ss, wies gegenüber »nd« auf Lücken in der Aufarbeitu­ng hin. »Die Frage, wie umfassend die Mitverantw­ortung von Seiten der Geheimdien­ste ist, können wir immer noch nicht abschließe­nd bewerten.« Das liege aber nicht an mangelndem Aufklärung­swillen der Katharina König-Preuss, MdL LINKE Thüringen

Abgeordnet­en, sondern an den Vertuschun­gsmanövern der Geheimdien­ste. »Diese Blockade wird täglich umfassende­r«, kritisiert­e Renner. Durch die Untersuchu­ngsausschü­sse habe man aber zumindest das breit gefächerte Unterstütz­ungsnetzwe­rk des NSU-Trios erforschen können. »Es wäre Aufgabe des Generalbun­desanwalts, hier endlich weitere Anklagen zu erheben.«

Laut der Linksparte­i-Abgeordnet­en müsse nun auch der Bund »deutlich mehr Mittel zur Verfügung stellen«, um die psychische­n und wirtschaft­lichen Folgen zu lindern, die die betroffene­n Familien erlitten haben. »Das Bundesamt für Verfassung­sschutz trägt einen erhebliche­n Teil der Mitverantw­ortung.«

»In den anderen Bundesländ­ern wurden die Interessen der Sicherheit­sbehörden vor die Interessen der Aufklärung gestellt.«

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Foto: dpa/Federico Gambarini Ein Mahnmal zum Gedenken an die Todesopfer des NSU in Dortmund

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