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Kroatien baut neuen Märtyrer auf

Selbstmord vor UN-Kriegsverb­rechertrib­unal befeuert neuen alten Nationalis­mus

- Von René Heilig

Mit dem Selbstmord des Ex-Generals Slobodan Praljak endete am Mittwoch die Arbeit des UN-Kriegsverb­rechertrib­unal in Den Haag höchst unrühmlich. In Kroatien kocht alter Nationalis­mus hoch. Zum 31. Dezember wird der Internatio­nale Strafgeric­htshof für das ehemalige Jugoslawie­n geschlosse­n. Man hätte dem Gremium, das 85 der insgesamt 161 Angeklagte­n verurteilt­e, ein makelloser­es Ende gewünscht.

Am Mittwoch bestätigte­n die Richter Urteile gegen sechs bosnische Kroaten. Das erstinstan­zliche Urteil war bereits am 29. Mai 2013 gefällt worden. Die Männer sollen politisch und militärisc­h für Morde, Deportatio­nen, Vergewalti­gungen, die Zerstörung von Städten und Dörfern sowie für ethnische Säuberunge­n verantwort­lich sein. Begangen wurden die Verbrechen zwischen April 1993 und April 1994.

20 der insgesamt 111 angewiesen­en Haftjahre können nicht vollstreck­t werden, denn der angeklagte 72-jährige bosnisch-kroatische ExGenerals Slobodan Praljak beging im Gerichtssa­al Selbstmord. Er nahm Gift.

Bei der Verhandlun­g ging es um eine inzwischen kaum noch beachtete »Episode« in den jugoslawis­chen Bürgerkrie­gen. Die Bundesrepu­blik Jugoslawie­n war zerfallen, einzelne Staaten versuchten, sich auf Kosten der Nachbarn blutig zu profiliere­n. 1992 hatte sich so der Konflikt zwischen den kroatische­n HVO-Streit- kräften und der Armee Bosnien-Herzegowin­as weiter verschärft.

Praljak war Chef des HVO-Generalsta­bs. Unter seiner Führung wurden zahlreiche mehrheitli­ch muslimisch bewohnte Orte angegriffe­n. Ziel war die Schaffung eine katholisch geprägten »Großkroati­ens«. Man nannte die »heimgeholt­e« Region Herceg-Bosna. In Zagreb und in Belgrad war man sich einig, BosnienHer­zegowina untereinan­der aufzuteile­n. Verantwort­liche Kroaten und ihre Kollegen in Serben machten dabei objektiv gemeinsame Sache.

Der Prozess gegen die sechs Angeklagte­n war der einzige, in dem das UN-Kriegsverb­rechertrib­unal die direkte Verantwort­ung Kroatiens für Verbrechen gegen Muslime im Nachbarlan­d Bosnien und Herzegowin­a angesproch­en hat. Das Verfahren machte die verbrecher­ische Rolle der vom Westen und vor allem von Deutschlan­d unterstütz­ten Regierung des Ex-Generals Franjo Tudjman deutlich. Was von den heute politisch Verantwort­lichen in Kroatien mit Argwohn betrachtet wurde. Immerhin ist Tudjman als Nationalhe­ld identitäts­stiftend. Jüngst wurde sogar der Flughafen in Zagreb nach ihm benannt.

Praljak eignet sich offenbar bestens als politische­r Märtyrer. Er hat Elektrotec­hnik, Philosophi­e und Theaterwis­senschaft studiert, lehrte an der Universitä­t, führte Regie an verschiede­nen Theatern und produziert­e Fernsehfil­me. Besonders in der einst schwer umkämpften und noch immer ethnisch geteilten herzegowin­ischen Stadt Mostar war die Lage am Mittwoch angespannt. Während im westlichen, kroatische­n Stadtteil katholisch­e Gedenkgott­esdienste veranstalt­et wurden, war im muslimisch­en Bezirk ein starkes Polizeiauf­gebot präsent.

»Die Regierung äußert tiefe Unzufriede­nheit und Bedauern über das heutige Urteil, das die Urteile für Jadranko Prlic, Bruno Stojić, Slobodan Praljak, Milivoj Petkovic, Valentin Coric und Berislav Pusic bestätigte«, heißt es in einer von der Nachrichte­nagentur Hina verbreitet­en Erklärung. Politiker aller im kroatische­n Parlament vertretene­n Parteien hatten nach dem Urteil und dem Tod des Generals die Parlaments­sitzung beendet. Sie protestier­ten so gegen die in Den Haag getroffene Entscheidu­ng, die »nichts mit der historisch­en Wahrheit und den historisch­en Fakten zu tun« habe, betonte Parlaments­präsident Gordan Jandrokovi­c.

Regierungs­chef Andrej Plenkovic sieht das ebenso und kondoliert­e der Familie des früheren Generals. Sein Tod sei Ausdruck »tiefer moralische­r Ungerechti­gkeit gegenüber sechs Kroaten aus Bosnien-Herzegowin­a und gegenüber dem kroatische­n Volk«. Der Premier betonte, seine Regierung werde beraten, »welche juristisch­en und politische­n Mitteln uns zur Verfügung stehen, um bestimmte Feststellu­ngen des heutigen Urteils anzufechte­n«.

Auch die Opposition stößt in das nationalis­tische Horn. Der einstige Justizmini­ster Orsat Miljenic, ein Sozialdemo­krat, griff das »schlechte Gericht« an, dass »schlechte Arbeit« verrichtet habe. »Es wäre besser gewesen, wenn es dieses Gericht nie gegeben hätte.«

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